Kanzlerbahn - ein Sonntagsausflug

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Wir sind heute zum zweiten Mal mit der neuen U55 gefahren, von der niemand weiß, warum sie gebaut wurde. Wir können jetzt also, statt bisher an der S-Bahn-Station „Friedrichstraße“, an der Station „Unter den Linden“ in diese neue Bahn wechseln, die gar keinen wirklichen Zweck hat.

Das aber ist ihr Vorteil. Die Leute, die dort mitfahren wirken meist touristisch und haben zweckfreie Urlaubsgesichter. Sie wollen ja auch nicht wirklich wohin, sondern nur eben mal mit der Bahn fahren und ein bisschen an absoluter Macht teilhaben. Denn es muss so was sein, das einen demokratisch Gewählten am Ende doch in den Stand versetzt, „seine“ U-Bahn durchzusetzen.


Jedenfalls sind wir dort hinunter gefahren mit der Rolltreppe, die endlich mal so tief geht, wie es bei der machtvollen Moskauer Metro immer der Fall ist. Macht geht immer tief rein. Und wir haben uns die neue sachliche Pracht angesehen. Es stinkt dort noch unangenehm nach Farbe und Neu sein, aber sonst kann man nicht meckern. Alles sehr hell und wieder historisch-fotografisch bebildert. Geschichtsträchtig und bedeutungsschwanger. Naja, man kennt die Sachen meist schon. Wenns denn fruchtet, bitte.

Dann kam die U-Bahn und wir sind hin zum Hauptbahnhof, haben eine 8 abgeschritten, ein bisschen was Unnützes gekauft und dann sind wir am Wasser der Spree entlang zurück. Es war ein bisschen heiß

Bei der zweckgebundenen Rückfahrt mit der noch immer sparsamer als sonst verkehrenden S-Bahn wurde mal wieder deutlich, dass das öffentliche Verkehren was Bildendes hat.

Eine junge Doktorandin - sowohl bedeutungsschwanger, als auch ganz real der baldigen Niederkunft harrend - die Füße locker auf dem anderen Sitz, erklärte ihrem Begleiter, worum es in ihrer Doktorarbeit gehen wird: Um Prostatakrebs nämlich und darum, wie das soziale Umfeld auf die Erkrankung reagiert. Also, was die Ehefrau dann tut und wie sie hilft und was sie an neuen Aufgaben auf sich nimmt.

Es klang nach wenig Forschung und viel statistischer Erhebung und Erfahrung, aber wir waren verzweifelt damit beschäftigt, wegzuhören, weil die Dame eine Stimme hatte, die leicht auch Bleche hätte schneiden können.

Inzwischen war das Gespräch vorangeschritten und wir erfuhren beiläufig, dass es der jungen Dame ohnehin unverständlich sei, dass Menschen gesundheitsschädliche Gewohnheiten nicht aufgeben. Wir waren nicht gemeint, aber mit der Stimme im Rücken fühlten wir uns schwer gemaßregelt, als wir an der Bornholmer Straße ausstiegen. Ich hatte den Drang, was Gesundheitsgefährliches zu tun. Aber das Rauchen habe ich mir schon lange abgewöhnt. Ich entschloss mich – zu ungewohnter Zeit – einen Schnaps zu trinken. Das war bestimmt schädlich, aber einem guten Mittagsschlaf förderlich. Auf jeden Fall haben manche Stimmen gewaltige Macht, fiel mir noch ein. Sie sollten diese Stimme abgeben, zum Nutzen der Umgebung. Das wäre mein Beitrag zur Wahlwerbung. Dann schlief ich ein.



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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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