Der gewaltsame Tod der Sandra Bland

Polizeigewalt Das Thema »rassistische Polizeigewalt« lässt die USA nicht los. Ein neuerlicher Fall sorgt derzeit für Furore: der Tod der 28jährigen Sandra Bland.

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Eigentlich war es nichts weiter als eine gewöhnliche Routinekontrolle. Anlass: ein nicht gesetzter Blinker, als die junge Frau die Fahrbahn wechselte, um den Polizeiwagen vorbeifahren zu lassen. Die alltägliche Situation eskaliert (in dem Video oben zu sehen ungefähr ab Minute 5.00) binnen weniger Minuten. Zunächst immer lautere Dispute, dann Tätlichkeiten. Der Elektroschocker kommt zum Zug. Weitere Teile der Auseinandersetzung sind – aufgrund des Blickwinkels der Polizeiwagen-Cam, welche den Vorfall dokumentiert – nicht aufgezeichnet. Nichtsdestotrotz legen die Aufnahmen vom Tatort zusätzliche polizeiliche Gewalt nahe. Zwischenstand: Sandra Band, 28 Jahre, unterwegs nach Houston, um dort einen neuen Job an der Universität anzutreten, wird festgenommen.

Drei Tage später wird Sandra Band tot in ihrer Zelle aufgefunden – erhängt mit einer Plastikmülltüte. Die Polizei spricht von Selbstmord. Eltern, Angehörige sowie Vertreter der schwarzen Communities halten diese Version für eine Schutzbehauptung. Was unmittelbar nach Blands Tod nichts weiter war als ein weiterer Vorfall im Rahmen letal geendetem Polizeirassismus in den USA, scheint sich nunmehr zu einem veritablen Skandal zu entwickeln. Mittlerweile berichteten zahlreiche Medien über den Fall, in Deutschland unter anderem Spiegel Online, das Flensburger Nachrichtenportal sh:z, rp-online, die Welt, das Neue Deutschland und die Huffington Post.

Offene Fragen

Eine gründliche Untersuchung, auf welche Weise Bland verstarb und ob nicht doch Fremdeinwirkung die Todesursache war, ist nicht nur aufgrund der Tatsache angebracht, dass Polizeiübergriffe gegen farbige Bürger auch seit den Ereignissen von Baltimore unvermindert weitergehen. Mortales Ende: inklusive. Wie locker Elektroschocker, Knüppel und Pistolen bei US-amerikanischen Polizisten sitzen und wie bedenkenlos wie zum Einsatz gebracht werden, zeigte sich beispielsweise anlässlich der Auflösung einer Pool-Party einer Gruppe schwarzer Jugendlicher (hier: ein Video, welches die Eskalation dokumentiert) – ein weiteres Ereignis, dass prügelwütige weiße Texas-Cops negativ in die Medien brachte.

Auch im Fall Sandra Blend spricht wenig für die Darstellung der Polizei. Bereits der Anlass war eine Bagatelle – eine Nachlässigkeit, bei der allenfalls eine Verwarnung angemessen gewesen wäre. Die Eskalation seitens des Polizisten ist durch die Camaufnahme großteils dokumentiert. Auch das seitens der Polizei behauptete Selbstmordszenario wirkt stark unglaubwürdig. Das Opfer dieses Mal ist kein perspektivloser Nobody, sondern eine gut ausgebildete Afroamerikanerin – unterwegs, eine neue, möglicherweise vielversprechende Stelle anzutreten. Seitens der Medien weniger erwähnt wird die Tatsache, dass die aus Illinois stammende Frau in der Bürgerrechtsbewegung aktiv war und sich – so der Artikel zum Fall in der englischsprachigen Wikipedia – explizit mit dem Thema Polizeigewalt auseinandergesetzt hatte (mehr dazu im Beitrag zum Thema in der jungen welt).

Frage: Starb Sandra Bland – der Hergang ist nach Lage der Dinge nicht auszuschließen – aufgrund weiterer Mißhandlungen in der Gefängniszelle im Polizeirevier der Kleinstadt Hempstead? Wurde sie womöglich das Opfer einer gezielten Vergeltungsaktion? Setzten rassistische Polizeiangehörige etwa gezielt die Botschaft in Szene: Tretet uns nicht zu nahe? In der Erwartung, dass sie auch in diesem neuerlichen Fall damit durchkommen?Auch wenn man unvoreingenommen die Vorfälle betrachtet, bedürfen eine Reihe Fragen dringend einer Klärung:

- Wieso eskalierte eine harmlose Verkehrskontrolle unvermittelt hin zu Tätlichkeiten, Elektroschock-Einsatz sowie einer gewaltsam durchgeführten Festnahme?

- Für den Hintergrund des Vorfalls möglicherweise von entscheidender Bedeutung: Welche Informationen zu den Biografiedaten der Festgenommenen wurden im Rahmen der Arretierung an wen weitergegeben? Welche Daten zirkulierten überhaupt? Welche Protokolle gibt es und welches sind die angegebenen Gründen für die dreitägige (!!) Arretierung? Einfacher gefragt: Wie viel wußten die Cops von Hempstead über ihre Gefangene?

- Wieso wurde Sandra Blend überhaupt drei Tage (!!) in einem County Jail festgehalten? War eine Entlassung (der Vorfall war schließlich ein Verkehrsdelikt) überhaupt angedacht? Oder war – falls ja: auf welcher Basis? – eine Fortsetzung der Haft geplant?

- Welche validen Fakten sprechen überhaupt für die von der Polizei behaupteten Selbstmordversion? Wie und aus welchem Grund etwa gelangt eine Plastikmülltüte in die Zelle einer Inhaftierten? Und wie ist es möglich, dass diese sich in einer komplett offen angelegten, einsehbaren und videoüberwachten Arretierungszelle damit erhängt?

Der Fall wird nicht nur die US-Öffentlichkeit weiter beschäftigen. Jedenfalls: Die Chancen, dass zumindest in diesem einen Fall etwas stärker nachgeforscht wird als sonst, stehen nicht zur Gänze schlecht. Das Sheriff Department in Hempstead, so der Bericht der Welt, habe bereits in der Vergangenheit für einschlägige Schlagzeilen gesorgt. Aufgrund rassistischer Bemerkungen mußte der Dienststellenleiter seinen Sheriffhut abgeben – nur wenige Wochen vor Sandra Blands gewaltsamem Tod.

Post scriptum *

Die Abläufe sind im Netz zwischenzeitlich gut dokumentiert. So ist das »Aufnahmeloch« des vom Polizeiwagen aus aufgenommenen Mitschnitts (der Polizist drängt Bland zum Straßenrand – hin in einen Bereich, der von der Cam nicht mehr erfasst wird) durch das Video eines Passanten gedeckt. Zum einen zeigt es Sandra Bland, die von zwei Polizisten zu Boden gedrückt wird, zum zweiten Versuche der Polizisten, das Filmen der Festnahme zu verhindern.

Online einzusehen ist zwischenzeitlich auch das Überwachungsvideo – genauer: das sonderbare Treiben vor und in dem schmalen Gang zu Sandra Blands Zelle. Dokumentiert sind offensichtlich die Minuten, nachdem man sie tot aufgefunden hat. Abgesehen von der klaustrophobischen Atmosphäre, die dieser enge Verschlag aus Blech, Zementboden und Eisengittern vermittelt, ist die Abgebrühtheit der durch die Szene huschenden Polizeibeamten fast mit den Händen zu greifen. Ebenfalls auffällig: eine Person auf dem Video ist mit einem Motorradhelm (oder etwas ähnlichem) maskiert – möchte da jemand eine Erkennung vermeiden? Darüber hinaus will das Ganze, so scheint es, Weile haben. Eindruck: Offenbar scheinen »Unfälle« in diesem Gefängnis mehr oder weniger normal zu sein.

Lesenswert ist auch ein zwischenzeitlich erschienener Artikel in der taz. Dem taz-Artikel zufolge war Bland in einer Hochsicherheitszelle verwahrt. Hochsicherheitsvollzug unterliegt in den Vereinigten Staaten vermutlich noch schlimmeren Bedingungen als hierzulande. Als Disziplinarstrafe wird diese isolationshaftsähnliche Form des Vollzugs bereits bei kleinsten Regelvergehen eingesetzt. Darüber hinaus bringt der taz-Artikel etwas Licht in den – zumindest Lesern hierzulande völlig unverständlichen – Haft-Status der gewaltsam ums Leben Gekommenen. Selbst wenn man Anlass, Umstände und Tatsache der Festnahme nicht kritisch hinterfragt, lässt sich die mehrtägige Inhaftierung im Hochsicherheitsmodus nur als willkürlich angesetzten Foltervollzug bezeichnen. Texas tickt, zumindest für Schwarze, offensichtlich anders: Ungeachtet des Bagatellanlasses war offensichtlich eine längere Haftdauer vorgesehen. Bland habe schließlich eine Freilassung auf Kaution akzeptiert, ihre Schwester die Überbringung des Geldes nach Texas bereits vorbereitet.

Der Polizist, der all diese Ereignisse in die Wege leitete, ist zwischenzeitlich – nunja: nicht belobigt. Aber Innendienst kann auch nicht so schlimm sein.

Nachtrag, Donnerstag, 23. Juli **

Aktuellen Berichten bei Zeit Online und Spiegel Online beharrt das zuständige Sheriff Department weiterhin auf der Suizid-Version. Um diese zu untermauern, veröffentlichte die Polizeibehörde Unterlagen, denenzufolge Sandra Bland bereits in der Vergangenheit einen Selbstmordversuch unternommen habe. Argumentativ stützt sich die Selbstmordthese der örtlichen Polizeibehörden auf Angaben, die Bland während ihrer Hafteinweisung gemacht habe. Allerdings sind diese in mehrererlei Hinsicht widersprüchlich. Zum einen soll das Befragungsergebnis eine Affinität zu suizidalen Handlungen belegen. Andererseits dokumentiert es eine recht gefasste, der Situation angemessene Reaktion: Sie, Bland, hege keinerlei Suizidgedanken, sondern sei lediglich aufgebracht wegen den Umständen der Verhaftung.

In Bezug auf die Zeitangaben sind die Unterlagen des Sheriff Departments ebenfalls widersprüchlich. Einmal ist der angebliche Suizidversuch auf 2014 datiert, einmal auf 2015. Selbst in dem Fall, dass man über all diese Widersprüchlichkeiten hinwegsieht, bleibt als großes Fragezeichen der Umstand, wieso eine Person mit (angeblich) suizidalem Hintergrund verschärften Hochsicherheits-Haftbedingungen unterworfen wurde. Eine der größten Irritationen in diesem Fall bleibt nach wie vor der Umstand, wieso ein Disput während einer Routine-Fahrkontrolle erst zu einer gewaltsamen Festnahme und im Anschluss zu Untersuchungshaft unter verschärften Haftbedingungen führte. Abgesehen von dem gestrigen Beitrag in der taz (Link: siehe weiter oben) herrscht zu diesem Umstand bei allen berichtenden Medien das große Schweigen. Verfolgt man die Berichterstattung zu dem Fall, muß man zu dem Schluss kommen, dass es in deutschen Redaktionsstuben als völlig normal empfunden wird, wenn jemand aufgrund einer Fahrzeugkontrolle für Wochen, Monate oder eventuell Jahre in einem Hochsicherheitsgefängnis verschwindet. Nur umbringen – dass schlägt den Berichterstattern der deutschen demokratischen Presselandschaft doch zu sehr aufs Gemüt.

* Nachtrag, eingefügt am 22. Juli, 15:31 Uhr.

** Nachtrag, eingefügt am 23. Juli, 10:26 Uhr. Das Eingangsvideo bei YouTube wurde durch eine andere Version ersetzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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