Der Fahrstuhl als Chatroom

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Der Reinigungsdienst war gerade einen Tag "durch", als der kleine Hund eines Mieters in den Fahrstuhl schiss. Das kann ja mal passieren, aber der oder die Übeltäter begingen gewissermaßen "Hundehalterflucht", entfernten sich und hinterließen einen Gestank, wie man ihn sich penetranter nicht vorstellen kann.


Nun lagen da zwei Würstchen, die von einem anderen Fahrstuhlbenutzer vorsichtig in eine Ecke gekickt wurden und es stank weiter. Ehrlich, wenn mich niemand dabei beobachtet hätte, hätte ich das mit einem Taschentuch aufgenommen und in den Müllschlucker gesteckt. Aber mein Mann meinte empört, das fehle nun gerade noch und auch andere, die vielleicht mit dem Gedanken schwanger gingen, einfach schnell aufzuräumen sagten sich vielleicht auch, dass man damit den Missetätern nur bestätige, dass sie sich nicht weiter kümmern müssen.


Am nächsten Tag, als ich den Fahrstuhl bestieg, lagen die Würstchen weiter in der Ecke und an der Fahrstuhlwand hing ein Anschlag. "Hundebesitzer, macht Eure Scheiße weg!". Ich hoffte beim Aussteigen vor mich hin, dass der Anschlag auf Einverständnis stoßen möge, vor allem bei den Verursachern, aber ich glaubte nicht so recht daran. Die Häufchen blieben liegen.


An der Wand erschien ein zweiter Anschlag, der die Aufforderung des ersten Anschlags mit tierschutzpolitischer Korrektheit aufpeppte: "Der Hund ist nicht schuld, aber der Besitzer ist ein Feigling und ein Schwein". "Aha", dachte ich. In der Fahrstuhlkabine hing der Hauch eines Luftreinigers, aber es roch nach wie vor hundsgemein.


Am Abend des zweiten Tages der Umweltverschmutzung hing ein handgeschriebener Zettel mit längerem Text an der Wand. Der Mieter aus dem vierten Stock forderte nachdrücklich zur Beseitigung des Hundedrecks auf, beklagte die Verwilderung der Sitten im öffentlichen Raum und führte auch gleich mit an, was er im Falle der Nichtbefolgung seines Appells tun wird: Er werde der Wohnungsbaugesellschaft eine kräftige Mietminderung androhen, wenn das alles so weitergehe, ferner werde er Anzeige gegen Unbekannt machen, auch behalte er sich private erkennungsdienstliche Schritte vor.

Unterschrift. Fritz B., dritter Stock.


Ein genervter Mitmieter verzierte diese Unterschrift mit einem vorangestellten. Gen. (Genosse) was also unterstellen oder beweisen sollte, dass der Schreiber des Anschlages vormals zu den Ordnungs- oder Sicherheitsorganen der DDR - welchen auch immer - gehört hat. So mischte sich die Aufarbeitung der Vergangenheit auch noch mit in die Debatte.

Ferner merkte der unbekannte Kommentator an, dass man eine Anzeige nicht mache, sondern stelle (Es heißt wohl: Anzeige erstatten). Außerdem merkte er an, dass erkennungsdienstliche Schritte nur gerechtfertigt seien, wenn es sich bei der Nichtbeseitigung eines Hundehaufens um eine Straftat handle. Das sei aber nicht der Fall, sondern falle unter Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten. Das also nun wieder ein Mann der juristischen Korrektheit.

In einem Comic-Streifen hätte ich den nächsten Fahrstuhlbenutzer völlig unkorrekt schreiben lassen:„Alle Hundebesitzer hängen!“ Aber ich verkniff mir auch das.

Und noch immer stank es aus der Fahrstuhlecke.


Noch ein posting muss man in das Geschehen einbeziehen: Seit Tagen hängt ein Schreiben am Brett für die Mieterinformation: Eine Dame aus dem nächsten Haus bedankte sich bei einem Mieter, der vor kurzem nachts mit seinem kleinen Hund spazieren ging und ihr so freundlich geholfen hat, die entlaufene Katze zu suchen. Sie wolle ihm mitteilen, dass die Nacht dann doch noch ruhig verlaufen sei. Nun trage ich mich mit dem Gedanken, ob da nicht ein Zusammenhang besteht. Hat der Hund des Mieters, weil sein Herrchen zu wenig Zeit für ihn hatte und auf die Suche nach einer Katze ging, seine Notduft protestmässig in den Fahrstuhl verrichtet.

Heute kam endlich der Reinigungsdienst. Erstaunlicherweise stinkt es noch immer im Fahrstuhl – braucht alles eben so seine Zeit. Aber die postings an den Wänden macht niemand weg. Es war so schön, den Fahrstuhl als Chatroom zu benutzen.



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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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