Ich war gestern auf einer Lesung der Autorin im Georg-Büchner Buchladen im Prenzlauer Berg. Es war ganz schön voll. Sie stellte ihr Buch vor, dessen Vorwort hier beim Freitag zu lesen ist.
Bücher, in denen die eigene Familie, die Herkunft thematisiert werden, finden aus verschiedenen Gründen Interesse. Zum einen, weil sie den Blick auch auf den eigenen familiären Hintergrund lenken, zum anderen, weil es einen Reiz hat, andere Leben zu "besehen". Gegenwärtig werden die Familienverhältnisse besonders unter dem Aspekt der Klassenzugehörigkeit beleuchtet, was - wie ich gestern bei der Lesung Marlen Hobracks feststellte - gar nicht so einfach ist. Ich erinnerte mich noch an Fragebögen aus der DDR-Zeit, bei denen die Berufe der Eltern auch mit dem Ziel erfragt wurden, einzuschätzen, ob das Kind z. B. für einen Studienplatz infrage kommt, denn da spielte die Klassenzugehörigkeit durchaus eine Rolle. Aber, wenn ein Arbeiterkind studiert hatte, war es auf einmal in eine andere Klasse gerückt und damit auch dessen Kinder.
Männer blieben im Hintergrund
Marlenes familiärer Hintergrund ist weiblich besetzt, die Männer spielten keine große Rolle oder waren meist Störenfriede. Trotzdem gab es verstörende Gewalt und wenig Empathie in der großmütterlichen Familie. Die Episode, die beschreibt, wie ein Kind - die Mutter - schwer stürzt, sich einen offenen Bruch am Arm zuzieht, und danach bei der Ankunft zu Hause, von ihrer Mutter Schläge statt Trost erhält, war schon schockierend. Tröstlich im Gespräch dann war zu erfahren, dass die Mutter der Autorin diese Tradition verließ.
Neu war mir der Begriff der "Rohen Bürgerlichkeit", den ich gar nicht kannte und den sie besonders auf die Verhältnisse in den ostdeutschen Mittelschichten anwendet. Aber, ich bin mir da nicht sicher, ob sich diese "Rohheit" nicht überregional durchaus verorten lässt. Empathielosigkeit, die sich - je nach Region - einfach nur anders, "bürgerlicher" artikuliert und manchmal verschleiert, was "im Osten" ungeschönt zu Tage tritt.
Wir alle sind das Produkt unserer Herkunft, und diese Herkunft ist ein komplexes Gefüge aus Elternhaus, Milieu, Schicht-zugehörigkeit, Klasse und der zufälligen zeitlichen Verankerung in einem historischen Abschnitt.
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