Mein Gott

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Ich kenne ihn schon lange, meinen Gott, denn er ist ziemlich treu.

Als ich ein Kind war und zu Weihnachten in die Kirche ging, war er ganz nah bei mir. Ich schnipste mit dem Finger im Kindergottesdienst, als der junge Kaplan fragte, was der Heilige Geist ist. Ich meinte damals, das sei eben der Verstand vom Lieben Gott, den hat er extra und dieser Geist ist manchmal außer ihm, weil er damit besser rumkommt auf der Erde und sogar in Menschen eingehen.

Das mit Gottessohn konnte ich mir sowieso immer vorstellen, ich hatte ja auch einen Bruder, warum also sollte Gott nicht einen Sohn haben. Warum er keine Tochter hatte, fragte ich mich nicht. Als mir klar wurde, dass ich selbst keinen Vater hatte, kam ich in Streit mit meinem Gott. Ich fragte ihn, wieso es „Vater unser“ heißt, wenn Väter gar nicht „unser“ sind, sondern einen schon als Kind allein lassen. Aber er blieb mir treu, er konnte ja nichts dafür.

Ein Gott, der nichts
von den Menschen versteht

Ich fing an, ihn zu vernachlässigen mit den Jahren. Ich entfernte mich und fand, dass ein Gott, der seinen Sohn „opfert“ nichts von den Menschen versteht. Ständig opfern die Menschen andere Menschen, meucheln, morden, vergewaltigen und töten sich. Was hilft da ein Gott, der seinen Sohn schickt für unsere Sünden? Der ahmt nur die Menschen nach, aber die begehen alle Untaten auch ohne ihn.

Noch später kreuzten Menschen meinen Weg, die mir vorlebten, dass es Glauben und Güte nur als eine Art Himmelstalent zu geben scheint, etwas, das man sich durch fromme Streberei nicht erwerben kann. Es kann ein Geschenk sein, so was, mehr nicht. Meine Mutter meinte immer ,ihr habe der Glaube in ganz schwierigen Situationen geholfen, aber sie hatte weder einen wirklichen Vater noch eine wirkliche Mutter – die Kirche war ihr beides.

Keine Opferstory,
sondern eine vom Überwinden

Später fiel mir in den Sinn, dass der so schreckliche Tod Jesu am Kreuz vielleicht gar nichts mit Opfern zu tun hat, sondern mit der Überwindung des Todes. Das war die Zeit, in der „Jesus Christ Superstar“ im Westen überall Furore machte. Ich aber sah damals einen Film über einen Wolf. Einen sowjetischen Film mit dem Titel „Der graue Räuber“

Alles weiß ich gar nicht mehr genau, Aber, es gibt da eine Szene mit einer Wolfsjagd, einer "Lappenjagd". Das Revier wird mit Stricken, an denen Lappen hängen, markiert, unter denen sich die Tiere nicht hindurch trauen. Und da sieht man den "Grauen Räuber" hin und her laufen, hinter ihm die Jäger, vor ihm diese Grenze. Der Instinkt sagt ihm, hinter den Seilen ist das Verderben, die Furcht drängt ihn, überwinde sie diese Grenze. Und das tut er dann auch, der Wolf, er entkommt in die Freiheit.

Und ich dachte mir, vielleicht zeigt der Wolf den anderen Wölfen, dass sie sich nicht fürchten müssen vor diesen Begrenzungen, sondern sie überwinden. Das sah ich als ein Gleichnis, dass der Tod nicht das Letzte ist, sondern dahinter eine Auferstehung. Was immer das bedeuten mag, ein anderes Dasein, ein Heimkommen oder vielleicht eine andere Existenz. Vielleicht hat Gottessohn den Menschen etwas „vorgestorben“ ,damit sie sich nicht so vor dem Tod fürchten, sondern sehen, dass es weiter geht.

Bestätigt fühlte ich mich, wenn ich die Worte aus dem Brief des Apostel Paulus zur Osterbotschaft hörte. „Tod wo ist Dein Stachel, Hölle wo ist Dein Sieg.“ Ein Ruf gegen die Urängste der Menschen. Wenn Jesus am Kreuz klagt, dass Gott ihn verlassen hat, dann ist es dem ganz konkreten Todeskampf geschuldet. In dem Moment ist er verlassen, auch wenn er "weiß", dass er auferstehen wird.

Der Kreuzestod ist für mich in meiner Privattheologie eine Überwinder-Geschichte, keine Opfer-Geschichte.

Mit den Jahren bin ich ihm untreu geworden, diesem Gott. Ich kann mir einfach keinen personalen Gott mehr vorstellen, gleich ob er der Allmächtige Eine ist oder der Dreifache Eine. Ich bin nicht im Stande der Gnade, mir ist die Gabe des vorbehaltlosen Glaubens nicht mehr geschenkt. Aber ich denke gern an ihn. Ich weiß, dass es eine gute Menge an Theologien gibt, auch feministische Theologien, die weiter führen als zu einem einzigen Allmächtigen, aber ich folge ihnen mit einer Neugier, die nicht aus sehnsuchtsvoller Seele kommt. Spirituell bin ich dem fern. Aber ich denke oft an ihn, den Gott meiner Kindheit, den treuen Begleiter. Er kann ja nichts dafür, dass ich ihn verlassen habe. Man kann sich ja trotzdem anständig benehmen.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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