Ein interessanter Bericht über die Erfahrungen einer jungen Frau als Aushilfslehrerin in einer Weddinger Schule war am Wochenende in der „Berliner Zeitung“ zu lesen. www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/0213/magazin/0001/index.html
Natürlich hat sie keine Illusionen mehr wie in all den schönen Filmen, die ich in den 60ern des vergangenen Jahrhunderts gesehen habe.
Zum Beispiel:
“Up the down staircase”- mit Sandy Dennis, das in einer Schule New Yorks spielt und in der eine junge Lehrerin versucht mit den Schülern der Bronx klarzukommen. Die Botschaft war: Man muss Geduld haben.
Oder
“To Sir with love” – mit Sidney Poitier.
www.youtube.com/watch?v=nd6vj0EHuAk&feature=rec-LGOUT-exp_fresh+div-1r-4-HM
Allein schon der Titelsong mit der damals blutjungen Sängerin Lulu war so angelegt, dass man an das Gute im Menschen glauben konnte und wollte. Aber heute – woran soll man glauben? Keine Ahnung von den Problemen, die es im Wedding gibt, so beklagt die junge Frau, haben sie in Berlin-Mitte, wo ihre eigenen Kinder zur Schule gehen.
Eine Hauptschule in Pankow
Die „Reinhold Burger Oberschule“ in Pankow, eine Hauptschule, liegt vom Wedding keine zwei Kilometer weg und die Mischung ist noch eine andere. Ich weiß das, weil ich vor zwei Jahren dort mal zu tun hatte. Es sind weniger Migranten in der Klasse und wenn, dann Russlanddeutsche oder ehemalige Bosnier, auch ein Junge aus dem Libanon war dabei, die meisten aber sind Ursprungsdeutsche. Und alle – es ist einfach so – waren ziemliche Problemfälle.
Eine Bekannte hatte die Schnapsidee, in einer 7. Klasse ein Erzählcafe zu initiieren. Wobei die meisten der Schüler in der Klasse schon älter sind, weil sie das Schuljahr öfter durchlaufen haben.
Das ganze Unternehmen war nicht sehr erfolgreich, was nicht an den Schülern allein lag. Auch unsere Vorbereitung war nicht so gut angepasst. Die Stunden waren alle etwas chaotisch, ständige Unruhe, Unaufmerksamkeit, allerlei blöde Witze, Zettel flogen durch die Gegend und all so etwas. Man darf sich darüber nicht aufregen, ich habe das auch nicht gemacht, sondern versucht, die Schüler mit irgendetwas zu fesseln, etwas Interessantes zu erzählen oder zu erfragen. Das ist nicht einfach...Aber, da ich ohnehin keine bin, die andauernd Respekt fordert, flaute das Theater irgendwann ab.
Erfahrung für mich selbst
Ich habe in meinem Alltag überhaupt keinen Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen aus dieser Altersgruppe. Darum waren allein die wenigen Stunden schon ein interessantes Abenteuer. Weil ich neugierig war, hospitierte ich auch mal in der Klasse an einem regulären Schultag. Das war teils verrückt, teils traurig, aber „getan“ hat mir dort keiner etwas. Die Jugendlichen waren zu mir durch die Bank fair. Der Cleverste von ihnen bat mich in seine Arbeitsgruppe, weil sie es gut fanden, Eine dabei zu haben, die Rechtschreibung kann, was gerade gefragt war. Ich habe gern mit ihnen zusammen gearbeitet und war sehr zurückhaltend, weil ich mich nicht anbiedern wollte.
Vorsichtige Annäherungen
Nach zwei Stunden war ich in den Pausen für sie teils „gläsern“, sie ignorierten mich oder ich war im Gespräch mit einzelnen Schülerinnen oder Schülern, je nachdem. Oder, sie rempelten mich im Eifer des Gefechts an, bei einer Rangelei oder so und entschuldigten sich.
Einer der Schüler suchte ein bisschen meine Nähe, er stellte sich ganz unauffällig neben mich und wollte beachtet sein, so ganz allein. Ich feuerte ihn an, als er später an der Tafel dran war. Ich wusste allerlei über ihn und er tat mir Leid. Als ich ihn später einmal in der S-Bahn traf, da hing er den Lässigen raus – wie das so ist.
Ein sehr übergewichtiges Mädchen fing mit mir Zoff an, wollte einen umgefallenen Stuhl nicht aufheben, aber ich musste darüber so lachen und da lachte sie mit.
Es gibt auch richtig „Versaute“, mit denen ich auch nicht klarkäme. Eine war schon das drittemal an eine andere Schule versetzt, weil sie mit ihrer Mädchengang dauernd andere Schülerinnen erpresste und beraubte. Die blickte mich an, kühl mit Abstand und ich mied sie auch. Mit ihr konnte ich nicht umgehen, sie ängstigte mich und ich vermisste in diesem Falle professionelle Erfahrung, die ich nun mal nicht besaß.
Dass viele der Rangeleien – vor allem zwischen Jungs - eher getarnte Streichelversuche sind, war deutlich zu spüren. Zwischen den Geschlechtern die übliche sexuelle Neugier. Über Sexualität wird sehr ordinär und immer mit dem Wunsch zu schocken geredet. Aber ich erinnere mich noch aus meiner lange zurückliegenden Schulzeit, dass das nicht viel anders war.
Wir suchten ein Thema und eine wollte unbedingt erzählen, wie sie mit jemandem „gebumst“ hat. Wir umschifften die Klippe, indem wir gemeinsam überlegten, warum das für sie so wichtig ist.
Gebraucht werden
Eine Erfahrung bestätigte sich immer wieder. Eigentlich alle Kinder und auch noch die Heranwachsenden sind ganz und gar glücklich, wenn man sie um Hilfe bittet. Sie würden so gern wirklich gebraucht. Und respektiert natürlich.
In einer Stunde hat mir ein Schüler gesagt, es wäre ihm lieber, seine Mutter würde ihm mal eine knallen und dann wäre es wieder gut, statt den ganzen Tag auf ihn einzureden. Das gab mir zu denken und ich sagte ihm das in der nächsten Stunde. Was ihn nun wieder beschäftigte. Dass sich jemand über so einen Satz von ihm Gedanken macht.
Kleinere Klassen!!!
Es ist natürlich leicht, mit Jugendlichen umzugehen, wenn man an sie keine Forderungen stellen muss. Als Lehrerin ist das eine ganz andere Kiste. Darüber habe ich mit der Klassenlehrerin lange gesprochen . Und auch sie unterstrich, was in der Reportage an oberster Stelle steht: Kleinere Klassen!!! Das wäre schon eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine ernsthafte Arbeit.
Als ich die letzte Stunde hatte, ging es mir nicht gut, ich war stark erkältet und habe das den ständig unruhigen Schülern auch erklärt. An dem Tag habe ich – in einem Spiel - meine Meinung und Einschätzung über jedes Kind gesagt. Es war sehr lustig und ergab auch ernsthafte Gespräche, obwohl keiner von ihnen sich lange konzentrieren konnte. Am Ende habe ich ihnen gesagt, dass sie mir richtig gut getan haben und das stimmt auch. Das hat sie wirklich gefreut.
Gibt es doch noch Glauben an die Kinder? Ja, würde ich sagen, wenn sie spürten, dass Zeit für sie ist, dass es auf sie ankommt und dass sie nicht abgehängt sind. Mir haben sie mehr gegeben als ich ihnen vielleicht. Wir haben zu Hause in der Zeit, als ich dieses Projekt gemacht sehr angeregt und intensiv über diese jungen Leute geredet. Die Nähe zu ihnen hat mich lange beschäftigt und natürlich habe ich an meine eigene Schulzeit gedacht. Es gab Zeiten in meinem Leben, da fehlte ich wochenlang in der Schule, es drohte der Verweis, ich war ungebärdig und frech. Es gab allerlei Gründe dafür, aber am Ende rappelte ich mich selbst wieder halbwegs auf. Und ich hatte eine liebe Lehrerin, die mich ernstnahm, obwohl ich andauernd wieder fehlte.
Manchmal treffe ich noch Schüler auf der Straße, manche ignorieren mich, manche – vor allem die Mädchen – grüßen einfach, einer nickt sehr sehr beiläufig. Sie sind inzwischen schon wieder gewachsen, einige richtig aufgeschossen. Wenn ich sie sehe, freue ich mich.
Kommentare 10
..Film neuerdings "Die Klasse", Laurent Cantet, Frkr 2008 - sehr zu empfehlen, hat wo ne Palme oder nen Löwn ergattert.
den film "Die Klasse" habe ich auch gesehen, und dann gibts z.b. noch "Die Kinder des Monsieur Mathieu", nachkriegszeit, auch sehr intensiv ...
Ich find's unglaublich schwierig, über Schule zu reden. Den Elternsprechtag von meinem Sohn hab ich nicht mehr besucht, seit er in der sechsten war, und bei meiner Tochter ähnlich. Elterncliquen, die sich zusammentun, um gegen Lehrer vorzugehen. Lehrer abba auch.
Andererseits, wir haben in den mondänen Quartieren dieser weltoffenen vielgepriesenen Stadt Elternräte, die in die Angelegenheiten von Schule dreist und unverblümt reinregieren. Wird jedenfalls erzählt, und in dieser Stadt tobt wieso wieder Schulkampf.
Ich glaub es ist die Atmosphäre. Jeder erwachsene Deutsche hält sich eigentlich für den wirklichen Lehrer. Für den wirklich besseren Lehrer. Na ich will nicht heulen, die Taschentücher gehen schnell aus bei diesen Temperaturen.
Ich denk das wächst auch raus. So langsam langsam. Verängstigung, Geltungsdrang, Reizbarkeit, Überforderung - eine explosive Melange und man möchte fast staunen, wieso da trotzdem so erfreulich oft richtig gesunde Halbwüchsige rausgelaufen kommen.
Hallo,
danke fürs Lesen und für die Filmtipps.
Ich hoffe ja, dass ich mit meinem Text nicht besserwisserisch daherkomme. Dazu hätte ich wirklich keinen Grund.
@ dreizehn - "Ich glaub es ist die Atmosphäre. Jeder erwachsene Deutsche hält sich eigentlich für den wirklichen Lehrer. Für den wirklich besseren Lehrer. Na ich will nicht heulen, die Taschentücher gehen schnell aus bei diesen Temperaturen."
Mir ging es eher so, als würde ich immer mehr ein Kind in dieser Klasse und das fand ich viel interessanter. Ich weiß überhaupt nicht, "wie Pädagogik geht" und war froh, dass die mich nicht geärgert haben und dass ich dennoch ein bisschen Einblick bekam.
Für mich war es, wie geschrieben, eine spannende Erfahrung, aber dass die Kinder es schwer haben werden in dieser Welt, das war zu sehen und das, was ich über einige Kinder wusste und erlebt habe, war auch nicht ermutigend. Ich war aber lange mit dieser Zuneigung und (altmodisches Wort) Rührung, die mich befallen hatte, beschäftigt.
Möglicherweise auch wegen eigener Erinnerungen.
liebe magda, du bist mal wieder in die bildungsanstalt gegangen? in eine problemschule mit problemschüler/innen und problemfamilien?
du hast den vergleich nicht angestellt: aber in der schwierigsten schule ist es allemal erträglicher als in irgendeinem schul- oder kultusministerium.
der klassenraum ist umstellt von fragwürdigkeiten. aber eines ist ganz klar: "kleinere Klassen!!!"
ceterum censeo: diese gesellschaft hat keine zukunft, weil sie wider besseres wissen (und vorbilder aus anderen ländern) die klassenfrequenz hoch hält, weil nicht wissen (hier: psychologie und pädagogik)regiert, sondern die blanke kaltschnäuzigkeit der irgendwie gewählten.
(du weißt, wen ich meine.)
Hallo Magda,
das ist insgesamt schon schwierig einzuschätzen, denn das Schulsystem bringt jedes Jahr Schüler mit guten und Schüler mit schlechten, oder schlimmer ohne Ergebnisse hervor.
Kleinere Klassen wird überall all Lösung präsentiert. Vom Prinzip her würde das vielleicht auch helfen. Aber als ich Schüler war, waren wir von der ersten bis zum Abitur immer 30 bis 35 Schüler in der Klasse und wir haben auch etwas gelernt. Das Problem sitzt meiner Meinung nach viel tiefer.
Es beginnt mit der Auswahl und der Ausbildung des Lehrer, der Auswahl der in ihren Schulen "fast allmächtigen Direktoren", der Lehrplangestaltung, den Lehrmaterialien und den Kosten für die Eltern.
Und es setzt sich fort mit den Erziehungsfähigkeiten und der Vorbildwirkung der Eltern, ihrer Bereitschaft Hilfe anzunehmen und anzubieten.
Und vielen anderen kleinen und Großen Problemfelder.
Von der Politik und den Medien (und den dadurch aufgescheuchten Eltern) wird doch nur an den Erscheinungsformen herumgedocktert. Schulcampus Rütli ist das klassische Beispiel. Eine unfähige und nicht anwesende Schulleitung hat den Medien ein gefundenes Fressen geliefert und die Politik schafft mit zweistelligen Millionenbeträgen ein Muster der Problembewältigung. Während ringsum in den anderen Schulen nicht mal Geld für ne Klospülung da ist. Das gleiche gilt für die Berliner Schulreform. Ich will und kann nicht beurteilen welche Schulform besser ist, aber solange nur die Kosten reduziert werden sollen kann nichts sinnvolles herauskommen.
Danke für die ergänzenden Beiträge, aber ich habe mit den "paar Schulstunden" viel eher gemeint, dass sie mir irgendwie noch einmal zuteil wurden, als dass ich wüsste, was eine gute Schule ist.
@ m.yuren- ich war bei Kindern, weniger vielleicht bei einer Institution.
@ nuntius - ob Kinder in kleineren Klassen mehr lernen, hängt sicherlich von den Lehrern ab, aber die würden deutlich entlastet und könnten sich vielleicht auf ihre Aufgaben konzentrieren - meine ich. Ansonsten glaube ich auch, dass man dem Bildungsproblem mit medialem Alarmismus nicht beikommt.
Aus dem Beitrag kann man jedenfalls eine wesentliche Schlussfolgerung ziehen: An Magda ist eine Lehrerin verloren gegangen. Lehrer müssen die Kinder lieben, alles andere ist sekundär.
Na, das glaube ich nicht, dass ich als Lehrerin klargekommen wäre. Aber, eines stimmt: Ich nehme Kinder und Jugendliche immer ganz ernst und das merken die sofort.
Trotzdem: Vieles an meinem Beitrag ist ein bisschen "Altersweisheit oder "Altersmilde".
Aber rein vom Gefühl her: Die meisten Kinder, nicht alle, sind nicht genug geschätzt und geliebt, leider.
Liebe Magda,
vielen Dank für Deinen nachdenklichen Bericht.
Es muss einen Glauben an die Kinder geben
weil wir uns keine anderen aussuchen können....