Das DDR-Unrecht und Stasi-West

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Das DDR-Unrecht


Es wird immer mal wieder gesichtet, das DDR-Unrecht. Kürzlich lag es bei Anne Will auf der Couch und alle taten ihm was an, es wurde verleugnet oder relativiert. Man musste es andauernd verteidigen. So verrückt sind sie ja – die Zeiten, man muss das Unrecht verteidigen – nicht das Recht.


Gefährlicher als die Schweinegrippe


Und gerade mitten in diese Verteidigungsschlacht, da bricht sie herein - wie aus heiterem Himmel - die ganz neue Sicht der Dinge, die Sensation. Das DDR-Unrecht – verkörpert besonders von der Stasi - hat tief in den Westen hinein agiert. Nicht nur durch so einen wie Karl-Heinz Kurras, sondern überhaupt. Und deshalb muss man die Spur aufnehmen und verfolgen Stück für Stück, wie und mit wessen Hilfe sich dieses Unrecht verbreitet hat, denn sonst wird es gefährlicher als die Schweinegrippe.


Tja und deshalb haben wir jetzt Stasi-West. Aufrufe ergehen, die Aufklärung in Richtung alte Bundesländer zu vertiefen, zu verbreitern und den Personalbestand jener Institutionen zu erhöhen, der sich damit beschäftigen oder – die Birthler-Behörde ist ja unter Beschuss – sich in Zukunft damit beschäftigen sollen.

Ein FDP-Abgeordneter bringt heute den Antrag ein, den gesamten Bundestag, von Beginn an, zu überprüfen. Auf Stasi-Kontakte. Und dem SPD-Politiker Wiefelspütz reicht das nicht, er will nicht nur sauber, sondern rein, er will gleich die gesamte Bundespolitik überprüfen.

Jetzt ist der Westen am Zug jubelt der Vergangenheitsbewältiger der 68er Götz Aly.

Jetzt ist der Westen dran

Jetzt ist der Westen dran, jetzt ist der Westen dran... jubeln Publizisten und politisch Interessierte, die sich an der Jagd beteiligen wollen.

Es ist ja nicht so, dass Enttarnungen Ruhe bringen. Enttarnungen schaffen Verunsicherung. Frau Birthler wird dabei auch wieder hilfreich tätig sein, wenn das Interesse an einer eventuellen Stasi-Mitgliedschaft besonders groß ist, wie im Osten bei Gysi. Vielleicht kann man im Westen bei Bedarf dann auch kundtun, dass man auch ohne Unterschrift Informeller Mitarbeiter und Stasiagent sein konnte. Betroffene werden sich – zu Recht oder zu Unrecht – als „abgeschöpft“ deklarieren, man wird es – je nach politischem Interesse versuchen - als Ausrede zu enttarnen oder gelten zu lassen.


Und schon tut sich ein neues Feld auf:Helmut Müller-Enbergs, der Experte aus der Birthler-Behörde, stellte in einem Interview fest:

„Entgegen der üblichen Annahme war politische Spionage gar nicht das Hauptinteresse der HV A, dafür arbeitete nur jeder fünfte West-IM. Wichtiger waren Wissenschaft und Wirtschaft: Universitäten oder die Fraunhofer-Gesellschaft, IBM, Carl Zeiss oder Bayer. 39 Prozent der »Objektquellen« arbeiteten hier, doch ausgerechnet die Wirtschaft interessiert sich bis heute kaum für eine Stasi-Aufarbeitung.“

Die Wirtschaft also auch, die Wissenschaft, die Universitäten: Alle alle sind vergiftet.

Bis wohin soll das alles tragen? Die Vergangenheit bearbeiten soll bedeuten, die Zukunft besser zu machen. Was macht das besser?

Forschung muss es wohl geben, aber Überprüfungen bis ans Ende?


Es regnet auf Gerechte und Ungerechte


Timothy Garton Ash, der Schriftsteller und Historiker sagte in einem Interview zum Thema: Aufarbeitung-West gegenüber der „Welt“: „In der Regel soll man ja nicht an Verschwörungstheorien glauben. Die Tatsache, dass wir wenig über die Rolle der Stasi im Westen wissen, bedeutet noch nicht, dass es dort eine große Verschwörung gab. Was es ohne Zweifel gibt, ist eine Ungerechtigkeit zwischen Ost und West: Die Untaten und Berichte der Stasi-IMs im Osten sind bekannt, sie wurden sehr breit diskutiert. Die Akten der Kollaborateure und Informanten im Westen sind noch relativ unbekannt. Das hat mit der Quellenlage der Hauptverwaltung Aufklärung zu tun, aber es bleibt eine historische Ungerechtigkeit.“


Was ist gerecht, was ist ungerecht? Schon die Aufarbeitung Ost hatte was vom Regen auf Gerechte und Ungerechte. Es war ein Fokus auf einen Geheimdienst, von dem man denken muss, er habe völlig allein agiert. Was soll dann gerechter werden? Auch da galt in Einzelfällen die Regel: Wer wie verstrickt ist, bestimmen politisches Interesse und die Medien.

Ein Verfassungsrichter hat kürzlich erklärt, die Stasiakten seien gerade wegen ihrer konspirativen Erhebung authentischer als alle offiziellen DDR-Verlautbarungen – und auch näher an der Realität als so manche "ostalgische Verklärung". Tja, gilt das dann auch für westalgische Verklärungen? Sind da die gefundenen Akten auch noch authentischer?

Da kann man vergiftend anknüpfen - die Bundesrepublik Deutschland durch den Blick der Stasi – Schlammschlachten bei Missliebigen – links entlang die wirklich Verstrickten, rechts entlang die nur Abgeschöpften.


Tatsächlich ein schrecklicher Schatz


Es zeigt sich, dass Friedrich Schorlemmer sehr Recht hat, wenn er feststellt, dass die sichtbare Mauer geschreddert ist, die SED verschwunden, die Stasi-Akten hingegen noch da sind und wie ein schrecklicher Schatz präsentiert werden. Deutsch-deutsche Dämonen, tatsächlich. Mit der Offenlegung der Stasi-Akten sollte Herrschaftswissen aufgedeckt, Herrschaft beendet werden. Aber – nichts da von allem: Neue definitionsmächtige Herren üben Herrschaft aus, und mit was für herrlichen Herrschaftsinstrumenten.

Die Entdeckung der Stasi-Verstrickung wird die Bundesrepublik extrem verändern, so murmelt es in den Medien.

Das ist sicherlich wahr, aber Schlammschlachten sind keine reinigenden Gewitter.








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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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