„Wir sind gegen Rechtspopulismus immun, denken die Deutschen.Eine Freitagsumfrage zeigt das Gegenteil." heißt es in der Aufmachung.
Am Beispiel der Frage: „Wir brauchen ein unabhängiges Deutschland ohne den Euro, in das keine Europäische Union hineinregiert“, kann man nachweisen, dass Deutschland - sieht man von der Euro-Ablehnung ab - rechtspopulistisch agiert.
Jürgen Habermas über das Projekt Europa
Im April dieses Jahres äußerte sich der Philosoph Jürgen Habermas erneut zum „Projekt Europa“. Das tut er in regelmäßigen Abständen und mit kritischem Unterton. So z.B. 2003 als er das Projekt Europa – zunehmend unter deutschem Einfluss – als Gefahr für die Demokratie beschrieb.
In seinem neuen Beitrag Merkels von Demoskopie geleiteter Opportunismus macht er die vom Europäischen Rat unter dem Druck der Finanzkrise beschlossene „offene Koordinierung“ der Wirtschaftspolitiken zum Gegenstand seiner Kritik. Eigentlich kritisiert er an Angela Merkels Politik eine Haltung, die mit der ersten Europa-Frage von Forsa sehr gut beschrieben ist. Deutschland will in der Tat eine unabhängige Führungsmacht in Europa sein nach der sich die anderen Länder richten sollen. Seit der deutschen Einheit will Deutschland sich von der außenpolitischen Linie der Kooperation und des Konsenses befreien, keine Rücksichten mehr nehmen und agiert nationalstaatlich-egoistisch.
Euphorischer Glaube an die
Ordnungskraft der Märke
Deutschland konkurrierte mit Niedriglöhnen die anderen EU-Staaten nieder, hielt auch nichts von Wirtschaftskoordinierung und muss sich jetzt unter dem Druck der Euro- und Schuldenkrise dazu bequemen. Vorher hatte man euphorisch an die ordnende Kraft der Märkte geglaubt.
Die „offene Koordinierung“ nun ist ein Projekt ohne Verbindlichkeit. Habermas schreibt: "Die Regierungschefs haben sich darauf festgelegt, jeweils im eigenen Land einen Katalog von Maßnahmen zur Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- und Lohnpolitik umzusetzen, die eigentlich Sache der nationalen Parlamente (bzw. der Tarifparteien) wären. In den Empfehlungen spiegelt sich ein Politikmuster, das die deutsche Handschrift trägt. ..."
Ob die verordneten Instrumente überhaupt ökonomisch weise sind, will Habermas gar nicht untersuchen, er will die Verfahren kritisieren: „Die Regierungschefs wollen sich jedes Jahr gegenseitig über die Schulter sehen, um festzustellen, ob denn die Kollegen den Schuldenstand, das Renteneintrittsalter und die Deregulierung des Arbeitsmarktes, das Sozialleistungs- und das Gesundheitssystem, die Löhne im öffentlichen Sektor, die Lohnquote, die Körperschaftsteuer und vieles mehr an die "Vorgaben" des Europäischen Rates angepasst haben."
Diese Methode der reinen Empfehlungen nur unter der Exekutive auf der europäischen Ebene und - vor allem - die fehlende Debatte und Bestätigung durch die nationalen Legislativen ist ein Punkt den Habermas stark kritisiert. Auf diese Weise würden, so Habermas, die heimischen, die nationalen politischen Kräfte, die Gewerkschaften und Parlamente nur noch genötigt sein, schon getätigte Vorgaben abzunicken - eine Methode, die Angela Merkel nicht nur im Zusammenhang mit der Eurokrise gern anwendet.
So lange aber die Bürger wie schon immer nur auf ihre eigenen nationalen Regierungen blicken, werden sie ihre Belange in Gegnerschaft zu "den anderen" wahrnehmen. Und dann kommt es zu den gerade beklagten populistischen - gleich ob links oder rechts - Aussagen wie: „Deutschland zahlt zuviel an die EU“.
Der Blick der europäischen Bürger müsste sich viel mehr auf das gewählte, nach Parteien und nicht nach Nationen zusammengesetzte Parlament in Straßburg richten, wenn sie diewirtschaftspolitischen Steuerung als gemeinsam zu bewältigende Aufgaben wahrnehmen wollen. Davon aber ist Europa weit entfernt. Im Gegenteil – es herrscht der von Deutschland beispielhaft praktizierte nationale Egoismus. Und eine Änderung der europäischen Verfassung ist völlig außer Sichtweite.
Das BVG sagt:
„Ja zu Deutschland“
Zusätzlich assistierte das Bundesverfassungsgericht der Merkelschen Politik mit einem sehr passenden Urteil, wie Habermas ironisch anmerkt: „Zum neudeutschen Mentalitätswandel passt übrigens das Europa-unfreundliche Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sich gegen weitere Integrationsbestrebungen mit einer willkürlichen Festlegung unverrückbarer nationaler Zuständigkeiten zum Hüter der nationalstaatlichen Identität aufwirft. Staatsrechtler haben das Urteil unter der sarkastischen Überschrift "Das deutsche Verfassungsgericht sagt ,Ja' zu Deutschland" trefflich kommentiert.“
Wenn man es genau nimmt, ist das Bundesverfassungsgericht eigentlich mit diesem Urteil stark rechtspopulistisch.
Dass sich Angela Merkel - nationalen Rücksichten und Egoismen folgend - erst nach langem Zögern zur Griechenlandhilfe bewegen ließ und sich dafür dann auch noch den medialen Sound von den faulen Griechen spielen ließ, zeigt eine deutsche Europa-Politik sehr weit rechts, da braucht es keine Populisten mehr.
Zusammenwachsen der
politisch-medialen Klasse
Die Schuldenkrise Griechenlands zeigte einmal mehr ein weiteres Phänomen, das Jürgen Habermas beklagt. Das Agieren eines demoskopiegeleiteten Opportunismus und das Zusammenwachsen der politisch-medialen Klasse. Und die "Leitmedien" - ein Begriff, den ich bisher nur noch aus der DDR kannte - seien auch noch stolz auf dieses Zusammenwachsen.
Solche Entwicklungen erhöhen die Politikverdrossenheit, lenken die Menschen auf politikferne Felder, wie die inzwischen verschwundene Eloquenz eines zu Guttenbergs oder die Seriosität von Heiner Geißler oder gar die Hoffnung auf eine starke Führung.
Wandel wäre nur möglich, wenn die Bürger sich mehr dem europäischen Gedanken zuwenden würden, wenn die Aufklärung der Menschen über die Relevanz einer funktionierenden europäischen Legislative vorankäme. Wenn Europa-Wahlen nicht mit nationalen Fragen überfrachtet würden. Aber das will keine Regierung wirklich leisten.
Die „Furcht vor Brüssel“ vor den Eurokraten mag berechtigt sein, sie ist aber auch gern ein Mittel, eigene nationale Interessen zu verfechten und gegen andere zu verteidigen. Der Vorteil dieser rechtspopulistischen Politik ist immer nur kurzfristig, greift nur von Umfrage zu Umfrage oder von Wahl zu Wahl. Sie bindet die Menschen nicht mehr in eine übergreifende Perspektive ein, wie sie die Politiken der Vergangenheit kennzeichnete.
Sie ist Beruhigung und Service für die Wirtschafts- und Finanzlobby. Langfristig hat Deutschland mit seiner unkoordinierten Wirtschafts- und Exportpolitik allerdings auch die Folgen am meisten zu tragen.
Kommentare 7
Es ist schon komisch zu sagen,
"Rechtspopulistische Politik (...) ist Beruhigung und Service für die Wirtschafts- und Finanzlobby."
Eigentlich, angesichts einer entnationalisierten Wirtschaft, für die doch Liberalität über alles geht, müßte sich "rechtspopulistisch" und "Wirtschafts. und Finanzlobby" doch ausschließen ?!?
Interessante Frage. Eigentlich dialektisch.
Ich denke, einer Wirtschaft, die - wie Du schreibst - entnationalisiert ist, wäre es genau deshalb ganz wichtig, dass sich die europäischen Nationen nicht auf eine wirkliche gemeinsame Wirtschaftskoordination einigen. Denn das engt - wie ich denke - deren Möglichkeiten, die Konkurrenz zwischen den Nationen zu nutzen, ein.
Und in Deutschland sind sie - auch bei übernationaler Aktion - durchaus für eine deutsche Führungsrolle.
Und deshalb sind solche "rechtspopulistischen" Verhaltensweisen, wie ich sie der Regierung Merkel zu schreibe für diese Kräfte durchaus von Nutzen. So habe ich es gemeint.
@ neobe - Alles kann ich nicht behandeln, aber doch dies.
"Die worte: Deutschland zahlt zu viel für die EU - sind jederzeit austauschbar.
Das hat für mich nichts mit einer mangelnden Identität zu Europa zu tun und auch nicht von einem übermäßigen Egoismus von Deutschland. Wobei ich den nicht ausschliesen will. "
Darauf bestehe aber ich. Deutschland ist Exportspitze auf Kosten der anderen Länder. Das ist ein enormer nationaler Egoismus, den alle anderen europäischen Länder stark kritisieren.
"müßte sich 'rechtspopulistisch' und 'Wirtschafts. und Finanzlobby' doch ausschließen ?!?" - Ei, wieso denn? Krupp hat schon zu olle Willemms Zeiten Freund und Feind beliefert, und die Nazis hatten auch nichts gegen die GM-Firma Opel und Ford/Köln im toitschen Reiche. Das eine ist die Ideologie fürs Volk, damit das andere funktioniert.
@magda/ goedzak
Ja, dialektisch war meine Frage auch gemeint. Das ist es ja gerade: Die Politik kehrt letzen Endes wieder zum Nationalen zurück und versucht, Konzerne mit Headquarter und auch Produktionsstandorten im Land zu befördern. Zuerst muss man zu Hause gewählt werden; zuerst gilt Opel in Aschaffenburg und nicht in Antwerpen. Der Wirtschaft ist das Nationale aber schnuppe. Die kiekt, wo die Bedingungen für sie am besten sind. Das läßt die Politik wiederum standortorientierte Entscheidungen treffen, die eben auch in's Rechtspopulistische gleiten bzw. so wahr genommen werden können. (Voran gehen zunächst freilich randständigere Politikvereine und 'Meinungsmedien').
Der Wirtschaft dürfte jeder Rechtspopulismus aber eigentlich wirklich fremd sein. Denn auch wenn die EU weit weg von ihren idealistischen Zielen ist: Die Wirtschaft kommt am besten mit ihr klar.
Schon so manches mal habe ich mir gedacht: es kann noch schlimmer werden. Aber Rechtsradikale werden wohl nicht mehr vergleichbar '33 an die Macht kommen. Wie soll denn unter heutigen Bedingeungen da noch eine Wirtschaft funktionieren? Wenn auch zuletzt: Der blanke Pragmatismus, die Sachzwänge der internationalisierten Wirtschaft müßten einen nationalistischen rechtsradikal geprägten Staat zu verhindern wissen. Vielleicht naiv?
@Neobe
es ist nicht leicht, Ihrer Gedanken Fülle zu folgen. Allein für Ihren Begriff "rechtsspastis" brauchte ich eine Weile, bis ich verstand, was Sie irgendwie meinten und dass Sie Ihre Sprache @ Schreibweise bewusst verstellen.
Evtl. versuchen Sie es mal mit Thesen.
liebe magda, wenn ein philosoph sich für einen krieg ausspricht, wie habermas es für den krieg gegen jugoslawien getan hat, kann ich den mann nicht mehr zitieren.
dass der populismus ein thema ist, hat mit der struktur des politischen zu tun. staat kann nicht anders als pro domo zu agieren. mehrung der macht ist mit etwas anderen worten der inhalt des eids, den alle staatsdiener leisten müssen.
dass marx aufs absterben des staats warten wollte, war eine mogelpackung. kittner nannte den staat in einer publikation "das bekannte Unwesen". recht hat er. der staat ist dabei so unschuldig wie jedes raubtier (das nicht wenige staaten nicht von ungefähr als wappentier tragen).
wo macht das a und o ist, mal als eroberung, mal als wirtschaftliches wachstum, kann nichts besseres resultieren als die bekannte geschichte.
seit der sogenannten wiedervereinigung, die auf nationalismus beruhte und darum besser unterblieben wäre, ist - und das wird ja seitdem laut hinausposaunt - man wieder wer, hat man wieder große verantwortung zu tragen fürs ganze. das heißt, das blöde kriminelle spiel wird fortgesetzt.
alles reden gegen populisten hilft nicht, solange die strukturen stets wieder den alten blödsinn wachsen und gedeihen lassen.
an die stelle der staaten müssen vernetzte regionen treten, global. das allein wäre natürlich zu wenig für zukunftsfähigkeit. die erblichen besitzklassen stehen einer rationalen verwaltung nach striktem subsidiaritätsprinzip natürlich auch im wege etc.