"Achse des Bösen"

Petersburg Die klare Ansagen von Präsident Putin liegen Recep Tayyip Erdoğan sichtlich mehr als das verklemmte taktische Lavieren der EU und der deutschen Politik
Die Präsidenten wollten zumindest im Petersburger Konstantinspalast durch die gleiche Tür gehen
Die Präsidenten wollten zumindest im Petersburger Konstantinspalast durch die gleiche Tür gehen

Foto: Imago

So können Welten auseinander driften. Während sich die deutsche Außenpolitik im Understatement übt und einen weitgehend unbekannten Staatssekretär (Markus Ederer) nach Ankara schickt, auf dass beide Regierungen nicht nur über Megaphon und Mikrofon kommunizieren, wird zwischen Russland und der Türkei Premium-Diplomatie betrieben. Kein Verlangen nach zweiter Liga.

Wenn sich Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin in Sankt Petersburg treffen, ist das ein Zeichen dafür, dass es den Interessen beider Staaten nicht an Schnittmengen fehlt. Freilich muss nach Einvernehmen gesucht werden, wie davon Gebrauch zu machen ist.

Zunächst war eine Vorleistung nötig, die aus Ankara kommen musste. Also hat sich der türkische Präsident für den Abschuss des russischen Kampfjets über der türkisch-syrischem Grenzregion am 24. November 2015 entschuldigt.

Erdoğan dürfte es bei seinem Hang zum störrischen Stolz nicht leicht gefallen sein, Abbitte zu leisten für eine Tat, die zunächst als heroischer Verteidigungsakt verklärt wurde. Immerhin wurde die NATO bemüht, ließ sich nicht groß bitten und verurteilte in kollektiver Eintracht den „Aggressor“ Russland. Eigentlich müsste sich Erdoğan auch in Brüssel dafür entschuldigen, seinerzeit fast den Bündnisfall heraufbeschworen zu haben. Die Allianz wiederum täte gut daran, ihren Russland-Verriss zu korrigieren.

Einerseits ist die Luftaffäre blamabel für den Überpräsidenten aus Ankara, andererseits ist sie ein Zeichen dafür, wie flexibel Erdoğan selbst dann sein kann, wenn es blamabel wird. Daraus folgt, die EU, besonders Deutschland, scheinen im Umgang mit ihm weniger geschickt und erfolgreich als Russland. Selbst wenn die Ergebnisse des Petersburger Gipfels nichts weniger verdient haben, als überbewerten zu werden – sie zeugen von demonstrativer Aussöhnung.

Kluger Makler Putin

Natürlich ist es im Augenblick müßig, darüber zu spekulieren, wie schnell etwa der russische Tourismus dem türkischen Fremdenverkehr aus der Sinnkrise hilft. Dass er dazu in der Lage wäre, ist der Tatsache zu entnehmen, dass im Vorjahr – bis zum jähen Bruch – etwa 3,6 Millionen Besucher aus Russland in die Türkei reisten. Für dieses Jahr liegt die Zahl bei marginalen 105.000.

Auch dürfte die stornierte Erdgastrasse Turkish Stream nur dann gebaut werden, wenn die ökonomischen Parameter stimmen und nicht politische Opportunität dazu verführt. Ohnehin hat Präsident Putin – als kluger Makler störanfälliger Beziehungen – in St. Petersburg eine höchst dosierte Rückkehr zu bilateraler Normalität angedeutet. Erdoğan soll vom guten Willen Moskaus überzeugt, aber nicht übermütig werden – zumal die divergierenden Auffassungen zu Syrien und zum politischen Schicksal des Baath-Regimes einer russisch-türkischen Entkrampfung eher abträglich sind. Doch wie viel wäre gewonnen, würden sich beide Seiten als konstruktive Partner einer Verhandlungslösung verstehen?

Da die EU davon weit entfernt ist, in diesem Konflikt von Gewicht zu sein, bleibt ihr nicht weiter übrig, als das Petersburger Treffen mit Argwohn zu bedenken und unter Generalverdacht zu stellen. Ausgesprochen wird es nicht, aber suggeriert schon, dass da ein „Schurken-Gipfel“ zelebriert wurde oder eine "Achse des Bösen" droht, die sich gegen „Europa“ richtet.

Wenn es doch so wäre! Nur muss befürchtet werden, dass die EU in ihrem jetzigen Zustand nicht einmal mehr Kabale und Verschwörung wert ist. Im Übrigen gibt es ein Recht auf Diplomatie und taktische Allianzen, über das nicht in der EU-Kommission oder im Berliner Kanzleramt entschieden wird, sondern in Abhängigkeit von Interessen und Bedürfnissen der jeweils Beteiligten.

Unverbindliche Partnerwahl

Und überhaupt – müssen sich Länder wie die Türkei stets bündniskonform verhalten? Sprich: ihr außenpolitisches Handeln an Mitgliedschaften wie in der NATO ausrichten, zu der man sowieso ein volatiles Verhältnis pflegt? Oder sind Optionen bindend wie die angestrebte Assoziation mit der EU? Es gibt keinen Grund, darüber Klage zu führen. Über die biedere deutsche Diplomatie dann schon.

Keine Frage, für Russland wäre die Türkei zweifellos ein attraktiver Partner innerhalb der Eurasischen Union oder in der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) mit China. Soweit aber ist es noch lange nicht. Umsehen jedoch darf man sich schon bei einer intelligenten Partnerwahl.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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