Frau ins Frigidär

#merkelstreichelt Stiefmutter Europas, Racheengel, Eiskönigin: Die Zuschreibungen an Angela Merkel folgen zunehmend einem Hang zur Dämonisierung
Noch so ein Klassiker unter den Sinnbildern für mächtige Frauen: Die männermordende Gottesanbeterin
Noch so ein Klassiker unter den Sinnbildern für mächtige Frauen: Die männermordende Gottesanbeterin

Foto: Al Bello/ Getty Images

Es geschieht immer mal wieder, dass Politiker oder Politikerinnen „aus der Rolle“ fallen. Manchmal bekommt das Kultstatus, oft aber gehört so ein Auftritt zu den Instrumenten, die politische Gegner später gern aus der Versenkung holen.

Das Video von Merkels Bürgerdialog in Rostock wird kaum kultig werden. Ihr Auftritt und das Echo besonders in den sozialen Medien sind allerdings weniger ein Beweis für die Kälte der Kanzlerin, als ein Lehrstück über die schnell abrufbare Bereitschaft zur Empörung. Nebenbei zeigt die öffentliche Reaktion auch ein interessantes Paradox: Die Internet-Gemeinde trifft mit Verdammungs- und Prangerritualen, die eher vordemokratisch anmuten, eine Kanzlerin, deren Regierungsstil oft anklagend als postdemokratisch bezeichnet wird.

Die Kanzlerin hat zwei schwache Stellen im Umgang mit der Öffentlichkeit: Sie ist eine etwas nüchterne und manchmal ungelenke Ost-Nord-Ost-Deutsche. Und sie ist eine Frau. Damit ist sie – wie eine Zeitung im 2013 recherchierte – einem Viertel der Männer hierzulande ohnehin unheimlich.

Wenn auch manchmal gestritten wird, ob es einen spezifisch weiblichen Führungsstil gibt, besteht kaum Dissenz darüber, dass der Blick auf eine Frau in der Öffentlichkeit immer von Geschlechterstereotypen mitbestimmt ist. Die wissenschaftlichen Abhandlungen darüber sind Legion. Die Zuschreibungen an Merkel sind – sieht man von der albernen Mutti-Benennung ab, die sich CDU-Männer haben einfallen lassen – von diesen Stereotypen bestimmt und von einem zunehmenden Hang zur Dämonisierung, vom festen Willen das „Böse an sich“ in ihr zu benennen und zu verurteilen. Stichworte sind schnell gefunden. Die Kanzlerin ist kalt, im Stern der letzten Woche gefror sie gar zur Eiskönigin. Die einstige Klimakanzlerin im Abkühlungsmodus, eine Kanzlerin im Frigidär. Dämonische Kälte und Kinderlosigkeit. Es sei erinnert an die unsägliche Fotomontage in einem polnischen Magazin. Unter dem Titel Stiefmutter Europas wird eine barbusige Merkel – die Kaczynski-Zwillinge nährend – gezeigt. In regelmäßigen Abständen wird die männermordende Gottesanbeterin bemüht. Auf Facebook verknüpfte jemand jetzt sogar eine berüchtigte Himmler-Rede mit dem Auftreten der Kanzlerin. Der Gipfel indes war, dass jemand von der „Banalität des Bösen“ im Zusammenhang mit Merkel schrieb.

Dass Frauen bei ihren öffentlichen Aktionen zuviel bedenken müssen, eigentlich immer nur alles verkehrt machen können, kann ein Grund für die Verkrampftheiten bei Merkel sein. Was sie auch tut, es wird auf Kritik stoßen. Ist sie zu harsch, gibt’s Kritik, ist sie zu gefühlig, gibt’s Kritik. Und das wissen Politikerinnen natürlich, weichen aus und sind noch seltener sie selbst. Einen weiblich-adäquaten humorig-derben Spruch wie „Hol’ mir mal ne Flasche Bier sonst streik’ ich hier“, kann sich keine Frau leisten.

Merkel wird sich bemühen, noch weniger aus der Rolle fallen und noch mehr zu kontrollieren. Das letzte ARD-Sommerinterview zeigte das deutlich. Aber das wird sie nicht entlasten. Neue Rollenzuschreibungen warten schon auf sie, es wird kälter werden. Die Eiskönigin ist nur ein Vorbote. Im Nachgang zur Griechenland-Krise titelte eine Zeitung, den Vornamen der Kanzlerin verwendend: Vom Gipfelengel zum Racheengel.

Magda Geisler bloggt auf freitag.de

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