Eine Bildungsreise zu Erhard Eppler

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Buchvorstellung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung

Ich liebe Bildungsreisen durch die Stadt – bei diesem malerischen Herbstwetter noch mehr als sonst. Im Sinne hatte ich außerdem die vielen Fragen eines gewissen Pelzig aus der „Anstalt“, die „Märkte“ betreffend.

Erhard Eppler wollte sein neues Buch „Eine solidarische Leistungsgesellschaft – Epochenwechsel nach der Blamage der Marktradikalen“ – moderiert von Franziska Augstein – vorstellen.

Dass Claudia Roth, die ebenfalls an der Vorstellung teilnehmen wollte, absagen musste, hatte an einem Tag wie gestern fast Symbolkraft, denn Epplers Buch ist u. a. eine Abrechnung mit den marktradikal-hysterischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, an denen – wie wir wissen –auch die SPD ihren Anteil hat und die u. a. auch zu der Abstimmung führte, wie sie zur gleichen Zeit im Bundestag stattfand.

Kritik an einseitigem

Wachstumsbegriff

Am Beginn wandte er sich gegen einen sehr einseitigen Wachstumsbegriff und beklagte die Folgen, die diese Einseitigkeit für die gegenwärtige Entwicklung hat. Wachstum sei jaeigentlich nichts als eine statistische Größe für ein politisches Ziel, erklärte er: Alles was unter einer solchen Prämisse den Besitzer wechsele, schaffe Wachstum. Es sei überhaupt nichts, was unser Leben verbessert. Und weil sich schon Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts immer deutlicher abzeichnete,, dass diese Art „Wachstum“ Grenzen hat, wurde es gewissermaßen mit staatlichem Wachstums-Doping versucht.

Die Konservativen taten das durch Steuersenkungen oder -erleichterungen z.B. bessere Abschreibungsregelungen und weitere Instrumente. Die Sozialdemokraten versuchten es mit sozialen Programmen. Und die Schuldenspirale begann sich zu drehen bis auf den heutigen Tag. So Epplers Diagnose. Dass auch die Sozialdemokraten dem Glücksversprechen der Marktradikalen folgten, die immer weniger Regelungen, immer weniger Staat als das Erfolgsrezept weltweit propagierten, greift Eppler natürlich auf.Denn auch er war Gerhard Schröders Parteigänger und unterstützte ihn im Agenda 2010-Prozess.

Keine Erinnerung an

Oskar Lafontaine

Gestern rief er den hohen Druck des marktliberalen Zeitgeistes, den die Medien noch einmal enorm verstärkten, in Erinnerung. Nicht in Erinnerung rief er die Tatsache, dass sich ein gewisser Oskar Lafontaine diesem Zeitgeist verweigerte und welchen Preis der dafür zu zahlen bereit war.

Als einen der wesentlichen Fehler im Agenda 2010 Prozess sieht er an, dass sich in Wolfgang Clement zu dieser Zeit Wirtschaftsminister und Sozialminister verbanden. Mir aber scheint, dass das kein Fehler, sondern eine gewollte Taktik unter Schröder gewesen ist. Denn, wenn es einen sozialpolitischen Gegenspieler gegeben hätte, mit gewerkschaftlichem Hintergrund, wie bis dato üblich, hätte die Agenda 2010 möglicherweise noch anders ausgesehen.

Der Wachstumsbegriff, der zu Beginn diskutiert wurde, spielt natürlich auchbei den Vorschlägen die Eppler für die Zukunft macht, eine große Rolle.

Er betrachtet Wachstum gewissermaßen „dialektisch“ und fragt: Was muss weniger werden, damit anderes mehr werden kann. Was muss schrumpfen, damit anderes wächst. Am Beispiel der Energiepolitik war das gut zu belegen.

Neoliberale Geburtsfehler

der EU-Verträge

An einem Tag wie dem gestrigen ging es natürlich auch um die Entwicklung der Europäischen Union und die Sicherung des Euro.

Dass die gewonnene Abstimmung um den Euroschutzschirm wieder nur ein Aufschub sein kann, ist klar. Eppler verwies bei dieser Gelegenheit auf die „Geburtsfehler“ der EU, das völlig Fehlen einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie zu etablieren wird ein langer Weg, denn die Verträge, die die EU begründen, sind komplett unter diesen marktradikalen Prämissen geschlossen worden. Die Begleitmusik dieser Verträge ist bis in die Gegenwart auch nicht von mehr Gemeinsamkeit geprägt, sondern von Konkurrenz mit höchst nationalistischen Untertönen. Und das hat zur gefährlichen Folge, dass die EU zwar eingreifen kann, wenn ein Staat Schulden macht, aber immer nur auf der „Ausgabenseite“ – bedeutet zum Sparen anregen. Auf der „Einnahmeseite“ was Steuern betrifft, ist sie völlig ohne Kompetenzen und Einfluss. So sei das eben, meinte Erhard Eppler, wenn die europäische Einigung ein reines Elitenprojekt ist, das mit den Menschen nichts mehr zu tun hat.

Was wäre aber, fragte Franziska Augstein , wenn es plebiszitäre Element in der EU gäbe und in der Gegenwart alle gegen den Euro stimmen würden. Dem könnte man nur entgegenwirken, wenn Politiker sich wirklich als überzeugte Europäer darstellen und die Entwicklungen genau erklären. Das steht, so fand ich, im genauen Gegensatz zur Politik der FDP, die eher die nationalen Ängste bedient.

Transferunion

ohne Gestaltung

Dass die EU inzwischen eine Transferunion ist, aber völlig ohne Gestaltungsspielräume, wurde auch in der Diskussion, die sich anschloss. zum Ausdruck gebracht.

Und deshalb können die Ratingagenturen weiter gegen einzelne Staaten kegeln. Das wäre nur abzuwenden, wenn ein Europa entstünde, in dem man sich in bestimmten Fragen einig ist.

Als wirkliche Blamage hat sich die Grundthese der Marktradikalen – lasst nur die Politik und den Staat draußen –erwiesen. Die Banken rufen nach dem verpönten Staat, reichten eine Weile nur noch Kredite mit staatlicher Garantie aus und sind jetzt kaum bereit, einen Beitrag zur Gesundung der Staatsfinanzen, die sie dauernd in Anspruch nehmen zuleisten.

Beim Rückweg – zufällig vorbei an der FDP-Zentrale – dachte ich:

Wäre das nicht eine Herausforderung gewesen für diese so heruntergewirtschaftete Partei, dem Erbe Genschersund anderer so hochkarätiger Vordenker wie Ralf Dahrendorf zu folgen und den europäischen Gedanken politisch auf die Fahnen zu schreiben?

Dazu ist es zu spät. Diese Partei hat sich verschlissen. Startete als Tiger und landete als Bettvorleger.

Ob Pelzig aus der "Anstalt" mit Epplers Zeitdiagnosen einverstanden wäre, weiß ich nicht, aber die richtigen Fragen hat er schon gestellt.

Erhard Eppler, geb. 1924, „versprach“ ironisch, er werde jetzt – mit 84 Jahren – kein weiteres Buch schreiben. Aber bei diesem hier sei es ihm wichtig gewesen, noch einmal Denkanstöße zu geben. Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass Eppler selbst seine Parteigängerschaft für neoliberale Entwicklungen ein bisschen wettmachen will.

Er gehört zum „Urgestein“ der Sozialdemokratie und war einer der engagiertesten Aktivisten innerhalb der Friedensbewegung der 80er Jahre.

Stets war er beim linken Parteiflügel zu verorten. Warum er sich auf die Seite der Agenda 2010-Befürworter schlug, ist nicht ganz erfindlich. Auch seine Haltung zu den Auslandseinsätzen der damaligen Bundesregierung war widersprüchlich.

Insgesamt aber stand er der in Regierungszeiten von der SPD vertretenen Wirtschafts- bzw. Sicherheits- und Außenpolitik überwiegend distanziert bis ablehnend gegenüber.

Übrigens: Der von Antifeministen immer scharf kritisiert Satz: „Wer eine menschliche Gesellschaft will, muss die männliche Gesellschaft überwinden.“’ stammt nicht von einer radikalen Feministin, sondern von Erhard Eppler. Auf einer Veranstaltung seiner Partei im Jahr 2008 outete er sich als Quelle. Und er meinte auch noch: „Ihr dürft ihn getrost ins Hamburger Programm übernehmen“. Da ist er sich treu geblieben und bleibt ein Kritiker der patriarchalischen Gesellschaft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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