Phantomangst vor Populismus

Deutschland Das Volk will Söder, eine breite Establishment-Querfront hingegen Laschet. Der derzeit geführte Luxus-Machtkampf könnte das, was abgewehrt werden soll, erst wahr machen

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Als Tiberius Gracchus vor 2154 Jahren den Entschluss fasste, den Großgrundbesitz des alteingesessenen römischen Patriziats zu beschneiden, ahnte er – vermutlich – nicht, dass seine Aktivitäten in einen hundertjährigen Bürgerkrieg münden würden. CSU-Kanzlerkandidat Markus Söder trägt sich – aller Voraussicht nach – sicher ebenfalls nicht mit der Absicht, einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen. Nichtsdestotrotz wurde seine Weigerung, die Entscheidung einer Hinterzimmerrunde als »Aus« für seine Kanzlerambitionen zu akzeptieren, parteiübergreifend so gewertet. Bemerkenswert – ja sogar: ungewöhnlich – ist das in mehrererlei Hinsicht. Zum einen in Sachen Beliebtheitsbonus. Bei den drei derzeit ausgemachten Kanzlerkandidaten gibt Laschet mit gerade mal 14 Prozent das Schlusslicht. Unionsintern liegt er – gegenüber Söder – ebenfalls weit hintan. Noch schlimmer: Selbst bei den Unions-Wähler(innen) trauen weitaus mehr Söder zu, den Corona-Karren aus dem Dreck zu ziehen, als dem Rheinländer.

Nun hängt in der Politik alles mit allem zusammen. Zum einen wäre die ganze Chose ein Luxusthema – gäbe es nicht Corona. Die Bekämpfung des Virus indes kommt seit Monaten nicht vom Fleck. Das hat unterschiedliche Gründe. Ein wesentlicher ist die föderative Kleinstaaterei – ein Gordischer Knoten aus überbordender Bürokratie, Sonderregeln, Lockerungsversprechen, persönlichen Eitelkeiten, undurchsichtigen Deals, undurchsichtigen Präferenzen und – last but not least – ganz viel Ineffizienz. Sicher ist es unfair, hier ausschließlich den Länderchefs den Schwarzen Peter zuzuschieben. Merkels mittlerweile zwei Wochen andauerndes Nachdenken sowie das gemächliche Tempo, mit dem nunmehr an einer „Bundesnotbremse“ herumlaboriert wird, sind im Grunde nicht weniger schlimm (respektive: verhängnisvoll) als peinliche PR-Wortkonstrukte aus der Düsseldorfer Staatskanzlei. Folge: die Expertenschaft warnt nicht nur, sondern ist mittlerweile geradezu alarmiert; die Inzidenzen sind kurz davor, durch die Decke zu gehen und die Intensivstationen bald am Rande ihrer Kapazitäten.

Betrachtet man den Ernst der Lage, wäre der unionsinterne Streit um die Kanzlerkandidatur selbst bei normalem Verlauf ein Luxusthema. Auffällig – um nicht zu sagen: ins Gesicht springend – ist allerdings die Entschiedenheit, mit der sich ein loses, dafür jedoch franktionsübergreifend breit aufgestelltes Bündnis aus Politfunktionären und Medienbetrieb-Einflüsterern nunmehr für Armin Laschet stark macht. Die taz – gemeinhin eher als parteigrüne Haus-und-Hofzeitung bekannt – berichterstattet über die Unions-Kanzlerfrage in einem Stil, als sei sie Armin Laschets persönliche PR-Agentur. Frank Plasberg, schon via Talk-Titel eigentlich der Fairness verpflichtet, ließ am 13. April selbst die letzten Reste journalistischer Ausgewogenheit in seinem Homeoffice zurück. Nicht nur, dass die Runde fast ausschließlich mit Laschet-Groupies besetzt war. Auch der Moderator selbst bemühte sich konstant, Markus Söder als Verursacher einer veritablen Staatskrise an die Wand zu malen.

Eine Form der Berichterstattung, die sonst eigentlich nur verifizierten Staatsfeinden wie etwa Wladimir Putin zuteil wird. Eine Staatskrise – nur weil ein Kandidat das Votum eines Hinterzimmergremiums nicht als letzten Spruch zu akzeptieren bereit ist? Das unsichtbare Gespenst, das durch das »Hart aber fair«-Studio ebenso rauschte wie durch die Beitragsspalten der grünen Hauspostille, war fast mit den Händen zu greifen: die Phantomangst vor einem wie auch immer gearteten „Populismus“. Genauer: die Sorge, dass den professionellen Deuter(inne)n und Macher(inne)n des etablierten politischen Betriebs das Heft des Handelns entgleiten könnte. Befördert worden war diese Angst sicherlich von einem weiteren Ereignis: der Nominierung der ebenso prominenten wie populären Sahra Wagenknecht für den Spitzenplatz der NRW-Linkspartei. Auch gegen Wagenknecht wurde die geballte Macht antipopulistischer Ressentiments aufgefahren (siehe auch diesen dFC-Beitrag). Anders als bei Laschet fällte bei Wagenknecht allerdings nicht eine Hinterzimmerrunde die Entscheidung, sondern – so kann’s gehen – ordentliche Delegierte.

Das Gespenst des Populismus geht um in Deutschland. Die Reaktion des offiziellen Politikbetriebs? Ein Mehr an offiziellem, althergebrachten Politikbetrieb – notfalls auch in seiner allerschlechtesten Variante. Nicht umsonst vermittelte der Plasberg-Talk über weite Strecken den Eindruck, hier säßen Vertreter des Ancien Regime zusammen und planten aufgeregt, mit welchen Finten der Dritte Stand doch noch außen vor gehalten werden könne. Das ist bereits unter normalen Umständen nur noch schwer zu vermitteln. Im Anblick des derzeitigen Mixes aus langanwährender Krise und Staatsversagen (Sascha Lobo) ist derlei – man kann es nur schwer beschönigen – verantwortungslos und politisch in höchstem Maß explosiv. Zumal mit Armin Laschet nicht eine beliebige persona aus der alten, etablierten Macher-Garde auf den Schild gehoben wird, sondern exakt jener Exponent, der einer falschen, gefährlichen, fahrlässigen Pandemiebekämpfungsstrategie seit nunmehr einem Jahr das Wort redet.

Man kann die Motive, welche Grüne, FDPler, Medienschaffende sowie Andere derzeit zum Einsatz für Laschet umtreiben, durchaus auf rationale Restüberlegungen hin abklopfen. Sicher mag für den einen oder die andere links der Mitte die Vision verführerisch sein, einen erwiesen unpopulären Unions-Kandidaten in den Wahlkampf ziehen zu lassen. Ebenso eine Rolle spielt das – scheinbar – geringere Übel eines „Schreckens ohne Ende“ und dessen Schmackhaftmachung durch allerlei Lockerungen oder notfalls auch „Brücken“: die Linie in der Pandemiebekämpfung, für die Armin Laschet steht. Mit eine Rolle in diesem verzweifelten Gedanken-String mag schließlich auch die Vorstellung spielen, dass die gelockerte Wirtschaft auch unter sonst unveränderten Pandemiebedingungen wieder anspringt und psychologische Momente bei alldem keinerlei Rolle spielen.

Was auch immer an Kalkulationen dahinterstecken mag – das Resummée dazu kann kurz ausfallen: Anklang in der Bevölkerung finden sie lediglich bei einer Minderheit. Die Mehrheit möchte raus aus der Corona-Krise. Endlich, richtig, beherzt – und nicht nur vermittels Trostpfästerchen, Substitutaten und sonstigen Versprechungen. Die Ignoranz dieses Willens, wie sie sich derzeit in Teilen des politischen Betriebs zeigt, könnte mittelfristig noch üble Folgen nach sich ziehen. Nicht nur hinsichtlich der ad-infinitum-Fortsetzung des gegenwärtigen Zustands. Sondern auch im Hinblick auf Staatsmüdigkeit und Politikverdrossenheit.

Wer Demokratie ernst nimmt, sollte den Willen der breiten Massen nicht gänzlich außer Acht lassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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