Drakonische Sanktionspläne

Sparpläne Geht es nach aktuellen Plänen von Arbeitsminister Heil, kommen auf »arbeitsunwillige« Bürgergeld-Bezieher(innen) 2024 drakonische Sanktionsverschärfungen zu. Wie die SPD das angeblich überwundene Hartz-IV-System in großem Stil re-etabliert.

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Ein sozialpolitischer Star im Sinkflug: SPD-Arbeitsminister Heil will mit »Knallhart«-Plänen das Haushaltsloch sanieren

Vielleicht war es eine Art Deja-vu, als Hubertus Heil via BILD am letzten Donnerstag seinen »Knallhart-Plan« offenlegte – in dem Medium also, das bereits Altkanzler Schröder beim Durchpeitschen seiner Agenda-Gesetze maßgeblich nutzte. Die Fakten: Ab 2024 sollen Jobangebote-verweigernde Bürgergeld-Bezieher (von BILD, offenherzig wie stets, als »Faulpelze« tituliert) weitaus härter sanktioniert werden als aktuell. Konkret sehen die Heil-Pläne eine zweimonatige Komplettstreichung des Regelsatzes vor. Die nötige Gesetzeslücke hierfür hat Heil ausgerechnet in jenem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsberichts endeckt, welches die maximale Sanktionshöhe auf 30 Prozent des Regelsatzes begrenzt. Denn, so Heil: in bestimmten Fällen ermögliche das BVG-Urteil auch eine hundertprozentige Streichung des Regelsatzes.

Gesucht: 150.000 »Faule« sollen Haushaltsloch stopfen

Über den anlassgebenden Grund für die geplante Sanktionsverschärfung geben Heil, BILD, tagesschau.de, Spiegel sowie der Chor der restlichen Medien ebenfalls Auskunft: die geplanten Haushaltskürzungen, zu denen jedes Ministerium nunmal seinen Teil beizutragen habe. Der angesetzte Einspar-Anteil des Arbeitsministeriums beläuft sich der »Knallhart«-Berichterstattung zufolge zufolge auf rund 170 Millionen – verglichen mit dem milliardenschweren Gesamtloch zwar eher mickerig, für potenziell in Mitleidenschaft Gezogene allerdings eine ziemlich existenzielle Angelegenheit. Noch bitterer dürfte die geplante Rezeptur werden, wenn Betroffene den Taschenrechner auspacken – und beim Nachrechnen feststellen, dass die Heil’schen Absichten nichts weiter sind als ein schlecht camoufliertes Gebäude aus Tricks und falschen Zahlen.

In der kommunizierten Fakten-Base unaufrichtig ist bereits der kommunizierte Grund – oder besser: Anlass. Angezogen wird die Sanktionsschraube nicht etwa deswegen, weil eine galoppierende Faulpelze-Pandemie die Politik zu einer solchen Maßnahme oder Gesetzes-Nachjustierung zwingt. Profaner Anlass ist vielmehr das durch ein BVG-Urteil verursachte Haushaltsloch von 17 Milliarden, dass nunmehr – den Regieanweisungen der Lindner-FDP folgend – via Haushaltskürzungen eingespart werden soll. Mit anderen Worten: Menschen werden nicht etwa dafür bestraft, dass sie »faul« sind. Die Strafe erfolgt allein aus dem Grund, weil der Bestrafer Strafgelder einspielen möchte – und sich die Anzahl der dazu benötigten Delinquenten nach Gusto zusammenaddiert.

Zustände also fast wie bei der altrömischen Dezimation. Weil in der Politik auch dann Schuld und Schuldige her müssen, wenn es um simple, machiavellistische Vernutznießung geht, sind nunmehr wieder die Bürgergeld- und Grundsicherungs-Bezieher(innen) an der Reihe. Hier läuft das Spiel mit vagen Angaben und falschen Zahlen geradezu zu Hochform auf. Auf der einen Seite argumentiert Arbeitsminister Heil mit »einigen wenigen«, welche das Sozialsystem – seiner Auslegung gemäß – mißbrauchen. Rechnet man die beabsichtigte Sanktionsverschärfung indess durch, wird schnell klar, dass zur Erfüllung des Soll-Ziels weitaus mehr Personen benötigt werden als nur »einige wenige«. Denn: Damit die in der Pipeline befindlichen Vollsanktions-Schocker die anvisierten 170 Millionen Haushaltsersparnis einspielen, müssen – ausgehend von 2 Monaten Regelsatz-Einsparung = 1112 Euro und 5,5 Millionen Leistungsempfänger(innen) – à Jahr 152.877 Bürgergeld-Bezieher(innen) auf diese Weise sanktioniert werden. Gegengerechnet: Nur bei 152.877 Sanktionierten kommt man – eine Zweimonats-Vollsanktion pro Jahr zugrundegelegt – auf den zum Ziel gesetzten Einsparbetrag von 170 Millionen. Bei weniger Sanktionierten hingegen – etwa 100.000 oder gar nur 50.000 – wird das Einsparziel verfehlt oder sogar deutlich verfehlt.

Die von Hubertus Heil anvisierten Sanktions-Dimensionen übersteigen nicht nur das derzeit praktizierte Sanktions-Level: Im Bereich Bürgergeld mit 3,9 Millionen Empfängern betrifft dies – dem Magazin FOCUS zufolge – derzeit einen Personenkreis von 23.400. Wobei geringfügige Sanktionen (etwa in Höhe von 10 Prozent des Regelsatzes) in dieser Zahl ebenso darin enthalten sind wie höhere (die allerdings laut BVG-Urteil von 2019 die 30-Prozent-Marke nicht übersteigen dürfen). Die Argumentation ist auch insofern doppelbödig, weil sich 150.000 potenziell Sanktionierte kaum mit dem Etikett »wenige« umreißen lassen. Wollte er seine Argumentation glaubwürdig-stimmig vertreten, hätte der Arbeitsminister eher von einem »Bodensatz« arbeitsunwilliger Leistungsempfänger reden müssen – was folgerichtigerweise Auskunft erforderlich gemacht hätte über die Kritierien, nach denen der Arbeitsminister eine derart hohe Personen-Anzahl auf derartige Weise abklassifiziert

Ob »einige wenige« oder doch mehr: Fact ist, dass der Arbeitsminister eine Personenanzahl im unteren sechsstelligen Bereich benötigt, damit die geplanten Einsparungen realisiert werden können. Gibt es so viele »Sozialschmarotzer«, wie uns Hubertus Heil – und mit ihm die konservativen Hardliner von Union bis AfD – weismachen möchten? Zu klären wäre an dieser Stelle vielleicht die heiße Frage, die derzeit die gesamte Republik umtreibt: Gibt es arbeitsunwillige Leistungsbezieher(innen)? Die lapidare Antwort: Ja – in den von BILD und Hubertus Heil an die Wand gemalten Dimensionen vermutlich einige Hundert. Frage: Muß die Politik da intervenieren? Antwort: ebenfalls Ja. Sofern man der Ansicht ist, dass nachrangige Probleme (wie zum Beispiel: nicht hundertprozentige Erfüllung von Sekundärtugenden) ganz oben auf die Agenda auszuführender Aktivitäten gehören, und das gesellschaftliche Gesamtgebäude im Anblick dieser vorrangigen Aufgabe zwischenzeitlich ruhig einstürzen kann.

Die Frage von Arbeitsmotivation – und auch die, inwieweit Arbeit (neben Auskommen) auch Lebenszufriedenheit und Sinn schafft – soll an der Stelle keinesfalls bagatellisiert werden. Nur ist es so, dass keiner derjenigen, die diese Fragen stetig als dringlich aufwerfen, an einer Antwort oder gar an einer nachhaltigen Lösung interessiert ist. Die Richtung – der sich neben Christian Lindner nunmehr auch Hubertus Heil mitsamt seinen Sozis angeschlossen hat – geht eher in Richtung großflächige Entsolidarisierung. Vorbild und ganz konkret auf der Agenda: jenes sozialbrutalistische Modell, welches die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im letzten Jahr durchexerziert hat. Ziel: Sozialleistungen – Nein Danke! Sollen sie doch verrecken – oder eben Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben.

Hubertus Heil: ein Hoffnungsträger im Sinkflug

Für Hubertus Heil und seine Partei ist ein weiterer Punkt von Relevanz: Arbeitsminister Heil hat der Nach-Hartz-IV-SPD nachgerade ein Gesicht verliehen. Möglich, dass nur ein Schröderianer wie Heil eine spürbare Abkehr vom Hartz-System innerparteilich durchsetzen konnte. In der Praxis sind die sozialpolitischen Reformen der Ampel zwar eher überschaubar ausgefallen. Die im Zug der Bürgergeld-Reform 2022 vorgenommene Anpassung der Regelsätze sowie der zum 1. Januar 2024 in Kraft tretende Inflationsausgleich sind allerdings mehr als nichts. Nach dem Motto »einen Schritt vor, zwei Schritte zurück« wird all dies nunmehr kassiert – flankiert von einer klassistischen Schuldigen-Kampagne und vorgenommen letztlich allein aus dem Grund, weil – nach dem Willen der FDP – ein Haushaltsdefizit zu stopfen ist und eine stärkere Inanspruchnahme der vermögenden Eliten ampelseitig außerhalb des Denkbaren liegt.

Wie weit die SPD mit Hartz IV (mental) angeschlossen hat, ist letztlich Spekulationssache. Fakt ist, dass Hubertus Heil der sozialpolitisch wichtigste Macher der Nach-Hartz-SPD ist. Sicher kann man dem Arbeitsminister Taktiererei unterstellen. Umgekehrt verkörperte er gerade für den sozial schwächeren Teil der Bevölkerung die Hoffnung auf eine menschlichere SPD – eine Partei, die grundsätzlich und im Großen und Ganzen immer noch willens ist, Politik für die Interessen der kleinen Leute zu betreiben. Mit der aktuellen Doppelrolle rückwärts ist dieser Traum ausgeträumt: Die SPD ist nicht nur dabei, zum alten, kontraproduktiven Hartz-IV-System zurückzukehren. Sie will es sogar verschärfen. Grundsätzlich mag das auch ein Problem der mitregierenden Grünen sein. Die Pointe der Chose ist allerdings: Die Grünen haben in dem Bereich mehr gefordert, aber weniger verwirklicht. Die SPD hingegen hat – was zu erwarten war – wenig versprochen, dafür aber – unerwartet – einiges auf den Weg gebracht.

Dass dies alles nun »gecancelt« wird, ist wesentlich auch die Tragik der Figur Hubertus Heil. Dabei hängen an dem System, dass die Genossen nunmehr reinstallieren möchten, fast alle Probleme, die dem Land sozialpolitisch derzeit zu schaffen machen. Ein Punkt: die aktuellen PISA-Ergebnisse, die aktuell quer durch die Medienlandschaft beweint werden. Trplik »Gesamtgeäude«: Mit dem Abschluss der Agenda-Reformen haben alle in Machtnähe befindlichen Parteien gedacht, den archimedischen Punkt der Sozial- und Bildungspolitik entdeckt zu haben. Ob Agenda-bedingt oder lediglich eine Folge wieder ansteigender Konkunktur: die Arbeitslosenzahlen gingen zurück; Nachhaltigkeit stand – da es ja wieder »lief« – nicht auf dem Programm. Die Folge: verrottende Schulen mit Computer-Ausrüstungen aus der IT-Steinzeit. Der um sich greifende Social-Media-Analphabetismus wurde nicht mit geeigneten Programmen konterkarriert, sondern vielmehr auch politikseitig gehätschelt und gepflegt.

Laufen ließ man schließlich auch die voraussehbare Folge des agendaseitig geschaffenen Dumpinglohn-Sektors – ein Effekt, der nunmehr in Form einer rapide steigenden Altersarmut zurückschlägt. Auch in dem Bereich fällt die Antwort der Politik so hemdsärmelig wie abseitig der tatsächlichen Problemlage aus: Halt eben nicht genug geriestert. Last but not least: Auch beim nächsten großen Politikfeld, den Stimmzuwächsen der rechtspopulistischen Vereinfacher und Scharfmacher, suchen die in Machtnähe befindlichen Parteien ihr Heil vor allem darin, sich mit den rechtspopulistischen Forderungen gemein zu machen.

Siehe Hubertus Heil. Wobei die anvisierten Einsparungen bei den sozial Schwächsten nicht nur wenig bringen außer weitere Umverteilungen von unten nach oben. Werden diese zusätzlich mit Rumtricksereien flankiert wie bei den geplanten Sanktionsverschärfungen, ist der Weg in den sozialdarwinistischen Ellbogen-Staat und das Survival of the Fittest geradezu vorgezeichnet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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