Pankower Spaziergänge - Kissingenplatz 12

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Inge Müller

„Katze läuft vor der Maus
Blut stürzt die Wand“

Wenn man die lange Heinersdorfer Brücke geschafft hat, dann ist absolut Pankow, nicht Pankow-Heinersdorf und nicht Pankow-Niederschönhausen. Man geht vorbei an der Aral-Tankstelle, deren Einfahrt durch ein missglücktes LKW-Einbiegemanöver ziemlich demoliert wurde. Die gesamte Ausfahrt Prenzlauer Promenade war deshalb vor kurzem blockiert.

Dann die Granitzstraße und die Promenade weiter bis zur Kissingenstraße. Ich will zum Kissingenplatz 12. Dort wohnten - so steht es auf der seit einiger Zeit angebrachten Tafel Inge und Heiner Müller. Und weil beider Leben zu sehr unterschiedlichen Zeiten endet, wird darauf hingewiesen, dass von 1959 bis 1966 beide Müllers in diesem Altneubau wohnten, ab 1966 Heiner Müller dann noch allein bis 1979. Das Leben ist wenig gedenktafelfreundlich.

Todesanzeige

Am 1. Juni 1966 kam Heiner Müller abends nach Hause. Er habe noch sehr lange am U-Bahnhof Vinetastraße mit Adolf Dresen über die Zukunft oder Nicht-Zukunft des Marxismus diskutiert, schreibt er in seiner Biographie und. "Als ich nach Hause kam, war sie schon tot".
Er schrieb in Etappen die "Todesanzeige". Wie er sich verspätet, wie sie da liegt den Kopf im Gasofen und er sich selbst beobachtet, als der, der sie findet.

Inge Müller ist 1925 in Berlin geboren. Sie verlor ihre Eltern nach einem Bombenangriff . Drei Tage war sie verschüttet und dann grub sie ihre Vater und Mutter aus, die mit ihr tot unter den Trümmern gelegen hatten. Nach dem Kriegsende arbeitete sie als Sekretärin, Trümmerfrau, Arbeiterin und Journalistin.
Heiner Müller hatte sie 1953 kennengelernt. Ihre schriftstellerischen Ambitionen führten sie wohl zusammen. 1955 wurde er ihr dritter Ehemann. Zusammen arbeiteten sie an mehreren Stücken, sie schrieb Hörspiele und Texte fürs Theater. Ihre Bearbeitung von Viktor Rosows Stück »Unterwegs«, das 1964 uraufgeführt wurde, war ein Riesenerfolg. Lange stand Müller aber als Übersetzer und Bearbeiter in den Quellen.

Zwischen ihr und dem Dramatiker kam es nicht zu der erträumten künstlerischen Gemeinschaft. Er steht im Rufe, sich ihrer bedient und sie dann dem Vergessen anheimgegeben zu haben.
Sie wird von der geliebten Frau zu beiläufigen Assistentin. Sie will mehr und sie geht ihm damit auf die Nerven, gefährdet seine Kreativität, wie er befürchtet. Er zieht sich zurück und sie setzt nach. Sie wird krank und depressiv. Die traumatischen Erfahrungen zum Kriegsende tragen das Ihre bei. Immer wieder versucht sie den Suizid, am Ende glückt er ihr.
Das alles habe ich nachgelesen und denke daran, als ich an dem Haus am Kissingenplatz 12 stehe. Das war in den 60er Jahren schon etwas, eine Wohnung in einem Genossenschaftsneubau der dreißiger Jahre mit zwei Zimmern und einem Bad mit Kohlebadeofen.

Ich denke an das Jahr 1966. Da prägten sich mir zwei ihrer Gedichte bis heute ein:
Sie waren erschienen in der ersten Ausgabe der Lyrikanthologie "Auswahl 66". Viele erste Arbeiten, die vergessen sind, aber auch schon recht bekannte Autoren waren vertreten. Es war eine Zeit für Lyrik und ich hatte einen guten Freund, der da auch vertreten war. Unter den Dichtern als einzige Frau: Inge Müller. Ein Foto von einer schönen Frau dabei.

Ich las:

Trümmer 45
Da fand ich mich
Und band mich in ein Tuch
Ein Knochen für Mama
Ein Knochen für Papa
Einen ins Buch

Und

Baal
Baal zieht die Schuhe aus
trägt die Füße in der Hand
Katze läuft vor der Maus
Blut stürzt die Wand

Inge Müller wurde in Pankow begraben, aber nur noch eine Stele erinnert an sie. Das Grab ist eingeebnet. Und eben eine Tafel an einem inzwischen renovierten Haus.
In seinen "Männerfantasien" schreibt Klaus Theweleit. "Am Rand des Königswegs unserer abendländischen Dichtergenies liegt immer eine Frauenleiche."

Inge Müllers Existenz und vor allem ihr Abschied daraus sind eingegangen in Heiner Müllers Werke. Ophelias Monolog in der Hamletmaschine ist eines der schockierenden und doch faszinierenden Beispiele dafür.

"Ich bin Ophelia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau am Strick. Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern. Die Frau mit der Überdosis AUF DEN LIPPEN SCHNEE. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd. Gestern habe ich aufgehört mich zu töten. Ich bin allein mit meinen Brüsten meinen Schenkeln meinem Schoß. Ich zertrümmere die Werkzeuge meiner Gefangenschaft den Stuhl den Tisch das Bett. Ich zerstöre das Schlachtfeld das mein Heim war. Ich reiße die Türen auf damit der Wind herein kann und der Schrei der Welt. Ich zerschlage das Fenster. Mit meinen blutenden Händen zerreiße ich die Fotografien der Männer die ich geliebt habe auf dem Tisch auf dem Stuhl auf dem Boden. Ich lege Feuer an mein Gefängnis. Ich werfe meine Kleider in das Feuer. Ich grabe die Uhr aus meiner Brust die mein Herz war. Ich gehe auf die Strasse gekleidet in mein Blut."

Am Ende ist sie - verschüttet in Heiner Müllers Texten- wieder freigelegt worden. Von Frauen und Männern.
Zwei Literaturwissenschaftlerinnen widmeten sich ihr, aber auch der giftende Wolf Biermann dichtete in der taz und später als gedachten Vorspruch zu einer Anthologie im Aufbau-Verlag.

"Legende vom Selbstmord der Inge Müller im Jahre '66"

Unter Trümmern in Berlin, nicht unterm Regenbogen/Lag die Dichterfrau verschüttet, ward herausgezogen/Blieb halb tot im Frieden, hat sich ganz dann hingegeben/Einem Müller, Heiner - auch genannt: Der Steineklopper/Tiefer, unter ihm, verschüttet, lag sie nach dem Kriege". In dem umstrittenen Passus heißt es weiter: "Und sie flieht aus ihres genialen/Mackers Mickerleben/Und sie springt dem guten Tod,/Freund Hein, auf seine Schippe."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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