Moral als Wanderungsbewegung

Migration Es ist viel momentan viel Moral unterwegs. Vertreter unterschiedlicher Auffassungen über die Migrationsfrage hauen sie sich gegenseitig um die Ohren.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die einen wenden sich hohnlachend vom linken „No Border“-Motto ab und schlagen über deren realitätsferne Moralapostelei die Hände über dem Kopf zusammen. Während sie noch damit zu tun haben, führen auch sie Moral im Schilde. Oskar Lafontaine z. B. ruft tiefsinnig den Arzt aus Lambarene, Albert Schweitzer, in Erinnerung, der aus dem Elsass nach Gabun ging und mit seinem Spital viel Gutes bewirkte. Heute würde die Solidarität auf den Kopf gestellt, empört er sich und ich frage mich, ob er damit die Ärzte meint, die aus Afrika stammen und hier in Kliniken arbeiten.

Der schwarze "kleine Bruder"

Ich sehe schon, wie der Arzt einer der hiesigen Kliniken seinem Kollegen aus dem fernen Äthiopien oder einem anderen schwarzafrikanischen Staat diese These entgegenhält. Gerade war man noch ein Team, jetzt wandelt der eine in hoher moralischer Überlegenheit neben jenem Kollegen mit der nicht vorhandenen originaldeutschen Herkunft und der sollte doch eigentlich bleiben oder dahin gehen ,„wo er hingehört“. Er ist eben doch nur ein „kleiner Bruder“, wie der Albert Schweitzer einmal über den „Neger“ erklärte. Auch wenn man den gesamten Zeitgeist von damals berücksichtigt und Schweitzers Barmherzigkeit würdigt, sie ist „von oben“ gewährt und empfunden. Gabun wurde übrigens von mehreren europäischen Mächten aufgesucht. Die Deutschen waren auch dabei, aber sie waren wenig barmherzig. Und auch heute ist die Sorge um die Entwicklung in afrikanischen Ländern, wenig barmherzig und auch nicht immer begründet.

Die Menschen z. B. aus Schwarzafrika kommen in der Tat auch nicht aus Barmherzigkeit zu uns, sondern weil sie eigene Interessen verfolgen, weil sie vorankommen wollen und vor allem, weil sie selbst entscheiden wollen, was sie tun, wohin sie sich bewegen. Da sind sie schon ganz „europäisch“ geworden. Sie sind so autonom, wie hier Menschen auch sein wollen.

Hegel: Ein Kontinent ohne Bewegung

Sie haben sich damit auch entfernt von Definitionen, die ein gewisser Georg Wilhelm Friedrich Hegel z. B. über sie niederschrieb. Er meinte, Afrika sei ein Kontinent ohne „Bewegung und Entwicklung“...

Wolle man den „Neger“ richtig auffassen, so müsse man abstrahieren „von aller Ehrfurcht und Sittlichkeit, von dem, was Gefühl heißt“. Beim „Neger“ sei das Charakteristische, dass sein Bewusstsein noch nicht zur Anschauung irgendeiner festen Objektivität gekommen sei.

Wie man das auch immer einordnet, jetzt ist der afrikanische Kontinent in Bewegung. Nicht nur in einer Richtung, nicht nur in Richtung Europa. Es gibt auch mehr und mehr Menschen dort, die kritisch auf den Kontinent blicken, von dem die Einheimischen noch immer denken, er sei ein Sehnsuchtsort für viele.

Das Wandern ist eigentlich europäisch

Wanderungsbewegungen gabs und gibt’s immer. Wandern war einst in Europa beliebt. Von der romantischen Bewegung, die „des Müllers Lust“ war, nahm es Witterung und Fahrt auf in alle Welt. Europäer wanderten aus, von der „Great Famine“ in Irland gezwungen, von religiöser und politischer Verfolgung vertrieben, auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Es scheint, als sei man den Amerikanern noch heute darüber gram, weil sie aus Europa einst in Bewegung geraten, weggegangen sind. Und einst ein großer Dichter meinte: Amerika Du hast es besser

Alle grausamen Taten gegen die Ureinwohner, alle brutale Landaneignung dienen jetzt oft – wie es scheinen will – der Bestätigung der eigenen Reflexe der anständig und redlich im Lande und Sesshaft gebliebenen. Vielleicht ist der Zorn auch deshalb so groß, weil die Eingewanderten dort nur das fortführten, was in Europa Gang und Gäbe war: Krieg führen, Erobern, Gnadenlos sein. Sie halten den Spiegel vor.

Wie Paternalisten eben so sind

Ein kluger Mann, der britische Ökonom Paul Collier, der warnt, dass die armen Länder nicht aufholen, wenn wenn ihre klügsten Leute das Land verlassen . Darüber gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen, aber Collier bemüht sehr viel Moral und Ethik bei seinen Überlegungen. Er meint es gut mit Afrika – und ich denke an Oskar Lafontaine, der es auch gut meint. Wie Paternalisten eben so sind, wenn sie ins Moralisieren geraten.

Das Angst- und Furchtbild des Überwältigt Werdens durch Fremde geistert durch den europäischen Kontinent. Es erzeugt bei den einen moralischen Erwägungen über das Dableiben und bei anderen solche über das Hereinlassen. Dableiben ist moralisch o.k, Hereinlassen ist neoliberal und bedenklich.

Das ist nicht zu ändern. Manche Menschen sind nun mal gern in Bewegung und andere nicht. Und manchen Menschen bleibt gar nichts anderes übrig. Über die Entwicklung im afrikanischen, so vielfältigen Kontinent nachzudenken, ist das eine, restriktive Maßnahmen ergreifen, um Menschen am Wandern zu hindern, ist das andere. Und der Ausweg, den manche ZeitgenossInnen wählen: Über die Moral all derer zu räsonieren, die in Bewegung sind.

Nachsatz: über die Frage, wieviele Flüchtlinge - vor allem Wirtschaftsflüchtlinge - das Land verträgt wurde auch im Zusammenhang mit der großen Fluchtbewegung aus der DDR in den 80er Jahren meditiert.

https://www.berliner-zeitung.de/berlin/interview-mit-historikerin-bettina-effner-kein-pardon-fuer-ddr-wirtschaftsfluechtlinge-22746128

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden