Sonntagsspaziergang III

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Immer, wenn ich die Heinersdorfer Brücke entlanggehe, finde ich, dass diese Gegend in die Zeiten passt. Unten donnern die Züge durch – im Moment allerdings wenige S-Bahnen - und die Brücke bebt, Autos, aus dem Norden kommend, rasen in Richtung Stadt.

Der Blick geht rechts über weite Flächen ehemaligen Bahnlandes, das ein privater Investor vergammeln lässt, und die schwarzen toten glaslosen Fenster der ehemaligen Stellwerke und anderer Betriebsgebäude blicken einem entgegen. In einer Halle der Abfallverwertungsgesellschaft, die dort angesiedelt ist, hat es neulich gebrannt. Der ganze Autobahnzubringer war deshalb für Stunden gesperrt.


Der Herbst bringt alles aufs Wesentliche


In den Gebüschen an der Seite tauchen - weil die Blätter fallen – die Hinterlassenschaften unzähliger McDonalds Besucher wieder auf, Pappbecher, Pappteller, Plastikflaschen. Der grüne Bewuchs des Sommers hat das alles mild verdeckt. Jetzt wird alles aufs Wesentliche gebracht und das bedeutet, es ist eine schmutzige, verkommene Gegend da oben. Im Bahnhofsgebäude, auf das ich von der Brücke zurückblicke, ist eine Kneipe mit Namen „Schwarze Brücke“ . Da tobt auch gegen neun Uhr morgens noch derMusiklärm. Volle Pulle, volle Lautstärke und die Übriggebliebenen der Nacht weinen sich am Kiosk der freundlichen Vietnamesin aus, deren Lächeln manchmal ins Gequälte geht.

Trotzdem – ich liebe diesen Weg, gerade deshalb. Und wenn man tapfer die Brücke und die beiden Einfahrten zum Fastfood-Restaurant und zur Tankstelle überwunden hat, dann kann man sich seitlich in die Nebenstraßen schlagen, wo der Lärm verebbt,man gerät ins Menschenleere, ein irritierter Eichkater rast unter dem Auto hervor und ein paar Hundegänger nutzen die Bäume am Straßenrand. Das ist – überall in dieser Gegend – ein Kontrast, der mir einleuchtend erscheint, wie das Leben.

Ich gehe die Kissingenstraße runter, weil ich mich bei diesem Spaziergang nicht abhängig machen will von öffentlichen Verkehrsmitteln und komme zum S-Bahn-Hof Pankow, wo ich mir den „Freitag“ kaufe.



Ein Polizeieinsatz mit Reizgas


Als ich aus dem kleinen Zeitschriftenladen in die Halle trete, packt mich ein Hustenanfall. Und ich sehe vier Polizisten, zwei Männer und zwei Frauen,die einen Mann, der mit dem Rücken zumGeldautomaten steht, mit der Pistole in Schach halten. Einer hat offensichtlich Reizgas gesprüht. Und während ich versuche, meinen Husten zu bezwingen, gelingt es dem Verdächtigen, in Richtung Ausgang zu flüchten. Alle Vier hinter ihm her. Die Kioskbetreiberin, die rausgekommen ist, sagt hinter mir: „Ich dachte mir doch, dass mit dem was nicht stimmt.“ Ich frage nach: „Ja“, sagt sie, „der hat die ganze Zeit mit einem Messer auf die Tastatur des Geldautomaten eingehackt. Und sich sehr seltsam benommen. Leute angebrüllt und so.“ Dann wendet sie sich wieder ihrem Laden zu. Ich gehe langsam in Richtung Ausgang. Inzwischen liegt der Delinquent laut brüllend auf der Fahrbahn und ruft nach irgendwem, ich kann nicht ausmachen, wen er meint. Aller Verkehr steht still und alle vier Polizisten um ihn rum und einer hockt fast auf ihm drauf. Es geht ganz offensichtlich darum, ihm Handschellen anzulegen. Eine Polizistin schreit entnervt: „Halt die Schnauze, Mann“.

Irgendwann dann stehen alle auf und gehen zum Polizeiwagen. Der Mann hat sich beruhigt. Das ist eine raue Gegend. Entweder Neonazis treiben sich rum oder Durchgeknallte aller Art. Ich nehme stark an, dass das ein Junkie war, der sauer war, dass der Geldautomat nichts mehr ausspuckt.

Ich sehe zu, dass ich weiter komme. Richtung Pankower Anger, wo das heutige Fest an der Panke aufgebaut ist. Marktstände, Karussells, Vergnüglichkeiten aller Art, die wir heute auch noch besuchen wollen.


Dann tauche ich wieder ein, in die ruhigen gutbürgerlichen Seitenstraßen, vorbei an den immer mehr und gut sanierten Bürgerhäusern. Dort sind die Bewohner mittelständisch und gut situiert und erhalten sich eine kleine subversive Lust an dem Durcheinander das dort manchmal noch herrscht. Mir ist ein bisschen flau im Magen. Ich gehe langsam nach Hause und erzähle von dem Schrecken und gieße mir den Rest Kaffee ein, der noch in der Wärmekanne war. Ein Schnaps wäre mir lieber gewesen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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