Macrons Schützenpanzer für die Ukraine: Alleingang oder konzertierte Aktion?
Meinung Seit dem Zerfall der UdSSR haben NATO und USA die Ukraine dabei unterstützt, sich zu einem Gegenspieler Russlands zu entwickeln. Können sie es sich da überhaupt noch leisten, das Land zu verlieren?
Der Schützenpanzer „Marder“, den Deutschland bald an die Ukraine liefern wird
Foto: Patrik Stollarz/AFP via Getty Images
Zwei Deutungen bieten sich an. Entweder ist Emmanuel Macron, mit seiner Ankündigung vorgeprescht, leichte Kampfpanzer des Typs AMX-10 RC in die Ukraine zu schicken. Dann wäre dies ein unfreundlicher Akt gegenüber Kanzler Olaf Scholz, möglicherweise eine Retourkutsche für die deutsche Entscheidung vom Herbst, zusammen mit 14 anderen NATO-Staaten und ohne Frankreich eine gemeinsame europäische Luftabwehr auf den Weg zu bringen. Paris hatte daraufhin den turnusmäßig geplanten deutsch-französischen Ministerrat abgesagt. Sollte Macron bei seiner Zusage an Kiew darauf bedacht gewesen sein, im Alleingang zu handeln, hätte kurz vor dem 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages am 22. Januar das deutsch-französische Verhältnis einen ern
erneuten Tiefpunkt erreicht. Andererseits ist auch eine „konzertierte Aktion“ zwischen Washington, Paris und Berlin denkbar. Scholz zieht mit Marder-Schützenpanzern nach, weil ein kollektiver Westen Deckung bietet und ihn die fortgesetzte Aufrüstung der Ukraine entlastet – sowohl gegenüber Forderungen in der Koalition wie der Opposition, als auch aus der NATO.Auf Kurs AbnutzungskriegWie es auch immer gewesen sein mag – es wird fortgeschrieben, was sich zum Jahreswechsel mit der Selenskyj-Rede im US-Kongress und dem Putin-Aufritt vor hohen Militärs im russischen Verteidigungsministerium abgezeichnet hat. Beide Seiten wollen diesen Krieg auf dem Schlachtfeld gewinnen oder lange führen, um ihn nicht zu verlieren.Präsident Selenskyjs Ukraine sieht sich mittlerweile als moralische Führungsmacht des Westens, der es gelungen ist, diesen von Selbstzweifeln zu erlösen und mit dem Willen zu mehr globaler Geltungsmacht auszustatten. In vielen EU- und NATO-Staaten, besonders in Deutschland, wird das mit Dankbarkeit quittiert – natürlich, solange die Risiken vertretbar bleiben. Man ist nicht kriegs- und nur bedingt konfliktfähig, sollte die Konfrontation mit Russland das Stadium eines systemischen Schlagabtauschs erreichen, der aus Konfliktparteien in der zweiten Reihe Kriegsparteien im vorderen Graben macht.Seit Wochen bleiben Kampfhandlungen nicht mehr auf das Territorium der Ukraine beschränkt. Es mehren sich Raketen- und Drohnenangriffe auf militärische und ökonomische Infrastruktur Russlands, die Kiew einmal triumphal zugibt, dann wieder mit konspirativem Raunen bestreitet. Es handelt sich um Operationen, die auf Equipment der USA zurückgreifen und ohne deren Plazet schwer vorstellbar sind.Das Beispiel Minsk-II-VertragAber wer weiß. Vielleicht gab es in den vergangenen Tagen auch ein Agreement mit Kiew: Verzichtet ihr darauf, eine solche Eskalation im Hochrisiko-Bereich voranzutreiben, dann landen bei euch im Gegenzug mehr Schützenpanzer und Flugabwehrsysteme. Das Domino-Spiel einer vernetzten wie verdeckten Koordination prägt das Verhältnis zwischen der Ukraine und dem Westen seit dem Maidan.Um nur zwei Beispiele zu nennen: Am 21. Februar 2014 etwa handelten der damalige deutsche Außenminister Steinmeier, seine Amtskollegen Fabius aus Frankreich und Sikorski aus Polen mit der ukrainischen Opposition und Präsident Viktor Janukowitsch ein Agreement aus, wonach es eine schrittweise Machtteilung und im Dezember 2014 Neuwahlen geben sollte.Keine 24 Stunden später war Janukowitsch gestürzt und zum Verlassen des Landes gezwungen. Die Schirmherren der „Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine“ rührten keinen Finger, die Putschisten zum Einhalten der vorhandenen Übereinkunft zu bewegen.Ähnliches wiederholte sich beim Umgang mit dem Anfang 2015 geschlossenen Minsk-II-Vertrag, der Kiew u.a. aufforderte, die Verfassung derart zu ändern, dass Regionen in der Ostukraine eine weitgehende Autonomie zugestanden werden konnte. Wieder waren Deutschland und Frankreich (Angela Merkel und François Hollande) federführend daran beteiligt, um danach so gut wie nichts zu unternehmen, als die ukrainische Führung ihrerseits nichts unternahm, um zu erfüllen, was unterschrieben war. Die Ukraine als Anti-Russland Schon vor dem Krieg, aber natürlich erst recht seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat es Kiew geradezu perfektioniert, die maßgeblichen westlichen Partner vor sich herzutreiben, indem verweigerter, nicht unablässig maximierter militärischer Beistand als Begünstigung Russlands präsentiert wird. Dies geschieht in dem nicht sonderlich überraschenden Bewusstsein, je mehr sich die USA und andere große NATO-Staaten exponieren, desto mehr stehen sie unter Zugzwang, Russland zu besiegen. Man kann es sich schlichtweg nicht leisten, in der Ukraine die Ukraine zu verlieren, die man seit dem Zerfall der UdSSR als Anti-Russland etablieren half.Es wäre für die USA als westliche Führungsmacht, für den Westen als System, Bündnis, Werteversprechen und globales Zentrum ein Debakel sondergleichen, unterhalb des Levels Sieg aus diesem Konflikt hervorzugehen. Daher die Totalität der Konfrontation, die – noch – in keinen totalen Krieg mündet. Dabei ist jedes Aufstocken des ukrainischen Militärapparates geeignet, sich in Washington, Brüssel, Berlin, Paris und London noch mehr unter Druck zu setzen und Verhandlungslösungen nur dann zu akzeptieren, wenn sie eine russische Niederlage besiegeln.Vorbild Georgi SchukowDem Kreml dürfte die eingetretene Dynamik der Konfrontation sehr wohl bewusst sein. Wie die Rede von Präsident Putin vor hohen Militärs am 21. Dezember in Moskau erkennen ließ, sieht er die Russische Föderation in einem „existenziellen Krieg“, der über ihr Dasein als stabiler, gegen innere Erosion gefeiter Staat entscheidet. Die Alternative stellt sich aus Sicht der russischen Führung so dar: Zerfallen und domestiziert werden oder Bestehen und imperial satisfaktionsfähig sein.Genauso hat es der Nestor westlicher Ukraine-Politik immer gesehen, gesagt und geschrieben. Zbigniew Brzezinski war überzeugt, ohne die Ukraine könne Russland niemals ein lebensfähiges Imperium sein. Werde diese hingegen kontrolliert, stelle sich der imperiale Status wie von selbst ein. Entsprechend erklärte Putin am 21. Dezember: Die eigenen Soldaten würden auf dem ukrainischen Schlachtfeld kämpfen „wie die Helden des Krieges 1812, des Ersten Weltkrieges oder des Zweiten Weltkrieges“. Die heutige Generalität sollte sich Feldherren wie Michail Kutusow (1812 Sieger über Napoleon) und Georgi Schukow, den Eroberer Berlins im April 1945, zum Vorbild nehmen. Da wiegt die bemühte Geschichte viel zu schwer, um sich politisch noch groß bewegen zu können.
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