Ein Gefühl namens Sehnsucht

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Über den französischen Film Mademoiselle Chambon gibt es bereits eine hervorragende Besprechung hier beim Freitag. Ich berichte also von einem Kinobesuch, der bei diesem Film landete, obwohl zuerst anderes geplant war. Ich war bei der Recherche schon eine Kinowoche voraus.

Gleich zu Beginn des Films von Stéphan Brizé, der die laute Arbeitswelt des Helden und die anstrengende Fabrikarbeit seiner Frau - auch aus dramaturgischen Gründen - vorstellt, habe ich mich gefragt, wann ich in diesem Lande zum letzten Mal einen Film gesehen habe, in dem wirkliche "normale" Arbeiter im Mittelpunkt stehen oder überhaupt die Arbeitswelt der Menschen eine Rolle spielt.

Kleine Leute, das schon z.B. in "Sommer vorm Balkon" oder wie in "Halbe Treppe". Immer - das ist schon interessant - waren es Filme von Regisseuren aus dem "Osten". Der Film Sehnsucht der von einer jungen westdeutschen Regisseurin stammt, die mit Laiendarstellern aus Brandenburg arbeitete, hatte eine gemischte Rezeption. Aber er war - wie ich fand - dicht dran an diesem großen Gefühl.

Die französische Filmkunst und - in anderem Stil - auch der Film in Großbritannien haben eine ganz andere und vielfältige Tradition im Umgang mit dieser Welt der Arbeiter und kleinen Angestellten, die Italiener haben mit dem Neorealismus eine ganze Filmepoche geprägt. Aber in Deutschland findet sich entweder ein höchst kunstvolles Pathos, wie vor vielen Jahren mal bei Rainer Werner Fassbinder oder es kommt reichlich plakativ daher. Frankreich und Großbritannien sind Länder, in denen Klassenunterschiede eine große Rolle spielen. In Deutschland leugnete man sie lange und darum werden sie auch in der Filmkunst nicht benannt, sondern eher verschleiert.

Schöne Details
des Alltags

Hier in diesem Film aber stimmt alles, obwohl er ja keine Geschichte über einen Arbeiter erzählen will, sondern über die Liebe zwischen ihm und einer jungen Lehrerin. Auch die Details - die Requisiten und das Szenenbild sowohl im Arbeiterumfeld als auch bei der jungen Frau - sind ganz genau und glaubhaft. Die Menschen wohnen unprätentiös, einfach, nicht "stylish". Das Straßenbild in der französischen Stadt - es ist im besten Sinne leicht vernachlässigt und ein bisschen unordentlich. Die Häuser sind älter, man sieht ihnen die Arbeit der Zeit an.

Im Wesentlichen aber sind es Gesichter, die in diesem Film sprechen. Die Kamera ruht auf ihnen und dabei geschieht mehr als bei allen Dialogen. Nichts ist direkt und dieses Indirekte, nicht Ausgesprochene, diese ständige süße Spannung - man nennt sie wohl Sehnsucht. Die Schauspieler finden immer wieder neue Nuancen, um sie auszudrücken.

Die Erotik des
Unausgesprochenen

Diese Erotik des Unausgesprochenen teilt sich ständig mit und macht den Film sehr intensiv. Wenn man älter ist, ist man gegenüber unerfüllten Sehnsüchten milder gestimmt. Als junger Mensch begehrt man zuviel und begehrt darum auch immer auf, wenn sich das Begehren nicht erfüllt. Aber die Sehnsucht ist intensiver als jede Erfüllung. Eine Binsenweisheit wohl, die kein Alter kennt.

Wir sind sehr berührt aus dem Kino gekommen und haben "abgeglichen", an welchen Stellen wir ein bisschen geheult haben und was wir besonders gelungen fanden. Es stimmte fast überein und das haben wir mit einem Bier begossen, das leider nicht unter einem weinenden Himmel getrunken werden konnte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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