Home made melancholie

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Der beste Stimmungsaufheller ist man selbst - immer.
Wirksamste Remedur schafft die eigene Seele selbst - immer.
Man muss nur auf sich hören.


Als ich kürzlich ungut melancholisiert die völlig kahle und unwirtliche Fläche vor dem S-Bahn-Hof Gesundbrunnen entlang ging, fiel mir dies wieder ein. Das Wetter war kühl, ein bisschen Regen lag in der Luft, eine frische Brise, als wäre Herbst, wehte, die wenigen Händler und Stände waren mäßig geschäftig.

Ich ging da so entlang und hatte im Ohr: Sinead O' Connor "Peggy Gordon", ein Singsang, den man niemanden zuzumuten sich traut, außer heimlich so als MP3 oder als Link, den man nicht öffnen muss.
video.mail.ru/mail/avemay/659/602.html

Mir steigt bei diesem geseufzten Jammer, dieser zarten aber schwer beatmeten Stimme zuverlässig die Träne ins Auge. Und ich könnte mitsingen und fühlen.

Oh Peggy Gordon you are my Darling
come sit you down here on my knee
And tell to me the very reason
why am I slighted so by thee.

video.mail.ru/mail/avemay/659/602.html

Nur für Leute geeignet, die eine arhytmische Atmung vertragen ohne ins Hyperventilieren zu geraten. Immer am Rande des Sentimentalen, was mir völlig egal ist. Wenn es Tai Chi zum Singen gäbe, dann wäre es das.
Aber, es rührt mich zuverlässig und dann noch diese Zeile:

"A troubled mind can know no rest. "


Was mich dabei heimsucht, ich weiß es nicht. Der "troubled mind" vielleicht. Vielleicht entsteht manche Melancholie wegen eines Gleichmaßes, das dem Leben die Würze nimmt.

Manchmal also, wenn sich so diffuse Traurigkeiten um die Seele winden und wenn die nicht weichen wollen und so anstrengend sind fürs Gemüt, dann muss die Homöopathie her. Dann suche ich sie und stelle sie selbst her, wie es die homöopathische Regel verlangt. Genau: "Home made melancholie" und ich verstärke sie mit Sinead O' Connor, das kann wahlweise auch Anderes und möglicherweise Qualitätvolleres sein. Kürzlich in der Damen-Gesangsrunde war es "Scarborough Fair", altes englisches Volkslied. Das ganze Werk schon so prima dosiert mit dorischer Kirchentonart, die immer klingt wie Moll, moll, moll.
Das klappt zuverlässig.

Und dann bricht sie aus, die Melancholie wie eine kleine kurze Krankheit und - dann gehts mir besser.
Es wirkt, es wirkt. Man muss mal richtig heulen. Macht nichts, wenn es gar keinen richtigen Grund gibt.

Homöopathische "Vertraurigung"
Vielleicht ist die ganze Welt der gefühlsbetonten, seelenvollen, volksverwurzelten, traurigen, sentimentalen Gesänge auf nichts anderes eingestellt, als den Zweck, einen traurigen Menschen, homöopathisch noch ein bisschen mehr zu "vertraurigen",damit der möglicherweise heillose unnötige Kummer ihn wieder verlässt. Erstverschlimmerung heißt dieses Phänomen.

Bei klassischen, musikalisch wertvollen Sachen, da funktioniert das bei mir nicht. Da weint man möglicherweise auch, aber nicht homöopathisch, sondern aus realistischer Rührung über die Musik, nicht über den Kummer. Ach, wenn das mal alles so einfach wäre.

Mir ging es kürzlich so, dass ich am Ende meines Melancholieschubs noch am Gesundbrunnen gesundete, eine merkwürdige Euphorie, eine schöne und angenehme Lebensfreude aufkam.

Kontraaaindikation: Gegen Trauer hilft sowas nicht. Trauer ist etwas, das mit der Zeit behandelt werden muss, nicht mit Homöopathie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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