Kampf der Kartelle

TV-Serie Kaum eine Serie hat sich auf die Realität der Drogenkartelle so kompromisslos eingelassen wie »Narcos«. Mit Staffel 3 ihres »Mexico«-Spinoffs liefert sie nunmehr das furiose Finale.

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Vielleicht auch eine Erkenntnis: Ein gewisses Ausmaß an Durchgeknallt-Sein hilft nicht nur beim Verticken von Drogen. Auch beim Machen überdurchschnittlicher Serien sind exzeptionelle Formensprache sowie ein gewisser Missionswille keinesfalls abträglich. Irre und durchgeknallt – an normalen Maßstäben gemessen – waren die Macher fast aller überragenden Erfolgsserien. Games of Thrones – hallo, 08-15-Versicherungsangestellter und Hobby-Romanautor George R. R. Martin? True Detective? Ohne den von realen True-Crime-Fällen besessenen Showrunner Nic Pizzolatto: undenkbar. Und auch bei dem 2015 gestarteten Epos über die Genese der lateinamerikanischen Drogenkartelle war der Wille der Macher, ebendiese Geschichte abstrichslos einem größeren Publikum nahezubringen, ein konstituierendes Moment. Sicher – die Serie sparte auch anderweitig nicht mit Alleinstellungsmerkmalen: ein melancholischer Bossa-Nova-Ohrwurm als Titelsong, pralle Latino-Optik, Produktion vor Ort anstatt auf Sets in Gringoland, hispanische Lakonie contra angelsächsische Befindlichkeits-Detailmalerei – so in etwa könnte man die Beschreibung fortsetzen. Und träfe doch nicht das Wesentliche – die in manischem Duktus zelebrierte Geschichts-Lehrstunde, die Narcos vor allem anderen auszeichnet. Und die nun, mit Staffel 3 des Mexiko-Serienablegers, in ihr Finale eingelaufen ist.

Eine eigene Handschrift sowie ein eigenes, sich jeweils über Jahre erstreckendes Handlungs-Timing offerierte die Serie von Anfang an. Ähnlich wie bei »richtigen« True-Crime-Formaten stand ein von der Historie zeitlich eingrenzter, nichtsdestotrotz jedoch ambitionierter Abschnitt im Mittelpunkt der jeweiligen Season: der Aufstieg des berüchtigten Drogenlords Pablo Escobar in der ersten, sein Untergang in der zweiten und die Etablierung des konkurrierenden Cali-Kartells in der dritten. Da die Geschichte der kolumbianischen Kartelle somit auserzählt war, verlagerte der Ableger den Fokus konsequenterweise in Richtung Norden. Ausgangspunkt hier: die Siebzigerjahre als der Zeitpunkt, in dem sich Marihuana-schmuggelnde Kleingangster längs der mexikanisch-amerikanischen Grenze professionalisierten und in großem Stil in das lukrative Geschäft mit kolumbianischem Koka einstiegen. Während in Staffel 1 und Staffel 2 von Narcos: Mexico der Aufstieg und Fall von Félix Gallardo und seiner Kartell-Föderation im Mittelpunkt stand, widmet sich die aktuell bei Netflix angelaufene nunmehr dem Machtvakuum, welches auf Gallardos Verhaftung folgte.

Actiontechnisch bedeutet das: Krieg, aller gegen alle; im historischen Überblick: Rückbildung eines »Superkartells« in normale, zwar lokal begrenzte, nichtsdestotrotz jedoch übergreifend agierende Entitäten. Protagonisten der – mittlerweile in den Neunzigern angelangten – Serie sind die Leader der drei Organisationen von Tijuana, Sinaloa und Juárez. Die Tijuanaenser, durch Heirat zwischenzeitlich verbandelt mit der lokalen Oligarchie, fühlen sich mittlerweile unangreifbar – zumal sie den lukrativsten Abschnitt der Grenze kontrollieren. Ähnlich wie in Game of Thrones jedoch führt auch im Reich der Drogensyndikate zu viel Macht zu Gegenbewegungen. Im Endeffekt beschreibt Narcos: Mexico den Aufstieg zweier Männer – Joaquín Guzmán aka »El Chapo« (spanisch, »Der Kleine«), aufsteigender Stern bei den Sinaloaensern und Amado Carrillo Fuentes, Boss der neuen Organisation in Juárez. So hingeschrieben liest sich das zunächst einmal recht abstrakt. Die Kontinuitäten werden allerdings schnell sehr plastisch, wenn man in den ersten Folgen sieht, wie der große Lakoniker Fuentes, vormals Organisator der Koka-Luftflotte von Föderations-Boss Gallardo und als Kindermädchen in Gallardos Auftrag an der Aufgabe gescheitert, den lokalen Syndidats-Prätendenten vor intriganten Untergebenen, der Politik, der Polizei und nicht zuletzt vor sich selbst zu schützen, die machttechnisch brachliegende Juárez-Organisation übernimmt und in der Folge zum effizientesten aller (damaligen) Syndikate umbaut.

Wie in den vergangenen Staffeln der Serie lernen wir en passant einiges über die unterschiedliche Kultur der involvierten Banden. Zynisch formuliert: Während man Abweichler, Verräter und unliebsame Mitwisser in Juárez mittels altmodischer Kopfschuss-Hinrichtungen in der Wüste beseitigt, forciert man an der Westküste bereits die modernen Formen des Drogenkrieg-Schreckens: exkulpierte Leichen, die an Straßenüberbrückungen hängen – als Botschaften der gewaltförmigen Entschlossenheit an die jeweils andere Seite. Die Dynamik des Machtkampfs zwischen den Narcotraficantes von Tijuana hier und einer Allianz aus Sinaloa, Juárez und kleineren Protagonisten da steht zwar im Zentrum der Handlungsdynamik von Staffel drei. Hinzu kommen die üblichen Beteiligten auf der anderen Seite des Gesetzes. Ebenso wie in Staffel zwei ist auch in drei Walt Breslin einer der maßgebenden Fußtruppen-Beteiligten im schmutzigen »Krieg gegen die Drogen« – ein DEA-Agent, der angesichts der Folter-Praktiken des mexikanischen Militärs an die Grenzen seiner moralischen Elastizität geführt wird und von einem korrupten mexikanischen General doch nur das Obligatorische zu hören bekommt: »Sie wissen, warum wir diesen kleinen schmutzigen Krieg führen? Nur wegen Ihnen und Ihrer Regierung.«

Was im Großen Folgen zeitigt, zeitigt sie auch im Kleinen. Zwei »Nebenschauplätze« richten den Blick auf die Folgen für die Zivilgesellschaft. Da ist zum einen die Journalistin Andrea Nuñez, die für die investigative Zeitung La Voz (»Die Stimme«) recherchiert und Beweise dafür zusammenträgt, wie sehr Leute an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide in die Drogengeschäfte mit verstrickt sind. Ein weiterer Seitenschauplatz greift die zunehmende Anzahl von Frauenleichen auf, die in der Wüste unweit von Juárez abgeladen wurden. Auch hier gibt es einen großpolitischen Zusammenhang: das NAFTA-Freihandelsabkommen und die Maquila-Manufakturen längs der Grenze – Orte, in denen Frauen nicht nur ökonomisch ausgebeutet werden, sondern auch persönlich extremer Rechtlosigkeit unterliegen. Alle diese Schauplätze steuern die insgesamt zehn Folgen in schnellen Wechseln an. Zwar ist jeder Handlungsstrang – irgendwie – mit jedem verbunden. Zug um Zug wird den Zuschauer(inn)en allerdings klar: mit einer beherzten Verhaftung von diesem oder jenem Kopf an der Spitze wird man die Krake der in Drogen oder anderen Geschäftsfeldern sich betätigenden Syndikate nicht brechen.

Wird es eine weitere Staffel von Narcos: Mexico geben? Voraussichtlich nicht. Nicht nur, dass Netflix keine weitere Staffel mehr bestellt hat. Showrunner Carlo Bernard äußerte sich diesbezüglich, dass der historische Teil des Mexiko-Strangs nunmehr auserzählt sei und eine weitere Staffel zwangsläufig die Zustände beschreiben würde, wie wir sie aus der Gegenwart kennen. Das wäre vermutlich nicht nur aufgrund des Grades an Brutalität, die mittlerweile Kennzeichen des mexikanischen Drogenkriegs geworden ist, ziemlich unverfilmbar. Die Geschichtsstunde ergibt auch so ihren Sinn: Narcos: Mexico zeigt die Entwicklung der mexikanischen Syndidate, wie sie sich in den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern herausbildeten. Die semidokumentarische Verfilmung der Gegenwart mit ihren – teils noch agierenden – Real-Life-Protagonisten dürfte sich so nicht nur aus ästhetischen Gründen problematisch gestalten. Bereits zu Beginn der Dreharbeiten wurde ein Location Manager außerhalb von Mexico City erschossen aufgefunden – wobei der Stoff sich hier noch auf die vergleichsweise unverfänglichen Siebziger kaprizierte.

Fazit: Wie kaum einer anderen Produktion ist es Narcos gelungen, die historische Entwicklung der lateinamerikanischen Koka-Kartelle zu veranschaulichen und in eine mitreißende Serienhandlung zu transferieren. Angesichts ihres Erfolgs ist die Vermutung nicht ganz abwegig, dass auch für ähnlich authentisch gemachte Realereignis-Serien durchaus Publikum vorhanden ist. Bereits in der Vergangenheit konnte Narcos-Anbieter Netflix mit bemerkenswerten Non-Fictional-Serien punkten – etwa über die umstrittene Sannyasin-Ansiedlung in Oregon (Wild Wild Country) während der Achtziger oder die gesetzlosen Zustände, welche das Hin und Her um die Marihuanaanbau-Freigabe in Nordkalifornien gezeitigt hat (Murder Mountain). Darüber hinaus stellen die in Narcos beschriebenen Drogenpaten einen recht simplen Umstand unter Beweis: Anders als es einschlägige Thriller-Produktionen nahelegen, werden auch die Handlungsweisen im Bereich der organisierten Kriminalität keinesfalls ausschließlich von Testoron-Überschuss bestimmt. Ein Beispiel für diese Form Rationalität: Berliner Drogen-Endbelieferer (im Volksmund: »Drogentaxis«), welche die strikte Einhaltung der Corona-Regeln zur Bedingung für die Belieferung machen. Eine Form 2G, dessen Nichteinhaltung durchaus Konsequenzen nach sich ziehen kann – die nämlich, von der Telefonliste gestrichen zu werden.

Noch anders gesagt: Über die Action hinaus (welche furios in Szene gesetzt ist und gerade in Kombination mit den Drama-Elementen ihre stimmige Wirkung entfaltet) dokumentiert Narcos eine Entgrenztheit, die unmittelbar mit den politischen Verhältnissen zu tun hat, welche die Serie ebenfalls nicht ausspart. Personen-Feinzeichnung – auch wenn sie durchaus vorhanden ist, etwa in der melancholisch gezeichneten Liebesgeschichte zwischen Amado Fuentes und einer kubanischen Nachtclub-Sängerin, oder bei der Darstellung der in Auflösung begriffenen Ehe des DEA-Ermittlers Walt Breslin – tritt letzten Endes zurück zugunsten der Detailzeichnung desolater, entgrenzter Gesamtverhältnisse. Das ist sicher spannend – zeigt zugleich jedoch viel von den Gründen, wieso Mexiko mittlerweile als Staat gilt im Grenzbereich des Etiketts »gescheitert«. Wobei – wie wir aufgrund der historischen Serien-Genauigkeit wissen – Narcos: Mexico lediglich die Vorgeschichte der aktuellen Verhältnisse zeigt.

Narcos: Mexico. TV-Serie, Staffel 3. Hauptdarsteller: Scoot McNairy, José María Yazpik, Alejandro Edda, Luisa Rubino und andere. Idee und Produktion: Carlo Bernard und Doug Miro. 10 Folgen. Ausstrahlung: im Streaming-Angebot von Netflix (seit 5. November)

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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