„Die Deutschen hätten uns die Schuldigen ausliefern müssen, damit sie vor unseren Augen verbrennen, fordert Jamaluddin. Sie sollten genauso sterben wie ihre Opfer. Aber sie sind frei, und deswegen verlangen wir eine Kompensation und eine Bestrafung nach internationalen Gesetzen." Jamaluddin ist einer der Kläger im Kundus-Prozess. Hier die Fortsetzung
Seine Angehörigen starben bei dem Luftangriff, der von Oberst Georg Klein veranlasst wurde. Er und weitere Kläger verweisen in diesem Interview auf den Islam und auf ihre Tradition. Danach wird ein Mord durch Blutrache gesühnt. Oder, indem die Opferfamilie von der Täterfamilie eine Frau oder Vieh bekommt. Oder indem Geld fließt.
Das hat Erschreckendes, sowohl wegen der hohen Zahl ziviler Opfer in Kundus und der inzwischen erfolgten Ernennung des verantwortlichen Oberst zum Brigadegeneral, als auch wegen der archaischen Sühneforderungen, die da gestellt werden.
Die Rache vom Bodensee
Erinnert fühlte ich mich an den Flugzeugabsturz von Überlingen am Bodensee. Der Fluglotse Peter Nielsen, der durch seinen Fehler den Absturz einer Maschine der Bashkirian-Airlines verursachte, wurde später von dem Osseten Witali Kalaojew , dessen Frau und zwei Kinder bei dem Absturz umgekommen waren, erstochen.
Bei solchen Forderungen und Handlungen steht der Rachegedanke im Vordergrund. Es ist leicht, sich zu entsetzen, aber diese Impulse sind auch unserer Gesellschaft überhaupt nicht fremd. Sie flammen auf, wenn ein brutaler Sexualmörder zu mild bestraft wird. Als vor vielen Jahren Marianne Bachmeier den Mörder ihre Kindes im Gerichtssaal erschoss, erzeugte das in den Menschen ein merkwürdiges Gefühl temporärer „Befriedigung“.
Auch der NSU-Prozess
wird unbefriedigend sein
Die Erwartung, in einem Strafprozess könnte es wenigstens Genugtuung für die Opfer geben, wird selten erfüllt. Schon aus diesem Grunde sind die Erwartungen an den Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten zu hoch. Das wird zu Verletzungen führen. Es hat schon dazu geführt, denn das Hickhack um die Presseberichterstattung einschließlich der damit einhergehenden Verzögerungen haben die Angehörigen der Opfer bereits schwer beschädigt.
„Verbrechensopfer im Strafprozeß - einmal Opfer, immer Opfer?" unter dieser Überschrift hat die Journalistin Astrid Springer vor vielen Jahren einen höchst spannenden Essay für den Norddeutschen Rundfunk verfasst, der leider nicht mehr online steht. Ihre Überlegungen aber will ich hier mit einfließen lassen: Im modernen Rechtsstaat tritt der Staat mit seinem Gewaltmonopol ein, damit die Kreisläufe von Untat und Rache durchbrochen würden, was – wie wir wissen – oftmals nicht der Fall ist oder zumindest immer in einem Winkel des Unbewussten lauert. Außerdem steht beim Strafverfahren der Angeklagte im Fokus. „Das Verfahren dient seinem Recht, solange als unschuldig zu gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Hinter seinen Interessen müssen die Interessen des Opfers zurückstehen.“, schreibt Astrid Springer.
Aber, sie spitzt dann noch weiter zu und führt eine weitere Überlegung ein: Es gehe im Grunde weder um den Angeklagten oder die Geschädigten, sondern um das Recht. Das eigentliche „Opfer“ in einem Gerichtsverfahren sei das Gesetz. Es wird gebrochen und verletzt und das muss mit entsprechenden Sanktionen geahndet werden. Und damit das gerecht geschieht, braucht die Justiz die Opfer und Zeugen als Beweismittel für diese Untat. Das Gericht ist also nicht zuerst dafür da, den realen Opfern Genugtuung zu verschaffen, sondern den Rechtsbruch, die Gesetzesverletzung zu sanktionieren und zu sühnen. So habe ich es verstanden.
So hart und theoretisch ist die Justiz nicht oder nicht mehr. Es gibt Verbesserungen der Eingriffsmöglichkeiten für die Opfer und Zeugen bei Gericht. Es gibt immer wieder Ergänzungen und Erweiterungen des Opferschutzes. Von den Kritikern des neuen Opferschutzgesetzes wurde eingewendet, dass es die Situation des oder der Beschuldigten verschlechtert. Die Opfer aber und ihre Hinterbliebenen müssen verarbeiten, dass sie in einem Prozess ständig daran erinnert werden, dass sie nicht im Mittelpunkt stehen, sondern das gebrochene Recht oder übertretene Gesetz.
Vielleicht hängt es nicht nur mit der eisern und manchmal eisig verteidigten Unabhängigkeit der Gerichte zusammen, dass sie hin und wieder formal und scheinbar ohne Gefühl agieren, sondern auch damit, dass sich die Justiz selbst als hochprivilegierte Opfervertretung sieht.
Kommentare 9
Das Gericht ist also nicht zuerst dafür da, den realen Opfern Genugtuung zu verschaffen, sondern den Rechtsbruch, die Gesetzesverletzung zu sanktionieren und zu sühnen.
Das klingt tatsächlich ziemlich nach einem herz- und seelenlosen Apparat. Ich denke aber, dass die Justiz genau so sein muss Die Gesetze sind sowas wie die Korsettstangen einer zivilen Gesellschaft. Zivilität ist Voraussetzung für Humanität. In einer zivilisierten Kultur ist es uns allen möglich, ohne Gewaltbereitschaft durch die Straßen zu gehen. Den Racheimpuls wird es wie viele archaische Impulse immer geben. Ihm keinen Raum zu geben, dazu ist die zivile, vernünftige Seite des Menschseins da.
Die Opfer zu betreuen, ihnen Genugtuung zu verschaffen, sie ja eigentlich für Schmerz und Verlust zu entschädigen, dafür müssten erst neue Formen und Institutionen geschaffen werden.
Es gab übrigens in der früheren Kulturgeschichte auch immer gewaltlose Sanktionsformen. Ein Mord wurde mit Heilungsritualen gegenüber dem Täter und u.a. auch mit materieller Entschädigung gegenüber den Hinterbliebenen 'geahndet'.
Tja, als kleine rechtliche Anmerkung kann man hinzufügen, dass das Recht durchaus Normierungen für den Opferausgleich vorsieht, aber wenn, nur indirekt über das Strafrecht. Im § 823 II BGB ist zum Beispiel Schadensersatz nach einer Straftat geregelt. Der Haken ist: Den muss das Opfer privatrechtlich einklagen. Das Strafrecht als solches ist täterzentriert. Natürlich steht der Rechtsbruch im Vordergrund (im objektiven Teil), aber im subjektiven Teil geht es um den Täter. Die spezifischen und individuell unterschiedlichen Auswirkungen auf das Opfer finden nur in Ausnahmefällen Berücksichtigung, wenn zum Beispiel bei Körperverletzungen bleibende Schäden besonders qualifizieren, also es dadurch zu einer höheren Strafandrohung kommt.
Der Täter wird subjektiv berücksichtigt, das Opfer nicht. Dass dabei etwas (Gerechtigkeit?) auf der Strecke bleibt ist ganz gut einsichtig, wenn man sich den Range in den Schäden bei Vergewaltigungsopfern vergegenwärtigt. Betrachtet man die rein körperverletzenden Anteile der Tat, bleiben sie weit hinter den möglichen lebenslangen Verletzungen und Einschränkungen zurück. Das kann man schon bei einem Einbruchsdiebstahl nachvollziehen. Die Tatsache, dass eingebrochen und ein paar Gegenstände entwendet wurden, klingt nicht so schlimm, ist aber oft mit einem massiven Verunsicherungsgefühl verbunden, weil die Wohnung als unantastbarer Schutzraum empfunden wird.
Es wäre sicher ein sinnvoller erster Schritt, Opfern standardisiert über das Strafrecht Schadensersatzsummen zuzusprechen, die zumindest nötige Therapien und ähnliches abdecken.
Ich hab vergessen den Beitrag zusammenzufassen (immer diese Eile ^^): Man kann sagen, das Strafrecht wird den Tätern gerecht, nicht den Opfern.
Dafür spricht, dass das Strafrecht ja auch über die Täter richtet, ihnen Zwang auferlegt. Aber das Prinzip würde nicht unterlaufen, wenn ein Teil der Strafe generell in einen Opferausgleich flösse.
Interessantes Blog und gute Diskussion. Gerne gelesen. Sehe das auch so, dass nach dem Prozess nicht alle zufrieden sein werden. Das ist wirklich so vor Gericht.
liebe Magda,
da ist Dir aber mal wieder was Gutes eingefallen, wird also Zeit für ein neues Motto im Titel ;-)) Weiteres Kommentieren verkneife ich mir jetzt wegen des schönen Wetters und hoffe, dass Du mir das nachsiehst!
Herzlichst
archie
Hallo,
ich danke erstmal den Kommentatoren.
@ goedzak - Es gab übrigens in der früheren Kulturgeschichte auch immer gewaltlose Sanktionsformen. Ein Mord wurde mit Heilungsritualen gegenüber dem Täter und u.a. auch mit materieller Entschädigung gegenüber den Hinterbliebenen 'geahndet'.
Das muss aber wirklich schon eine ganze Weile her sein. :-)) Lass mich raten, welche Gesellschaftsformation da zugange war.
@ Christine Quindeau - Es sieht so aus, als könne die Justiz einfach nicht alles leisten. Allerdings stört mich an ihren Vertretern immer dieses allmächtige, unabhängige Elitengetue. Das weckt ja eigentlich erst die Vorstellung, die seien die absolute Gerechtigkeitsinstanz. Sie vertreten den Rechtsstaaat, oder wie Bärbel Bohley anmerkte: Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat. Aber, auch das ist wieder ungerecht. :-))
@ Poor - Danke, freut mich, wenn Du es interessant fandest.
@ archie - Nee, verkneif es Dir ruhig. Mir selbst geht es ja auch oft so. Aber, Du hast ja schon geschrieben, dass mir was Gutes eingefallen ist. Von daher. ..danke. :-))
oder wie Bärbel Bohley anmerkte: Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat. Aber, auch das ist wieder ungerecht. :-))
Nö, das ist nicht ungerecht... sondern treffend :-D
Die Juristen werden eben dahin erzogen, in den vorgebenen Bahnen möglichst zutreffend und selbstständig zu denken. Das erfordert ihre ganze Aufmerksamkeit, innerhalb fit zu werden, deswegen sind die steps-outside später nicht innerhalb des gedanklichen Trainings. Respekt vor dem Recht, Gesetz und Rechtssystem wird einem sehr eingeimpft (das ist auch gut so, damit nicht allzuviel Selbstherrlichkeit in der Rechtsauslegung des Einzelnen stattfindet, sondern vor allem Bemühung um die richtige Auslegung). Aber natürlich sind Juristen nicht gerade die ausgebildeten Revolutionäre, sondern wenn sie etwas verändern wollen, immer innerhalb. Allzufreie Denker mit juristischer Ausbildung bleiben meistens keine Juristen, sondern werden mal Journalisten (wie Sebastian Haffner) oder Politiker (massig Beispiele).
Dann kommt hinzu, dass wir in D tatsächlich eins der besten Rechtssysteme der Welt haben, die Juristen liegen also quasi vor ihrem Gesetz auf den Knien und kriegen sich nicht mehr ein ^^. Kein guter Standort um an grundlegenden Verbesserungen zu arbeiten.
Aber ich denke auch, dass durchaus Verbesserungen nötig und möglich sind, ohne dabei etwas von der gesicherten Qualität zu riskieren, die den Status quo trotz all seiner Mängel bildet. Die Zeit ist auch reif. Man muss Entwicklungsmöglichkeiten auch im historischen Kontext sehen. In den siebziger Jahren war schon eine Demo ein gefürchteter Angriff auf den Rechtsstaat. Mittlerweile können selbst stockkonservative Juristen über Opferausgleich nachdenken ohne Panik zu kriegen vergleichbar der, wenn der Papst an die Pille danach denkt :-D
Es wäre sicher ein sinnvoller erster Schritt, Opfern standardisiert über das Strafrecht Schadensersatzsummen zuzusprechen, die zumindest nötige Therapien und ähnliches abdecken.
Das gibt es:
http://de.wikipedia.org/wiki/Adh%C3%A4sionsverfahren
Aber es erfreut sich keiner großen Beliebtheit. Grund: Der Strafprozess und der Zivilprozess sind zu verschieden, um die Bestrafung des Täters und den Schadensersatzanspruch sozusagen in einem Aufwasch abzuarbeiten. Auch die Akteuere - Anwälte, Richter - sind selten im Straf- und Zivilrecht gleichermaßen befähigt und bewandert. Außerdem sind viele Straftäter gar nicht in der Lage, Schadensersatz zu leisten. Gegen die nützt der schönste Schadensersatzanspruch nichts. Nehmen Sie Beate Zschäpe, z.B. Wie soll die den Schaden wieder gutmachen, den sie mitangerichtet hat?
Jo danke für den Hinweis. Wie Sie schon sagen, es ist keineswegs üblich und natürlich immer noch an die Voraussetzungen des BGB, was ein Schaden ist, gebunden. Mir schwebt eine teilweise Umwandlung der Strafe zum Opferausgleich vor, die dann normalerweise, ohne extra Prüfungen einträte. Also meine Gedanken gehen in die Richtung, einen Prozentsatz des zukünftigen Einkommens des Täters dem Opfer auf auf so und soviele Jahre zuzusprechen, wenn nicht genug Geld beim Täter für ordentliche Summen vorhanden ist, o.ä. Natürlich hat Gefängnis Vorrang, wenn und solange es für den Schutz der Gesellschaft nötig ist. Aber ich bin dafür, dass man mal wirklich mal auslotet, was an Opferausgleich bei der Strafzumessung ohne andere Werte zu riskieren, möglich ist und denke dabei schon als erstes an Geld.
Wir sind was Entschädigungszahlungen angeht furchtbar verquast. Natürlich wird dadurch die (seelische) Wunde nicht geheilt. Aber erstens hilft Geld in den allermeisten Fällen und zweitens tuts dem Täter weh, wenn er weniger hat. Und Geld ist nun mal unsere Währung. Wieso just die Opfer sich immer auf so einen vergeistigten Standpunkt zurückziehen (müssen) ist unbegreiflich.