Und wenn sie nicht gestorben sind,

dann leben sie noch heute.

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Es war einmal eine Zeit, da waren die Märchenfiguren der Grimmies meine Stars. Fasziniert von den märchenhaften Möglichkeiten und immer gutem Ausgang nach schwierigen Situationen lauschte ich den Erzählungen meiner Mutter, wenn sie aus dem Buch der "Kinder- und Hausmärchen" las. Bis ich selbst lesen konnte ... und nicht darauf angewiesen war, dass mir jemand vorlas. Und da war noch diese Zeitbrücke, die begann mit den Worten "Es war einmal .." und endete mit den Worten "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute". Zum Ende der Grimmies siegte die Gerechtigkeit und das gute Ende gab dem Hörenden und Lesenden ein lauschiges Gefühl ... Märchenendorphine sozusagen.

Die Märchen der Gebrüder Grimm feiern ihren Zweihundertsten und es ist Zeit, sie auf ihre Aktualität abzuklopfen. Klar ist, dass Hexen ausgestorben sind und Stroh nicht zu Gold gesponnen werden kann. Und Riesen gibt es nicht wirklich. Aber was wären sie heute, die Märchenfiguren, wenn sie dem Buch entsteigen könnten? Starte ich mal in unsortierter Reihenfolge.

- Hänsel und Gretel, ganz klar, wären Hartz-IV-Empfänger und das Pfefferkuchenhaus die Verwaltungsstelle für ALG 2. Statt Brotkrümel nähmen beide Papierschnipsel von zerrissenen "Antragsformularen zur Sicherung des Lebensunterhalts" für einen unsicheren Rückweg. Die Hexe hat sich in eine unsoziale Gesetzgebung verwandelt.

- Rotkäppchen befriedigt nicht mehr die Gelüste der Großmutter nach Kuchen und Wein; sie fristet ihr Leben als Zwangsprostituierte in der sozialen Marktwirtschaft. Die Großmutter war schon damals von Demenz gezeichnet (aber Rotkäppchen, warum hast du so große ...) und ist heute schwerer Pflegefall. Der Wolf bestreitet sein Auskommen als Foodhunter im Märchenwald (der Nahrungsmitteltest mit einer alten Frau, einem jungen Mädchen und Wackersteinen ist total schiefgelaufen).

- Der gestiefelte Kater ist Starmoderator bei RTL, der Froschkönig steht unter besonderem Naturschutz und darf nicht geküsst werden, und der Meisterdieb ist Vorstandsvorsitzender bei einer internationalen Großbank.

- Tja, und was wäre Rumpelstilzchen heute? Was sang dieser Gnom immer? Ach wie gut dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß. Na klar, der arbeitet beim Verfassungsschutz ... aber bitte nicht weitersagen.

- Frau Holle ist Angestellte in einem großen Unternehmen für Winterartikel und verantwortlich für die Ausbildung weiblicher Azubis.

- Sehr bekannt waren die Bremer Stadtmusikanten. Nur zu einem goldenen Vinyl hat es in den 200 Jahren nicht gereicht. Heute tingeln sie durch die Castingshows, die den dümmsten Esel suchen (sry wegen dem dummen Esel).

- Hans im Glück, ihm bleibt das Pech. Nach einer Millionenerbschaft ging er aus einem jahrelangen Rechtsstreit als moralischer Sieger und Anlagebetrugsopfer hervor.

- Und was macht Schneewittchen? Sie besitzt hervorragende Zeugnisse als Sozialpädagogin. Beides nicht gefragt. Schneewittchen betreut im Berliner Regierungsviertel eine Horde unbändiger Giftzwerge ... so wurde mir berichtet.

- Zum guten Abschluss. Die Prinzessin auf der Erbse hat in der Gegenwart einen angemessenen Platz gefunden, Hauptakteurin bei der Stiftung Warentest.

Leider fehlen mir aktuelle Informationen über den Verbleib von Aschenputtel, dem Wolf mit den sieben Geißlein, der goldenen Gans und dem Gevatter Tod. Und wo pennt Dornröschen? Unter einer Brücke? Wird sie vom tapferen Schneiderlein wachgeküsst?

Die Märchen zum Nachlesen gibt es hier:

Maerchenstunde

(ohne Klemke, wenn du weißt, wer das war)

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Geschrieben von

luggi

Ein Veggie, der gern Fleischtomaten futtert.Vermeidet Ärztehopping durch gesunde Ernährung.

luggi

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