Fragen von Legitimität und Widerstand

Lützerath An den Protesten in Lützerath entzündet sich teils heftige Kritik. Immer wieder wird auf die Rechtmäßigkeit der Räumung verwiesen. Doch was genau bedeutet das und warum sind rein juristische Betrachtungsweisen problematisch?

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Lützerath: Rein juristische Betrachtungsweisen greifen als Legitimation des staatlichen Vorgehens zu kurz
Lützerath: Rein juristische Betrachtungsweisen greifen als Legitimation des staatlichen Vorgehens zu kurz

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Im Rahmen der Proteste und Blockaden in Lützerath, die sich gegen den Weiterbau des Tagebaus Garzweiler richten, stellen sich grundsätzliche Fragen der Legitimität. Insbesondere in den Kommentarspalten populärer Tageszeitungen wird immer wieder auf die Rechtmäßigkeit der Räumung, des Einsatzes der Polizei und der Abbaggerung des Ortes verwiesen. Kritik an den Aktivist*innen, die den Ort Lützerath besetzt halten und sich gegen die Übermacht der aufgezogenen Polizeitruppen stellen, beruft sich immer wieder auf das Argument der Rechtmäßigkeit. Jegliche Form des Protests wird aus dieser Perspektive als grundsätzliche Absage an die Funktionsprinzipien des demokratischen Rechtsstaats gedeutet – schließlich erfolgt das staatliche Vorgehen auf Basis geltenden Rechts, was gerichtlich bestätigt wurde. Tatsächlich übersieht eine solche Perspektive mindestens drei grundlegende Schwierigkeiten einer auf das juristische Prinzip fokussierten Argumentation.

Zunächst ist auf das Spannungsverhältnis, das aus der Berufung auf demokratische Prinzipien bei gleichzeitiger Forderung des Verstummens resultiert, hinzuweisen. So lebt ein demokratisches System gerade von Widerspruch, Auseinandersetzung und Neuaushandlung einmal getroffener Konventionen. Von autokratischen Regierungssystemen unterscheidet es sich nicht nur durch das Prinzip des Mehrheitsentscheids, sondern auch durch das der beständigen Vorläufigkeit. Jede getroffene Entscheidung muss der argumentativen Prüfung, der neuerlichen kritischen Inspektion standhalten – und kann jederzeit durch Neubeschluss revidiert werden. Wer nun ein Verstummen jeglicher Kritik nach demokratischer Legitimierung eines Beschlusses fordert, plädiert demnach gerade nicht für demokratische Prinzipien, sondern vielmehr für eine autokratische Herrschaft der Mehrheit bzw. ihrer Vertreter*innen über alle Minderheiten.

Hinzu kommt die grundsätzliche Fragwürdigkeit des Prinzips Staat. Ist im Kontext der Kritik an den Aktivist*innen von Legitimität die Rede, so ist damit die rechtsstaatliche Absegnung der getroffenen Entscheidung und des staatlichen Vorgehens gemeint. Wer diese zum Maß aller Dinge und zur quasi-neutralen Orientierungsinstanz stilisiert, übersieht die grundsätzliche Selbstreflexivität des Staates, der sich in einem beständigen Legitimationsproblem befindet. Trotz Instituierung der Gewaltenteilung ist es letztlich der Staat, der in der Gesetzgebung sich selbst (und anderen) Regeln setzt, die in der Folge zum Referenzpunkt staatlicher Gewaltausübung durch die im konkreten Falle martialisch auftretende Polizei werden. Legitimität im Sinne geltenden Rechts und rechtskräftiger Beschlüsse bedeutet damit nicht mehr als das Vorliegen einer selbst ausgestellten Erlaubnis – die im Zweifelsfalle wiederum durch staatliche Instanzen beglaubigt und bestätigt wird.

Das leitet über zum dritten Punkt: Die formaljuristische ist lediglich eine Ebene der Reflexion. Neben und über ihr steht die ethische Reflexion und Bewertung des Gegebenen. Aus einer dezidiert ethisch argumentierenden Perspektive wiederum tritt an die Stelle der staatshörigen Orientierung an Beschlusspapieren diejenige an übergeordneten, jeweils argumentativ zu rechtfertigenden Werten. Aus einer solchen Perspektive erscheint es hochgradig fragwürdig, mit der Gewaltmacht Polizei ebenso wie mit anderen staatlichen Institutionen die Profitinteressen eines Konzerns gegenüber den Interessen von moral patients durchzusetzen.

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