Ich beschäftige mich gerade – weil ich das Vortragswesen eines soziokulturellen Zentrums zu beleben beabsichtige - mit dem Leben der Gräfin zu Reventlow. Eine hochinteressante Frau, deren Biographie absolut chaotisch war, die kreativ und eigenwillig lebte und deren erotische Abenteuer von beachtlicher Vielfalt zeugten. Ein Kind hatte sie auch, dessen Vater sie nie angegeben hat. Und dieses Kind wurde von ihr zwar abgöttisch geliebt, aber nicht „aufgefressen“. Ich weiß jetzt nicht, ob die Tatsache, dass er ein bekannter Sozialdemokrat wurde, der Rolf Reventlow, heute für ihn und seine Erziehung spricht. Aber egal – sein Verhältnis zur Mutter war gut und innig ohne Ablösungsprobleme.
Diese Gräfin hatte, wenn sie mal Geld in die Fingern bekam – Honorar oder Erschnorrtes - eine herrliche Angewohnheit. Meist waren das ja noch richtige Edelmetallmünzen. Und die warf sie erst einmal in ihrer bescheidenen Bude rum. Dann sammelte sie sie wieder ein, zählte aber nicht nach.
Befragt, warum sie dieses tue, erklärte sie, es sei in knappen Zeiten so herrlich, wenn man suche und fände dann – hinter Bett oder Schrank – noch ein Geldstück. Nebenher hat sie neben zahlreichen anderen Büchern auch einen Roman mit dem Titel „Der Geldkomplex“ geschrieben. Auch über Männer und deren unterschiedlichen Talente hat sie sich in einem Roman etwas spöttisch geäußert. Aber alle liebten sie, die Muse von Schwabing. Der Anarchist Erich Mühsam nannte sie einmal den »innerlich freiesten und natürlichsten Menschen, dem ich begegnet bin«
Der Umgang mit dem Leben dieser verrückten Person ist ein Trost in Zeiten, wo alles ganz ordentlich sein soll und auch überwacht. Seit es die in Pankow kreierte Negativliste gibt, wo alle Kneipen, die hygienisch nicht ganz o.k. sind, angegeben werden – mit Fotos – und so, frage ich mich, ob das eine wirklich gesunde Entwicklung ist, die man da beobachten kann – Hygiene hin oder her. Ist es gesund, wenn sich alle überbieten an Internet-Petze und an virtuellem Staubwischprüfen. Widerwärtig. Und das wird jetzt in ganz Berlin saubermäßig Klippschule machen. Dabei weiß man inzwischen, dass zuviel Hygiene die Abwehrkräfte schwächt. Naja, ist doch wahr.
Der Gedanke an Franziska zu Reventlow, die alle zum Wahnsinn gebracht hat mit ihrem Durcheinander, aber eben nicht nur damit, hilft da ein bisschen gegen diese Sagrotan-Fuzzis.
Kommentare 8
Staune immer wieder, womit Du Dich alles so beschäftigst. Und was Du für bemerkenswerte Figuren entdeckst und zeichnest. In der Psychologie gibt es Krankheitsbilder für alle möglichen Abweichungen von den Durchschnittsnormen des Umgehenkönnens mit Geld, Zeit, Schmutz usw. Ein paar Jahre noch, und ich bin ein Psychopath, wenn ich mir nicht das Schamhaar abrasiere. (Barttragen wird aber wohl immer wieder periodisch 'cool' sein...)
Und hübsch war sie auch noch, wenn auch mit einem etwas traurigen Blick.
tinyurl.com/kq6nat
Dafür mußt du dir heute aber schon die Brusthaare abrasieren. Ich hab erst gedacht, ich hör nicht richtig, als ich die Rasiererwerbung zum ersten Mal im TV gesehen hab. Ich hab nur gedacht, die armen Männer. (Und die armen Frauen!) Til Schweiger macht ja mit in diesem Werbespot. Gott sei dank der, dachte ich weiter, den kannst du als Mann eh nicht ernstnehmen.
Die Gräfin kenne ich nur über die Schilderungen von Erich Mühsam.
Einen der Grafen von Reventlow hatte ich mal als Prof an der Uni. Fachlich gab das nicht viel her, menschlich auch nicht unbedingt, aber ein Original durch und durch. Muß wohl irgendwie doch in den Genen liegen.
Ich bin fast vom Stuhl gefallen vor lachen - aber die Frau interessiert mich.
Es ist zwar nicht so, dass ich mit Goldmünzen werfe, aber ich habe eine ähnliche Technik. Bei mir liegen in sämtlichen Schubladen, Bücherkartons etc. irgendwelche Notgroschen, die ich spätestens nach einem halben Jahr vergessen habe, aber immer genau dann wieder finde, wenn ich sie brauche. Es lebe das Chaos!
Was den Hygienewahn angeht, bin ich auch immer wieder schockiert. Da höre ich doch tatsächlich von Leuten (meist weiblich) in meinem Alter, sie fänden sich selbst so abscheulich, weil sie nach einem Tag Stadtrundgang durch das vor Hitze glühende Rom nach Schweiß riechen. Das wurde in einer selbstverachtenden Form thematisiert, die mir so manches Mal den Schauer über den Rücken hat laufen lassen. Es war nicht nur so, dass sie sich für diese natürliche Reaktion des Körpers geschämt hätten, sie klagten sich förmlich selbst an. Da frage ich mich wirklich, wie es dazu kommen kann, dass man sich nicht einfach auf die Dusche freut und es dabei bewenden lässt. Irgendwer muss diesen Personen ja eingebläut haben, dass sie sich schrecklich zu fühlen haben, wenn sie ihren normalen Körpergeruch nicht mehr mit Sprays übertünchen können.
Ach Leute, worüber rauft Ihr Euch denn die Haare?
Industrie und Wirtschaft (um nicht schhon wieder "der Kapitalismus" zu schreiben) waren halt gezwungen, Marktlücken zu füllen. Woher sollte sonst eine Steigerung des Profits kommen?
Da wurden dann vorpubertäre Mädchen entdeckt als laufende Barbie-Puppen, denen man Nagellack, Duftwasser etc. andrehen konnte, danach dehnte man die Kampagne auf den Mann aus, damit er ein bißchen munterer konsumire.
Weit davor noch wurde uns der Sauberkeitswahn implementiert, gefolgt vom Hygienewahn.
Dazu gehört auch die Angst vor Gerüchen und vor Körperflüssigkeiten. Mindestens einmal am Tag geduscht - das erfreut den Geldbeutel der Kosmetikindustrie sowie der Waserwerke und der Energieversorger! Sonst riecht man - evtl. sogar nach Schweiß! Bä! Bä!
Das ist doch ein alter Hut!
Aber es sit prima, Magda, daß Du uns die 'chaotische Gräfin' nahegebracht hast. Danke!
Na, ich hänge noch eine kleine Episode aus dem Leben der Reventlow an, die so herrlich und typisch ist. Ich sage ja: Dieser Vortrag wird kurzweilig:
Nachgeliefertes zu Franziska zu Reventlow
Die Gräfin mit ihrer chronischen Geldnot zog – auf den Rat Erich Mühsams - nach Ascona. Der mit Mühsam befreundete baltische Baron Alexander von Rechenberg-Linten suchte eine Frau für eine Scheinheirat.
Und jetzt beginnt eine der herrlichen Possen, die im Leben von Franziska von Reventlow öfter vorgekommen sind.
Der alkoholkranke Aristokrat, der für seine italienische Waschfrau entflammt war, musste befürchten, dass sein Vater eines Tages nicht mehr für seine Schulden aufkommen würde, falls er nicht standesgemäß heiratete und eine Familie gründete.
Die Reventlow hatte nichts gegen eine solche Ehe und im Falle des Barons kommentierte sie das lakonisch, sie brauche ja noch nicht einmal neue Monogramme in ihrer Wäsche.
Anfang 1911 traf Alexanders Vater in Ascona ein, und im Juni fand die Hochzeit statt, Franziska Gräfin zu Reventlow wurde de jure zu einer Baronin von Rechenberg-Linten mit russischer Staatsangehörigkeit.
Die ganze Hochzeit muss eine mpsfidele Angelegenheit gewesen sein.
Zur kirchlichen Trauung erschienen der Schwiegervater und Rechenbergs Geschwister, eine Schwester und ein Bruder. die Zeremonie fand in einer kleinen protestantischen Kirche statt und es bestand die Gefahr, dass die Braut anfängt, zu kichern.
Als der reiche Schwiegervater 1913 starb, stellte sich heraus, dass er die Täuschung doch durchschaut und das Erbe seines missratenen Sohnes auf den Pflichtteil begrenzt hatte. Aber es war trotzdem eine beträchtliche Summe.
Es handelte sich um Aktien einer russischen Eisenbahngesellschaft. Die verkaufte der Baron und überließ seiner »Ehefrau« vereinbarungsgemäß und fair die Hälfte des Erlöses. Aber nicht lange danach ging die Bank in Locarno, bei der Franziska zu Reventlow das Geld anlegte, in Konkurs.
„Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen“, so soll sie das kommentiert haben. Aber in ihrer Erzählung der Geldkomplex hat sie die Geschichte schon verarbeitet.
ich kannte franziska zu reventlow nicht mal mit dem namen. danke. viel neues gelernt :-) manche menschen machen mit realen begebenheiten der fiktion ziemliche konkurrenz.