Allerweltslamento for nothing

Arme Ossis Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, über die man nur bei Strafe des Verdachts albernen Gutmenschentums oder – schlimmer - der Gefühlsduselei, klagen darf.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wenn die Zeiten so schlimm sind und man Stil bewahren will, dann hilft nur der Hamlet Monolog - wenigstens in Auszügen:

«Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,

Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,

Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,

Den Übermut der Ämter und die Schmach,

Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,»

Ja, wer ertrüge das ohne Trost, der aus Teilzeitbildung entspringt.

Etwas Trost muss sensiblen Gemütern wie dem meinigen zugänglich sein.

Der Anlass meiner Überlegungen aber ist folgender:

Wir sind arme arglose Ossis.

Nur deshalb war es möglich, dass uns ein Versicherungsvertreter so nachhaltig betrügen konnte. Das heißt, nicht mich hat er betrogen, sondern meinen armen wie arglosen Mann. Der hat sich – ohne darauf zu achten, dass er damit einen Vertrag um viele Jahre verlängert - immer neue Varianten seiner Unfallversicherung aufschwatzen lassen.

Es lockten Zusatzangebote wie:

Bei überlebtem Unfall - Wiederherstellung des Gesichts zu 50 Prozent und davon nur die wirklich restaurationswürdigen Bestandteile.

Oder Übernahme des

Rücktransports der abgetrennten Gliedmassen nach einem Unfall oder Anschlag zu vierzig Prozent

Oder auch:

*Demokratieausfallversicherung* für den Fall einer Verhaftung im Ausland und anschließendem Transport nach Guantanamo. In diesen Tagen besonders empfehlenswert. Möglichkeit, ab dem 26. Jahr der Inhaftierung Haftentschädigung zu beantragen, wenn der verflossene Zeitraum nicht rentenversicherungsmäßig geltend gemacht wird.

All diese schönen Sachen animierten zu erneuten Unterschriften unter höchst unverständliche und kleingedruckte Dokumente, über die man sich kleingedrückt beugte.

Und jetzt, weil er eine Art Inventur gemacht hat – beklagt mein Mann sich und will das ändern.

Wie gesagt,

Wir sind arme, arglose Ossis

Wir sind dem Piranhabecken, in dem westliche Geldgier und ungehemmte Vertretermanipulation ihr scharf geschliffenes Unwesen treiben, hilflos ausgeliefert.

„Wollen Sie die totale Absicherung“? so tönt es uns entgegen. Dem sind wir – gut und redlich wie wir sind- nicht gewachsen.

Gewiss, gewiss: Wir haben unsere dunklen Seiten, durchaus. Die Gewinnung von Ersatzteilen aus volkseigenen Baustellen, das heimliche Verschwinden vom Arbeitsplatz zwecks Beschaffung knapper Waren, das gehörte zu den allseits angewendeten kriminellen Fertigkeiten. Das war die real existierende Domäne kleiner Übertretungen, die wir harmlos bewirtschafteten.

Als ich kürzlich einer westlichen Freundin erneut unsere Arglosigkeit vor Augen führte, stellte sie eiskalt fest: Aus der historischen Erfahrung wisse man, dass manche zur kurz gekommenen Völkerschaften sich gern zu den Edleren im Gemüte zählten. Damit kompensierten sie ihre Minderwertigkeitskomplexe gegenüber entwickelten Zivilisationen.

Diese geistig-aufklärerische coolness beeindruckte und überzeugte mich. Damit war der Weg verbaut.

Man will sich ja nicht andauernd als Verlierer von Zivilisation und Modernisierung sehen.

Außerdem fiel mir mitten im Prozess der geistigen Neuorientierung ein, dass der Versicherungsmensch ja auch ein Ossi ist.

Aber, es scheint: Es gibt inzwischen höchst gefährliche Mutationen. Er ist einer der durchtriebenen Sorte, ein autoritärer Charakter, mit Untertanenmentalität, die ihn jetzt antreibt, andere arglose Ossis zu unterdrücken. Das leuchtet ein und tröstet. Schön, wenn die Welt so überschaubar wird.

* Das ist eher ein Scherz

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden