Fluchten in alle Richtungen

Performance VON INNEN HERAUS DRAUSSEN – eine Performance von MS Schrittmacher im Dok 11 Eden***** über den Umgang mit einer Welt, die immer bedrohlicher scheint.

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Zu Beginn läuft ein Video-Nachrichtenmix. Dann stehen die beiden Performer – Jorge Morro und Andrea Dorian Rama – an zwei Mikros und bestätigen sich:No,no, no, no....dann wechseln sie die Position und verneinen erneut die Zumutungen dieser Welt da draußen.

Dann wird es expressiver, verwirrender und bleibt dennoch am Thema dran: „VON INNEN HERAUS DRAUSSEN” ist das Motto der tänzerischen Performance der MS Schrittmacher, die dieser Tage im Dok 11 Eden***** aufgeführt wurde. Ein choreographischer Diskurs, dem zu folgen nicht einfach, aber doch so spannend war, dass die Zeit seltsamerweise wie im Fluge verging.

Die Welt ist aus den Fugen. Und während die Menschen hier in unsereren Regionen versuchen, nach innen zu fliehen, sich zu verbarrikadieren und abzuschotten, versuchen andere in den Krisengebieten der Welt durch Flucht nach draußen den Gefährdungen und der Todesgefahr zu entkommen. Wie geht das zusammen. Wie kann man das darstellen ohne weitere Worte außer „NO“?

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Zwei Choreographien - sie stammen von Efrat Stempler und Martin Stiefermann - die aufeinander bezogen sind und sich am Ende aufeinander zu bewegen, so erklären Homepage und der Flyer die Intention dessen, was wir sehen.

Eine große Rolle aus Verpackungszellophan und ein Stoffhund – der ein bisschen komisch-ironisch wirkte, als Zeichen vergeblicher „wachsamer Abgrenzung“ - bildeten das „Bühnenbild“. Requisiten waren wechselnde T-Shirts, ein Motorradhelm, und eine sehr lange, graue Haarperücke, die wie ein Versteck vor vorausgeahntem Unheil wirkte. Jedenfalls sah Jorge Morro wie eine Kassandra aus, die nicht "sehen" will. Kettenhemden – wie eine Rüstung, die aber nichts taugt. Alles weckte sehr unterschiedliche Assoziationen. Es war ein Dialog der Körper und auch eine Abgrenzung der Körper. Flucht –Abwehr. Bewegungen, die dieses „Sich nach innen drehen“ deutlich machen. Aber auch Irritationen des Fliehen wollens und doch wieder Geworfen seins.

Vieles war interpretierbar und darum interessant, Beobachtungen zu vergleichen. Jorge Morro war die intensive und Andrea Dorian Rama die expressive Seite des Diskurses. War es so? Jedenfalls hatte Rama mehr Hektik und Ausbruch als Morro.

Was bedeuteten die Balanceakte auf der Verpackungsrolle? War es ein Spiel um Gleichgewicht oder ein Symbol für die schwankende Welt oder die Suche nach Halt auf einem kenternden Schiff? Lampedusa kam in den Sinn. Jorge Morro sang diesen uralten ABBA-Song „SOS“ . War das als ironisch-bitterer Kommentar auf die Toten des Mittelmeers gemeint? Abgesehen, dass da eine gute Stimme erklang war das seltsam befremdlich.

Man sitzt bei dieser Performance im Kreis um die Darsteller. Wir kamen uns – wie die Gesellschaft dieser Gegenwart – sehr voyeuristisch vor, die intensiven wie expressiven, Kraft verschlingenden sich in sich hinein schlingenden Bewegungen beobachtend. Das verstärkte das Gefühl des Ausgesetzt seins und des Bemühens sich dem zu entziehen.

Irgendwann an diesem Abend kam mir ein Gedicht von Else Lasker-Schüler in den Sinn.

Weltflucht.

Ich will in das Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose
Meiner Seele,
Vielleicht – ist's schon zu spät zurück!
O, ich sterbe unter Euch!
Da Ihr mich erstickt mit Euch.
Fäden möchte ich um mich ziehn –
Wirrwarr endend!
Beirrend,
Euch verwirrend,
Um zu entfliehn
Meinwärts!

Else Lasker-Schüler (1902)

Es erschien mir wie eine Verbalisierung des Teiles, der das "Innen" mit Hilfe der Körpersprache ausdrücken will.

Die Tänzer liefen über die inzwischen ausgerollten Zellophanverpackung, es ertönten die lauten Knallgeräusche, wenn die Noppen platzen. Pistolenschüsse, ständige Gefahren. Ferguson?

Hervorragend war der Soundtrack, der Bewegungs- und Körpergeräusche beider Tänzer, aber auch die Kommunikationslaute der immer unverständlicher und verwirrenden Welt zusammenfasst. Das war manchmal laut und schmerzhaft und sogar brüllend, manchmal ein ganz knapper Lautkommentar.

Video des Tanzforums Berlin

Gute Bilder auf Facebook#

Nach schwierigem Anlauf, die Premiere musste verschoben werden, weil ein Tänzer krank geworden war, läuft die Performance noch heute und morgen. Eine Wiederaufnahme im nächsten Jahr ist geplant.

Dramaturgie und Text stammen von Hartmut Schrewe, der hin und wieder - leider auch immer seltener - als Kallewirsch bloggt. Die sonstige Besetzung ist auf der Homepage von MS Schrittmacher zu erfahren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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