Plädoyer für den JammerOssi

2. Welle Ost-West Abgesehen davon, dass Jammerossi nicht ordentlich gegendert ist, gibt es dagegen nichts einzuwenden. Die Aufregung in sozialen Medien ist entlarvend. Und die Himmelsrichtung noch immer erkennbar.

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Es geht bei der gegenwärtigen Debatte nicht darum, den Ossis oder Ossas das Jammern zu verbieten. Es geht darum, dass es einen von Wessis oder Wessas vorgebenen Kanon gibt, worüber das Jammern legitim ist und worüber nicht. Wenn die Leute in Westdeutschland den Strukturwandel beklagen, als unsozial kritisieren, weil die Maßnahmen nicht helfen, mit denen er abgefedert werden soll, dann ist das ganz normale und berechtigte Kritik. Der Freitag ist voll davon und das versteht sich als legitimer Blick auf die Verhältnisse in vielen Bereichen dieser Gesellschaft. Da kann es gar nicht drastisch genug sein. Im Osten gilt das das Jammern. Wenn es im Wessi-Wessa-Land rechtsextreme Vorfälle gibt, wird das zwar konstatiert, aber am Ende dann doch lieber wieder auf die Statistik geblickt, die im Osten so etwas als häufiger ausweist. Ich muss gestehen, dass ich da manchen Deutungen nicht ganz traue. Es gibt gewissermaßen da eine westlichen Definitionsmacht.
Ossis (ab hier gilt das für beide Geschlechter) dürfen nicht jammern, auch wenn es berechtigt sein sollte. Nein, sie sollen - noch immer - irgendwie dankbar sein. Und sie sollen - endlich - eine Einsicht haben in das autoritäre Wesen des Staates, dem sie oder ihre Eltern einst angehörten.
Das merkwürdige ist, dass die meisten Leute diese Einsicht ja haben, aber diese Einsicht nicht gern entlang vorgegebener #hashtags artikulieren. Und sie hätten gern das gerettet, was davon ganz gut war, nämlich die in Menschen, die in ihm gewohnt haben und ihr vergangenes Leben. Sie haben nämlich nur eines. Wenn sie darüber reden wollen, kriegen sie - noch immer - serviert, dass sie nicht wie die Leute sind, die im Westen aufgewachsen sind. Selbst Angela Merkel musste das erleben, dabei hat sie ihre Herkunft sehr selten thematisiert. Aber, auch sie ist ein Mängelwesen. Was von den Wessis da erwartet würde, wäre eine Einsicht, nämlich die, dass ihnen die Auflösung ihres Staates nicht passiert ist. So können sie auch nicht nachvollziehen,dass manche Ossis reichlich überrascht waren über manche Folgen, die das hatte. Wessis wussten das alles schon vorher, dabei ist es ihnen gar nicht widerfahren. Es geht um Respekt vor konkreten Erlebnissen und auch vor zwangsläufigen Irrtümern.
Das alles ist bei der offiziellen Wahrnehmung von Ossis in den Medien überhaupt kein Thema mehr. Dass es jetzt - gewissermaßen als 2. Welle - wieder aufscheint, ist schon ganz ok. Natürlich kommt jetzt der Vorwurf, die Ostdeutschen wollten die Vergangenheit verklären oder relativierten die Diktatur usw., usw. Was sich manche Wessi nicht vorstellen können ist, dass es Zwänge gibt, die im Westen zwar etwas verschleierter daherkommen aber trotzdem vorhanden sind und dass die Ossis dafür eine Antenne haben gerade durch die Vergangenheit, dass die öffentliche Meinung nicht die veröffentlichte Meinung ist. Eines ist auch wahr: Das Wesen und die Grenzen einer repräsentativen Demokratie werden in Ost und West oft verdeckt, verklärt oder verkannt.
Was ich als Ostdeutsche allerdings trotzdem überhaupt nicht verstehe ist, dass es hier im Osten Leute gibt, die sich für die AfD erwärmen und das als reine Protestentscheidung darstellen. Die kommen mir schon so vor, als hätten sie den Geschichtsunterricht - weder im Westen noch im Osten - im Ganzen so richtig inhaliert. Nur so ist auch Hitler an die Macht gekommen. Weil es Leute gab, die meinten, wer den wählt, macht deutlich, dass es soooo nicht weiter geht. Und vielleicht wird dann was besser. Das ist die Gefahr und zwar in Ost und West .
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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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