Solidarität mit Uli Hoeneß? – Unter Umständen

Hoeneß Nicht alles ist so, wie es scheint. Feinde nicht unbedingt Feinde, Freunde nicht unbedingt Freunde. Ein Kommentar zur (sehr einseitigen) moralischen Steuerempörung.

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Er hat es getan. Wie man liest, nicht im kleinen Stil. Der Ex-Nationalspieler und derzeitige Präsident des FC Bayern München soll – den aktuellen Meldungen zufolge – mit Millionenbeträgen beim bundesdeutschen Fiskus in der Kreide stehen. Bislang erfolgte eine Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung; aus stehen Millionenbeträge; die Ermittlungen laufen; was Genaueres weiß man nicht. Dass nicht nur Manager wie Klaus Zumwinkel sowie Inhaber mittelständischer Firmen Steuerparadiese schätzen, sondern auch zahlreiche Promis, zeigen unter anderem die Fälle Boris Becker und Peter Graf. Fazit: Steuerhinterziehung – auch und gerade in der A-Liga – ist nicht gerade eine Meldung, die vom Hocker haut. Frage ist, inwieweit der Mann zu verurteilen ist. Sicher – soweit die Fakten auf dem Tisch liegen, scheint der Fall klar. Selbstanzeige bedeutet Nachzahlung; je nach Zeitraum kann hier eine Summe zusammenkommen, die auch am Tegernsee schmerzt. Sicher bedeutet sie auch Ermittlungen. Die Finanzbehörden möchten es nunmehr ganz genau wissen. Steuervertrauen ist zerbrochen – kann man ihnen ebenfalls schwer verdenken. Auch an dem moralischen Furor, der jetzt über ihn hereinbricht, ist Hoeneß nicht ganz unschuldig – inszenierte er sich doch noch wenige Monate zuvor als bodenständiger Talkshow-Saubermann, der über die steuerflüchtigen Schönen und Reichen vom Leder zog.

Nun hat es den populär-streitbaren Bayern-Funktionär ebenfalls erwischt. Ein Anlass für Schadenfreude? Für die Propagierung von Rechtschaffenheit, einer neuen vielleicht gar? Sollen wir uns einreihen in die Front der Steinbrücks, Jauchs und Wills, und das Loblied vom ehrlichen Steuerzahler anstimmen, der seine Kontoauszüge eventuell sogar freiwillig ins Internet einstellt? Konkreter gefragt: Taugt der Fall Hoeneß, um erneut herzuziehen über die gewissenlose Upper Class, die sich vor ihrer Pflicht an Volk und Vaterland drückt und dafür lieber mit der Jacht, Champagner und amüsierfreudigen C-Sternchen an Bord von St. Tropez nach San Remo schippert? Prüfen wir zunächst die Fakten. Einen aufschlußreichen Blick ins Innere der Causa Hoeneß lieferte am 21. April der Talk bei Günther Jauch. Geladen waren NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der sonst eher für humorigere Angelegenheiten zuständige Entertainer Oliver Pocher, der ZDF-Sportmoderator Dieter Kürten, Dieter Ondracek von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG) und Jörg Quoos, Chefredakteur jenes Wochenmagazins, das die Hoeneß-Story ausgegraben hatte. Bemerkenswert am Jauch-Talk waren vor allem zwei Dinge. Erstens der Ernst, mit dem die versammelte (und vom Verdacht eigener Steuerunehrlichkeit selbstverständlich freie) Runde die Fehltat verurteilte und im Verlauf des Gesprächs die Rehabilitationschancen des Sünders eruierte: Trotz Pocher, der stellenweise etwas Mühe hatte, sich auf die ernste Stimmung einzustellen, mutete die Runde streckenweise an wie eine Mischung aus protestantischer Messe und TV-Gerichtsverhandlung.

Den zweiten, faktisch interessanteren Aspekt lieferte Wolfgang Kubicki – abwechslungshalber nicht in seiner Normalrolle als Paradegesicht des noch vorzeigbaren Teils der FDP, sondern als Steueranwalt. Unter anderem legte Kubicki die rechtliche Situation dar, in der Hoeneß nunmehr steckt. Welche Schritte im Lauf der nun angelaufenen Ermittlungen möglich sind; welche Konsequenzen Hoeneß möglicherweise zu fürchten hat. Simple Frage: Reicht es nicht, wenn der Mann nachzahlt, einen Denkzettel draufkriegt, und gut ist? Wer so denkt, kennt nicht die Grimmigkeit, mit der deutsche Bürokratien zu mahlen belieben. Und nicht die Freude, mit der der deutsche Michel einen fallen sieht – vor allem einen, den er weit oben vermutet. Gut; Uli Hoeneß mag sich erholen, so wie Michel Friedmann, Jörg Kachelmann und andere ihren Karriereknick ebenfalls verkraftet haben. Die ins Haus stehenden Nachzahlungen und Strafgelder werden ihn sicher ebenfalls nicht ruinieren. Zudem kommen sie bekanntlich dem Kindergarten um die Ecke und den Schlaglöchern auf der Hauptverkehrsstraße im Viertel zugute. Darüber hinaus hat die Sache Showwert. Der gemeine Bürger kann man sich mit einem Schauer abwenden und sagen: Naja, sowas trifft nur Promis. Und die können gar nicht wirklich tief fallen. Ihn und sie, den hart arbeitenden Michel und die zuverdienende Michaela, kann es niemals so erwischen. Nie.

Niemals? Eine Aussage, die leider nicht einmal halb stimmt. Auch Promis – siehe das Beispiel Gunter Gabriel – stranden gelegentlich hart. Wesentlicher jedoch ist, dass der deutsche Fiskus längst nicht nur unter Palmenoasen nach Penunzen fahndet. Um genauer zu sein: Palmenpromenaden am Zürichsee sind steuertechnisch eher ein Nebenkriegsschauplatz. Im Sozialdschungel des unteren Drittels hingegen herrscht bereits seit Jahren Steueralarmstufe Rot. Wie das? Hat Deutschland nicht eine fast vorbildliche Steuerprogression – Steuersätze, nach denen die nicht so Wohlhabenden wenig, die Wohlhabenden viel und die ganz Armen keine Steuer zahlen? Sicher, mag manch einer sagen, bei der kalten Progression kann man durchaus die ein oder andere Stellschraube nachrichten. Aber sonst? – Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Bereits das deutsche Steuerrecht – seine Formalien, sein Umfang, seine zahllosen Sonderregelungen, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen – ist so kompliziert gestrickt, dass selbst Profis nicht mehr durchblicken (befindet selbst das hier unverdächtige Handelsblatt). Die Praxis: Jemand, der keinen Steuerberater anheuern kann (oder zumindest „gut kennt“), findet sich schnell in existenzruinierenden Auseinandersetzungen – mit einem Behördenmoloch, der, rechtlich abgedeckt und mit allerlei Sonderbefugnissen ausgestattet, wie ein eigener „Staat im Staat“ agiert.

Zugegeben: Die weltweit einmalige deutsche Steuerprozedur – insbesondere die Praxis der Finanzämter, in unergründlicher Chaotik Vorauszahlungsbeträge, Abgabe- und Zahlungsfristen festzusetzen – sorgt für Unmut, seit es sie gibt. Die „Bierdeckel-Parole“, mit der die CDU 2005 in den Wahlkampf zog, war inhaltlich nicht ganz grundfalsch, sondern lediglich unglaubhaft. Essentiell verschärft hat sich die Lage an der deutschen Steuerfront durch die Folgen der Hartz-Gesetze und Agenda-Reformen – vor allem durch den von Rot-Grün stetig ausgeweiteten und zur „Ich-AG“ geadelten Sektor der neuen Dienstleistungen. Fazit: „Fiskaltechnisch“ trifft der Staat immer weniger auf die klassischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sondern vielmehr auf Patchwork-Berufsbiografien – Menschen, die sich durchwursteln: als Freiberufler, als Selbständige mit kleinen Klitschen, als Quereinsteiger, Aufstocker, als Alleinerziehende, als Emigrant(in) mit befristeter Aufenthaltserlaubnis oder befristetem Visum, und so weiter.

Jeder „Kiez-Milieunär“ gleich ein Millionär? Ein Urlaub im Jahr ist, mit Ach und Krach, vielleicht drin. Viel zu verdienen ist in diesem Mileu, von Ausnahmen abgesehen, jedoch nicht. Der finanzkrisengeplagte Fiskus scheint allerdings vom Gegenteil auszugehen. Gerade „unten“ schöpfen Steuerfahnder und Finanzämter mit steigender Erbarmungslosigkeit ab. „Geschätzt“ bedeutet hier oft: Phantasiezahlen, „Hochrechnungen“ im allerwörtlichsten Sinn, nicht vorhandene (aber stillschweigend erwartete) „mittelständische“ Finanzpolster, kräftezehrende Auseinandersetzungen mit Behörden, Besuche von der Steuerfahndung, Überschuldung, Privatinsolvenz und Hartz-IV. Ergebnis: ein von Staats wegen betriebener Drehtüreffekt – von der staatlich abgefackelten Existenz (nebst astromisch hohen Schuldtiteln, die die Betroffenen zumindest sieben Jahre lang als stetiger Aufmunterer begleiten) zum Amt mit seinen Schikanen, und so weiter. Was dann? Am Ende dieser staatlich produzierten Lose/Lose-Situation (dem bekannten Bonmot zum Trotz bevorzugen staatliche Behörden noch immer die Methode „Schlachten statt Melken“) bleibt zumindest dem komplettausgepauperten Teil des neuen Prekariats nur noch ein Platz im deutschen Exportwunderland. Wenn man so will, ist dies auch ökologisch sinnvoll durchdacht. Denn: Wer entsorgt sonst den Flaschenmüll in unseren Fußgängerzonen?

Man muß Steuerhinterzieher, verurteilte oder „nur“ mutmaßliche, nicht lieben. Man muß sie nicht einmal sonderlich symphatisch finden. Kontrastiert man die Schein-Empörung über Wulff, Hoeneß oder andere „Gefallene“ mit der kompletten Realität und addiert dazu das Moralprogramm, dass dem einfachen Volk mit stetig zunehmender Penetranz aufs Auge gedrückt wird, wird einem klar, warum Deutschland den Menschen anderswo auf der Welt irgendwie als Land erscheint, dass zwar sauber und perfekt erscheint, aber gleichermaßen seelenlos und überbürokratisiert (Lesetipp). Autoritäres Durchregieren ist dabei keinesfalls eine Domäne der klassischen Konservativen: So etwa macht die Regierung von Talkshow-Teilnehmer Borjans unter Hannelore Kraft aktuell vor allem dadurch von sich reden, dass sie E-Rauchern nach Kräften das Leben vermiest. Das Thema Katastrophe in Duisburg 2010 hingegen, ein Ereignis, bei dem mehrere Dutzend Menschen umkamen und wo nach wie vor Aufklärungsbedarf herrscht, ist für NRW-Regierungstellen hingegen kein Thema mehr. Fazit: Der Fall Hoeneß ist, wie andere in der Liga ebenso, Flimmerkram fürs Gemüt, ein TV- und Medienplacebo. Noch schlimmer: Politik und Medien nehmen ihn als Anlass, Staatsbürgerwerte zu predigen. Arbeitsamkeit, Steuerehrlichkeit, transparente Bürger. Insgesamt also eine Situation, in kaum Zustimmung angesagt ist. Vielmehr verstärkte Vorsicht sowie staatskritisches, demokratisches Mißtrauen. – Ganz persönliche Meinung: Mäßige Ungleichheit bei sozial vorbildlicher Absicherung, Steuersünder und, nun ja, Mick Jagger als Idol fände ich persönlich erstrebenswerter als verbiesterte Moralapostel in Talkshows, 100.000 Pfandflaschenjunkies in Fußgängerzonen und, sagen, wir, Joachim Gauck als staatlich verordneten Popstar.

Richard Zietz bloggt bei freitag.de. Darüber hinaus betätigt er sich als kritischer Autor bei dem Online-Portal Wikipedia.

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

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