5x Magischer Realismus

Musik Der Sommer setzt die Lichter anders. Farbenfroh geht es auch in dieser Clip-Sammlung zu. Magisch, realistisch, aus dem Süden – fünf Clips von Cumbia bis Hip Hop.

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Die Schlagbäume zum Süden gehen hoch, wir steigen ein: in das Grenzland, die kulturelle Mischzone zwischen Arizona und Mexiko. Bester Reiseführer hier: die Band Calexico um ihren Frontman Joey Burns – hier mit Crystal Frontier, einem immer wieder gern gespielten Klassiker der Band. Die Aussage, dass Calexico es trefflich hinkriegen, den Sound der Grenze, ihre Stimmung und ihr Lebensgefühl in musikalische Töne, Empfindungen zu transponieren, ist zwar sicherlich richtig. Noch punktgenauer zu trifft allerdings die Feststellung, dass die Band seit nunmehr über zwei Jahrzehnten ihr eigenes musikalisches Border Universe geschaffen hat – ein Universum, in dem Wüsten-Rock zu Surf-Einsprengseln kommt und viel Mariachi-Trompeten zu einem kleinen Schuss harten, Flamencogitarren-lastigen Narcocorrido. Das Ergebnis: ein musikalisches Gesamtkunstwerk – und an der Stelle der passende Start in die popmusikalische Welt südlich von Donald Trumps geplanter Gr0ßer Mauer.

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Redet man über musikalische Grenzwandler, kommt man an einem nicht vorbei: Manu Chao. Die letzten Jahre widmete sich der dauertravellnde Baske Sessions zusammen mit Musikern rund um den Globus. Im Frühjahr brachte er sich mit ein paar neuen Veröffentlichungen in Erinnerung. Name des neuen Projekts: ti.po.ta – was bedeutet: a) die griechische Bezeichnung für den Sommeranfang, b) nichts. Mit von der Partie ist die griechische Schauspielerin Klelia Renesi. Wie ist Athen im Sommer – bei 45° Temperatur? Bunt, schnell und laut – jedenfalls in dem Clip zu dem Stück Athina Vrazi. Glück für den Sommer: Die ti.po.ta-Produktionen stehen auf der Manu Chao-Webseite zum freien Downlaod zur Verfügung. Weil die Wahl bei derart sphärisch-leichten Strandparty-Rock'n'Roll schwer fällt, hier zwei weitere Ergebnisse dieser griechisch-internationalen Koproduktion: Moonlight Avenue und Peki Peki Song.

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Zu jeder Musikkompilation gehört (mindestens) ein ruhiger, leiser Song. Kein Problem – das Singer-Songwritertum hat sich längst auch südlich der geplanten Trump-Mauer und beidseits der Anden epidemisch ausgebreitet. Der Gitarrensong, der rein zum Zuhören, Nachdenken und Gedanken-abschweifen verleiten soll, stammt im konkreten Fall von der argentinischen Nachwuchssängerin Sofia Viola. Ser Tu Perro ist, Sie werden es sicher ahnen, ein Song über die Sehnsucht. Die Inszenierung allerdings ist ein Paradebeispiel für das Lebensgefühl des Magischen Realismus (ich weiß – das ist Malerei und die Richtung kommt ursprünglich aus Co-lomm-bjia). So wage ich mich vor und behaupte: Der allerwesentlichste Inhalt von Clip und Stück ist die Aussage, dass man die Realität ab und an mal fünf Minuten lang ausblenden sollte. Falls sich diese transzendente Wirkung bei Ihnen nach Anhören nicht einstellen sollte – bekommen Sie am Eingang Ihr Geld zurück.

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Sind Calexico die Meister darin, aus unterschiedlichen Klangwelten unterschiedlicher Kulturen einen eigenen, unverwechselbaren Band-Sound zu schaffen, ist Manu Chao der Meister des Stücke-Samplens, des sich Rund-um-den-Globus-Inspirieren-Lassens und des Wiederecyclings eigener Ideen. Me llaman calle ist ein älteres Stück. Aufnahme und Clip geben nicht vor, mehr zu beinhalten als das, was man sieht – fünf Minuten Akustikgitarre, Stimme und Entspannung in einer Tapas-Bar. Dass Manu Chao nicht den Anspruch hat, der alleroriginellste Musiker unter dem Firmament zu sein (und mit den Faktoren Stimmigkeit und Feeling bestens leben kann), zeigt ein weiterer Song: La vida tombola – eine Ode an den argentinischen Fussballgott Diego Maradona, diesem als Ständchen dargebracht im Rahmen einer improvisierten Straßenaufführung. Seine Technik des Aufnehmens auf Reisen beschreibt Manu Chao in diesem Interview bei laut.de. Seine politischen Gedanken zur Entwicklung auf dem südamerikanischen Sub-Kontinent gab er – ebenfalls 2007 – dem Tagesspiegel zu Protokoll.

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(Gewidmet: Juliane Löffler)

Ana Tijoux wuchs in Lille, Frankreich auf – als Kind chilenischer Exilanten, die vor der Pinochet-Diktatur geflohen waren. Nach Wiederherstellung der Demokratie, in den 1990ern, kehrte Tijoux nach Chile zurück. Cumbia ist streng genommen eine kolumbianische Traditionsmusik-Richtung. Die moderne Variante hat sich in den letzten zwanzig Jahren quer über den lateinamerikanischen Subkontinent ausgebreitet – als ethnomusikalischer Schwamm, der sich höchst andockfähig zeigt zu zeitgemässen Strömungen wie Rock und Hip Hop. Antipatriarca, 2016 auf dem Album Vengo veröffentlicht, ist eigentlich ein Manifest – ein Manifest gegen die männlich bestimmte Gewaltkultur in den Favelas. Anna Tijoux zur Entstehung von Clip und Song: »Ich bin auf das Manifest ›Companeros Argentines‹ gestossen, das sich direkt an argentinische Männer aus den Favelas mit den mahnenden Worten wendet: ›Hört auf zu schlagen, hört auf zu schreien!‹« Ein Manifest-Song also, passend zum Internationalen Frauentag am 8. März. Da es bis zum nächsten noch eine Weile dauert und die Grüsse an die scheidende On-Redakteurin Juliane Löffler (auch meinerseitig) eher wortlastig ausgefallen sind, an der Stelle dieser Clip als musikalisches Abschieds-Präsent – sowie als Inspiration für die weitere Arbeit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz