Kriegsreporterinnen

Buchbesprechung Sind alle wichtigen Aspekte des Zweiten Weltkriegs hinreichend bekannt? »Frauen an der Front« widmet sich einem relativ unbekannten Detailthema: den Kriegsreporterinnen – dargestellt anhand sechs prominenter Beispiele.

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US-Kriegsberichterstatterinnen 1943. Vierte und fünfte von links: Helen Kirkpatrick und Lee Miller.

Im Juni dieses Jahres jährt sich die Landung der Alliierten in der Normandie zum achtzigsten Mal. Bevor – im Frühjahr und Sommer 2025 – auch die beiden Victory-Days mit einer Acht vor der Null abgehakt werden können, werden weitere, betrüblichere Jubiläen anstehen: die Befreiung von Auschwitz, Dachau, Buchenwald sowie dem Rest des monströsen Lagersystems im Kernterritorium des nationalsozialistischen Herrschaftsgebiets. Insofern ist Frauen an der Front, im Herbst letzten Jahres erschienen, ein Buch, dass zu den anstehenden Jubiläen gut passt – obwohl die erzählte Geschichte weit vor 1944 einsetzt und die sechs Biografien in ihrem Mittelpunkt weit in die Nachkriegsära hineinreichen.

Um was geht es? Frauen an der Front verfolgt die – mehr oder weniger verschlungenen – Wege sechs namhafter WK-II-Kriegsreporterinnen: Lee Miller, Martha Gellhorn, Sigrid Schultz, Virginia Cowles, Clare Hollingworth und Helen Kirkpatrick. Hochkarätige Prominenz dürften nur die zwei erstgenannten auf die Waage bringen: die Vogue-Fotoreporterin Lee Miller als die Frau, die in Hitlers Badewanne posierte und mit die ersten Aufnahmen vom befreiten Konzentrationslager Dachau ablieferte, und Martha Gellhorn, zeitweilig Ehefrau des gleichfalls die europäischen Kriegsschauplätze abtingelnden Romanciers Ernest Hemingway.

Ebenso unterschiedlich wie die Lebensläufe dieser beiden sind auch die der restlichen vier, welche in Frauen an der Front porträtiert werden. Die gebürtige US-Amerikanerin Sigrid Schultz berichtete jahrelang aus dem Berliner Herzen der Bestie; 1941 gehörte sie zu jenen US-Korrespondenten, die – sozusagen als Berichterstattungs-Nachhut – Deutschland als letztes verließen. Helen Kirkpatrick sowie die beiden Britinnen Virginia Cowles und Clare Hollingworth wiederum hatten vergleichsweise wenig(er) Insider-Einblicke in das Innenleben des Dritten Reiches. Dafür waren sie auf den meisten (europäischen und nahöstlichen) Kriegsschauplätzen mit vor Ort.

Dass weibliche Kriegskorrespondenten zu jener Zeit alles andere als selbstverständlich waren, ist ein Subthema, dass in dem rund 540 Seiten umfassende Buch stetig – und mit zahlreichen Episoden veranschaulicht – wiederkehrt. Wie zu erfahren, waren die Vorbehalte gegenüber »Frauen an der Front« bei den drei West-Hauptalliierten unterschiedlich stark ausgeprägt: am wenigsten bei den Franzosen, mittelstark bei den US-Amerikanern und am stärksten bei den Briten. Lediglich die Vorwände, mit denen militärische Entscheider sie von den Fronten fernzuhalten versuchten, gleichen sich auf frappierende Weise: keine geeigneten Sanitärvorrichtungen – oder auch, um es im Gentleman-liken Jargon der involvierten Militär-Staffs auszudrücken: unzielführende Ablenkung der (männlichen) Soldaten.

All das – und noch viel mehr – schildert Frauen an der Front in einer narrativen, sich vor allem an den stetig wechselnden Hauptschauplätzen orientierenden Erzählweise. Der Einstieg erfolgt mit der Schilderung eines konsolidierten NS-Regimes zur Zeit der Berliner Olympiade. Kapitelweise fährt die Beschreibung fort mit der Berichterstattung über den Spanischen Bürgerkrieg sowie die Tage von Appeasement und »Sitzkrieg« – um in der zweiten Hälfte die zweite, entscheidende Hälfte des Weltkriegs abzuhandeln. Neben den Schauplätzen – die deutsch-polnische Grenze im September 1939, das vom »Blitz« überzogene Gr0ßbritannien, der nordafrikanische Kasserin-Pass und die mittelitalienische »Gotenlinie« bis hin zu Nordfrankreich und das im Endkampf befindliche Nazireich – differenzieren Auftraggeber, Arbeitsschwerpunkte sowie handwerkliche Schwerpunkte die Arbeit der sechs exemplarisch stehenden Berichterstatterinnen aus. Bei Lee Miller waren das Fotografie und Vogue-Background, bei den restlichen fünf Verlage sowie Rundfunk- und Zeitungsmedien wie die BBC, der Guardian, Collier's, Harper’s Bazaar, die Chicago Daily News oder die Chicago Tribune. Zusätzlich widmeten sich einige von ihnen zeitweilig anderen Aufgaben – etwa für Hilfsorganisationen oder bei der Betreuung des akkreditierten Pressekorps.

Thematisch gesehen beschreibt die britische Autorin Judith Mackrell zwar einen Teilaspekt des Zweiten Weltkriegs. Wie das mit biografischen Büchern jedoch so ist, sind persönliche Biografien nur schwer in Einklang zu bringen mit historischen Epochen. Erzähltechnisch ähnelt Mackrells Darstellungsweise stark derjenigen von Hotel Florida – einem 2015 erschienenen, thematisch eng verwandten Titel, welcher die Geschicke von vier prominenten Literaten und Fotografen im Spanischen Bürgerkrieg beschreibt. Beide Bücher verfolgen einen stark an persönliche Biografien angelehnten Ansatz. Hinzu kommt, dass mit Martha Gellhorn eine Person in beiden Titeln stark mit Präsenz aufwartet. Eine Kombination, die durchaus Fragen aufwirft, Wenig verständlich in dem Zusammenhang ist es etwa, dass Gellhorns Hotel-Florida-Bekanntschaft, die Fotografin Gerda Taro, in Frauen an der Front mit nur wenigen Worten abgefertigt, die – ebenfalls nicht zum Kreis der sechs Protagonistinnen gehörende – Kriegsfotografin Margaret Bourke-White hingegen vergleichsweise ausführlich abgehandelt wird.

Gewichtungen, die sich zumindest hinterfragen lassen: Vergleichsweise spät etwa steigt in Mackrells Kriegsszenario Lee Miller ein – die wohl Prominenteste unter den sechs Beschriebenen und diejenige, deren PR-Foto auch das Buchcover ziert. Da Judith Mackrell ihren Vorgängertitel – eine historische Abhandlung über die Flapper der Zwanziger- und Dreißigerjahre – strikt nach vorgestellten Personen gegliedert hat, stellt sich bei Frauen an der Front durchaus die Frage, wieso die Autorin hier eine narrative Beschreibungsweise gewählt hat. Eine Entscheidung, die sich – aus der Warte der Leser(innen) – nur (ebenso) subjektiv beantworten lässt. Subjektiver Eindruck des Rezensenten: Auf den ersten Blick ist der gewählte rote Faden – eine sich chronologisch durch Vorkriegs- und Kriegszeit durcharbeitende Darstellungsweise, in die die biografischen Vorgeschichten der sechs Protagonistinnen jeweils eingearbeitet sind – mitunter irritierend. Spätestens in der zweiten Buchhälfte jedoch zeigen sich die Vorteile dieser Form Gesamtdarstellung: Die einzelnen Puzzlestücke fügen sich zusammen zu einem Bild, dass nicht nur zahlreiche bislang wenig bekannte Kriegsaspekte beschreibt, sondern auch ein Sittenbild zu der Frage, wie es mit dem Stand der Emanzipation in jenen kritischen Jahren ausgesehen hat.

Am Ende gelingt Frauen an der Front eine Wirkung, die für ein Kriegs-Historienbuch eher ungewöhnlich ist: es berührt; es macht in einem umfassenderen Sinn nachdenklich. Vor allem, wenn – im vorletzten und letzten Kapitel – die Geschichten der sechs Haupt-Involvierten zu Ende erzählt werden. Lee Miller etwa bekam den »Geruch von Dachau« nicht mehr aus dem Gedächtnis. Sowohl berufsbiografisch als auch als Mutter geriet sie über Jahre aus dem Tritt. Heute würde man sicher eine postraumatische Belastungsstörung diagnostizieren; in den Fünfzigern und Sechzigern war der Zusammenhang zwischen Krieg und psychischen Störungen noch weitgehend eine terra incognita. Auch auf profaneren Ebenen brachte das Kriegsende Veränderungen ebenso wie Kontinuität: Die Beziehung von Martha Gellhorn und Ernest Hemingway überlebte den Krieg nicht. Clare Hollingworth starb 2017 – im biblischen Alter von 104 Jahren. Einige der im Buch Beschriebenen – darunter Hollingworth – lieferten weiter Kriegsreportagen ab. Andere verschwanden in der Versenkung, mußten Karriereknicks einstecken oder orientierten sich schlicht anderweitig.

Fazit: Frauen an der Front liefert eine eindringliche, teils spannend zu lesende Abhandlung zu einem Spezialthema des Zweiten Weltkriegs. Darüber hinaus hat Judith Mackrell ein Sittenbild abgeliefert zu einer Epoche, in der teils widerstreitende Trends sich überkreuzten: eine von Konservatismus, Faschismus und schließlich Krieg geprägte Gesamtheit, und der feministische Aufbruch von Frauen – erst exemplarisch, später dann auch als massenhaftes Phänomen. Für all diejenigen, die sich für die Wechselwirkungen von großer Geschichte und persönlichen, eher überschaubar gesteckten Geschichten interessieren, ist Frauen an der Front ein anschauliches, mit Gewinn zu lesendes Buch. Für den Gesamtkomplex WK-II schließlich liefert es eine Abhandlung, die einen bislang wenig thematisierten Aspekt ausführlich – und aus spezifisch weiblicher Warte – darlegt.

Judith Mackrell: Frauen an der Front. Kriegsreporterinnen im Zweiten Weltkrieg. Insel Verlag. Berlin, Oktober 2023. 542 Seiten. 28 Euro. ISBN: 978-3-458-64391-3.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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