Die schwindende Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Öffentlich-Rechtliche Wie bei den meisten Dingen entscheidet das rechte Maß, ob etwas zielführend ist oder nicht. In Bezug auf das Reizthema »Wokeness« haben die Ö/Rs schon seit längerem jedes Maß und jede Mitte verloren. Eine aktuelle Bestandsausnahme.

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Als alles noch besser war: das alte Logo der ARD

Ich gebe es zu: Um das derzeitige Mediatheken-Angebot der Öffentlich-Rechtlichen überhaupt in einem diskursiven Rahmen abzuhandeln, war es vonnöten, das Problem via Überschrift stark zu verharmlosen. Unbeschönigt ausformuliert nämlich haben die beiden Hauptsender vollflächig auf zwei Schwerpunkte umgeschaltet: Propaganda für woke Lebenseinstellungen im allgemeinen Sinn und Harmlosigkeit in einem Ausmaß, welche den Herstellern von Schlaftabletten ernsthaft Konkurrenz zu machen droht. Anvisierte Zielgruppen scheinen nur noch in zwei Aggregatzuständen vorzukommen: a) als staatstreue Jugendliche mit starker Wokeness-Affinität und guter Ausbildung, b) als Fans von Baumärkten, Game-Shows und ähnlicher Instant-Unterhaltung. Ebenfalls unübersehbar, verglichen mit 2013 oder auch noch 2017: der zunehmende Hang zu kurzen Formaten – Sparzwängen vermutlich ebenso geschuldet wie den vermuteten Maximal-Aufmerksamkeitsspannen der anvisierten Zielgruppe(n).

Das Angebot

Alles übertrieben? Der Kopfleisten-Slot der ARD-Mediathek empfahl am Nachmittag des 17. September folgende Auswahl:

Motorsägen Masters (Game-Show)
Die Sendung mit der Maus (Kinderprogramm)
Das große Menschenraten mit Aurel Mertz (Game-Show)
Tod den Lebenden (Dramedy-Miniserie)
50 Jahre König | Carl Gustav von Schweden (Infosendung; 10 Minuten)
Slava der Hund (Miniserie für Kinder)
Ingo Zamperoni: Mein Italien unter Meloni (Reportage)
Deutsche Schuld: Namibia und der Völkermord (Reportage)
Haftbefehl gegen Enissa Amani - Der AfD-Streit geht weiter (Jugend-Talk)

Die Konkurrenz vom ZDF hielt dagegen mit:

30 Minuten oder weniger (TV-Thriller; mit Altersfreischaltung; ab 16)
Wir (Drama-Serie)
Better Call Saul (Drama-Serie)
Sugar (Spielfilm)
37 Grad Leben: Risse in unserer Gesellschaft (Dokureihe)
ZDF Magazin Royale (Satire)
ZDFbesseresser – Lege packt aus (Verbrauchertest-Sendung)
Pure (Dramedy-Serie)
Katie Melua: From the Rivoli Ballroom (Live-Concert)

Die Auswertung

Bemerkenswert ist die aufgelistete Programm-Auswahl in mehrererlei Hinsicht. Einerseits enthält die Hauptleiste im Fenster der jeweiligen Mediathek lediglich eine vergleichsweise kleine Auswahl der zur Verfügung stehenden Sendungen. Andererseits ist die Infoleiste das Schaufenster des jeweiligen Senders. Unter der Maßgabe, dass eine personalisierte Auswahl natürlich nicht ausgeschlossen werden kann und sich der Slot-Inhalt sowieso minütlich ändert, präsentiert sie das, was der jeweilige Sender eben als »besonders sehenswert« hervorhebt.

Kommen wir zur Generalcharakterisierung. Ich persönlich – die Geschmäcker mögen hier verschieden sein – habe hierfür drei Gruppen angesetzt: »woke« (als Stichwort für besonders identitätsbezogen respektive auf einen entsprechend vorausgesetzten Lifestyle abzielend), »spießig« (als Charakterisierung für Sendungen, die vor allem ein extrem normales Publikum bedienen – respektive die Vorstellungen, die man innerhalb der Sender von einem solchen hat) und »informativ«. Einige der aufgelisteten Sendungen fallen notgedrungen durch dieses Raster. Weil die Indikatoren so deutlich waren, habe ich es bei diesen belassen. Die Auswertung: vier der insgesamt achtzehn Sendungen fallen unter die Rubrik »spießig« und drei unter die Rubrik »informativ«. Fünf widmen sich der Verbreitung oder doch dem Näherbringen von wokem Lebensgefühl; die restlichen sechs der insgesamt achtzehn Sendungen ließen sich keiner der drei Rubriken zuordnen.

Bei den »woken« Programmen stechen vor allem die Serien hervor. Um Tod den Lebenden und Wir mit Gewinn konsumieren zu können, ist es geradezu zwingend vonnöten, vorab bereits gedanklich im Kosmos dieser Denkensart zuhause zu sein. Auf fällt bei den zwei »woken« Miniserien eine weitere Eigenheit: die vergleichsweise kurze Dauer der einzelnen Folgen (bei Wir: durchschnittlich 20 Minuten à Folge, bei den sechs Folgen von Tod den Lebenden: immerhin 20 bis 30 Minuten). Inhaltlich auffällig: die fast ausschließliche Fokussierung auf Beziehungen, inszenatorisch die auf Innenraum-Aufnahmen und Dialoge.

Dass hier »wokes« Lebensgefühl mit dem Sparstift in Szene gesetzt wird, lässt sich ernsthaft kaum bestreiten. Auffällig darüber hinaus ist das Fehlen jedes ernsthaften Handlungsstrangs – so, als hätte die Generation SmartPhone verlernt, was ein Spannungsbogen überhaupt ist. Auf Aufmerksamkeitsreduktion setzen jedoch auch die flankierenden Info-Formate – etwa der Zehnminüter zum schwedischen Königshaus. Ebenfalls an der Oberfläche verbleiben die auf jugendliches Zielpublikum abgestellten Talk-Formate. Besonders ärgerlich hier: die ZDF-Formatreihe 37 Grad Leben, die – unabhängig vom abgehandelten Thema – so konstruiert ist, dass sich zwei Meinungskontrahenten in der harmonischen Mitte treffen. Die Themen: rund um das Generalthema »Wokeness« – so auch eine Folge, in der diese explizit im Mittelpunkt steht.

Mitunter findet sich in der Aufmacherleiste eine Sendung, die – ohne vorhersagbare Enttäuschung – zum Hineinsehen verleitet. Ingo Zamparonis Italien-Reportage erfindet zwar nicht das Genre neu. Ein Stimmungsbild darüber, wie Italiener und Italienerinnen ihre frischgebackene Ministerpräsidentin sehen, vermittelt sie trotzdem. Darüber hinnaus wartet das aktuelle ZDF-Angebot mit einer echten Qualitätsserie auf: Better Call Saul. Die ist zwar Wiederholungs-Ware – allerdings Wiederholungs-Ware in einem Umfeld, in dem man dankbar für jede Abwechslung ist.

Aufällig des Weiteren: der (noch) Wokere der beiden Ö/R-Hauptsender ist die ARD. Dies betrifft vor allem den Anteil an Sendungen, die offensichtlich dieser speziellen Art von Mission gewidmet sind. Beim ZDF leistet man sich zwar ebenfalls eine Reihe Ausreißer hinein ins Reich der Peinlichkeit (vor allem bei dem Jugendkanal-Outlet neo). In der Summe jedoch scheint man den Faktor (nicht ganz so abgründige) Unterhaltung in Mainz ernster zu nehmen als beim föderativen Senderverbund.

Werten – oder die angerissenen Sende-Formate tiefer zur Diskussion stellen – will dieser Beitrag explizit nicht. Dem Autor schien es lediglich vonnöten, am konkreten Exempel darzustellen, wie sich das Programm der Ö/R-Mediatheken in der Praxis darstellt. Der dritte im Mediathek-Bund – arte – wurde dabei bewusst ausgelassen. Der Grund: Als letzte kulturelle Nische im Gesamtverband der Öffentlich-Rechtlichen ist das Angebot von arte mit dem der beiden anderen Ö/R-Mediatheken nur schwer vergleichbar. Der Tipp so am Ende: Wer in der ersten Reihe verzweifelt oder partout nicht finden will, dass man mit dem Zweiten besser sieht, für den hat arte eine Wiederholung in petto, die zumindest vier Serienstaffeln lang den gröbsten Ärger vergessen macht: die dänische Kultserie Borgen. Ein weiterer Vorteil von arte: die Altersfreigabe, die bei den beiden Stammanstalten Geduld sowie fortgeschrittene IT-Kenntnisse erfordert, wurde dem Baden-Badener Outlet zwischenzeitlich zwar auch aufgenötigt. Bislang jedoch – toi toi toi – in einer nicht so ganz hakeligen Variante.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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