Stimmen (Tom Waits ist nur der Teaser)

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Heute hat Tom Waits Geburtstag – den 60.

www.youtube.com/watch?v=knII3S0MZtY

Jedenfalls habe ich eine Huldigung gehört. Mir tut Tom Waits’ Stimme immer weh, sie erinnert mich an eine Stimmbandoperation vor vielen Jahren, die mich von einer solchen Reibeisenstimme – natürlich einige Oktaven höher – befreit hat. Einen dicken Polypen hatte ich mir angesungen. Ich weiß inzwischen, dass es auch hierzulande Sänger gibt, die ihre Stimmbandknötchen pflegen, weil sie damit einen individuellen Ton herstellen können.

Mich hat das Phänomen menschliche „Stimme“ schon immer fasziniert. Vielleicht, weil bei mir als Kind schon alle Spannungsabfuhr über die Stimme ging. Ich summte ständig vor mich hin. Als ich erwachsen wurde, musste ich mir das mühsam abgewöhnen, weil man anderen damit ganz schön auf den Wecker geht.

Als Schülerin hatte ich eine niedliche kleine Stimme und sang immer mal Solo im Schulchor. Mit der Pubertät fing ich an, die Stimme als Protestinstrument zu gebrauchen und färbte sie in eine Klangfarbe, die gar nicht zu mir passte. Aber, das war damals Mode und als ich viel später dann in Berlin heimisch war und mein Klavier nachgeschickt kriegte, gab es lange Singabende und -nächte.

Das Zwerchfell als Lastenheber

Mein schwuler Freund, ein sangesfreudiger Philosoph, der mich für diese ungehemmte Sing- und Brüllfreude offensichtlich bewunderte, wollte mir mal Disziplin beibringen und nahm mich zu seiner Gesangspädagogin mit. Die war schon über 80 und hatte einen Neffen, auf den mein Freund gespitzt war. Also wurde ich dort eingeführt, sang ein bisschen vor und kam in den Genuss, die unglaubliche Zwerchfellstärke dieser Frau zu testen.

Das ging so: Sie legte sich hin und sie ordnete an, dass ich mich auf sie lege. Dann hob sie mich mit dem Zwerchfell an. Und ich lernte, mit einer Stimmstütze kann man im Ernstfall auch Lasten heben. Für den Fall man kommt mal unter einen Stützbalken zu liegen. Wir leben ja in einer sehr instabilen Welt.

Der Neffe erschien nicht und deshalb wurde es nichts mit meiner Stimmausbildung, Stattdessen stritten mein Freund und ich uns auf dem Heimweg wie die Kesselflicker. Es war der Themenkreis: Egozentrisches A.. ... unsensible Weiber... .

Auch mein Freund pflegte seine Stimme – er hatte einen ganz guten Bariton – aber es war wie bei mir: Einzelne Töne waren klasse, einzelne Passagen auch noch,aber sie fügten sich nicht zu einem souverän klingenden Organ.

Soblieb das ungehemmte Herausschreien jahrelang meine Leidenschaft: Janis Joplin die ganz sicher am Ende ihres Lebens auch ziemlich ruinierte Stimmbänder hatte, fand ich zum Heulen schön und imitierte sie verhältnismäßig erfolglos. . Mercedes Benz sang ich immer gern. Aber es blieb dilettantisch, bis ich eines Tages überhaupt keinen Ton mehr herausbrachte und zum Spezialisten musste.

Sechs Wochen verordnetes Schweigen, dann eine Rückkehr in die kleine niedliche Stimme, die ich schon immer hatte. – ein Elend, aber auch egal. Ohnehin wird man ja vernünftig mit den Jahren. Jetzt singe ich freundlich resigniert im Damen-Singeclub.

Erna Bergers Gesangsübungen

Aber ichverfolge Sängerbiographien gern bis auf den heutigen Tag. Kürzlich habe ich mir Erna Bergers Biographie vorgenommen „Auf den Flügeln des Gesangs“. Eine Sopranistin, die man heute kaum noch kennt. Sie lebte von 1900 - 1990

www.youtube.com/watch?v=zrJWJAYJHwY

Was hat diese Frau für Übungen gemacht, um ihre Stimme über die Wechseljahre hinaus auf dieser hellen Leichtigkeit zu halten..

Diese Sänger haben ja alle irgendwo einen Stich, aber den aus guten Gründen.

Der ganze Körper ist beim Singen ein Instrument. Die technischen Empfehlungen sind herrlich: Sie soll den Ton „von oben durch den Körper herunterziehen.“ Dann aber wieder soll sie „den Körper ganz weit öffnen und unten durchsingen, das hohe C muß quasi durch die Beine kommen.“

Ja, was denn nun, fragt man sich von oben oder von unten? Egal sie schildert das alles so unprätentiös, dass es einen andauernd zum Lachen bringt. Wie sie beim Singen flach auf dem Boden gelegen, dann wieder die Stirn an die Wand gepresst hat. Es ist zum Schreien und erinnert mich ein bisschen an mein Erlebnis mit der Gesangslehrerin

Wenn jemand unbedingt singen will, was für ihn nicht passt oder an Grenzen geht, die alles ins Überbemühte kippen, dann berührt mich das peinlich, weil es mich schmerzlich an meine eigenen Ambitionen erinnert.

Unseliges Streben „nach Höherem“

Ein Beispiel ist Hannes Wader,der mit seiner wunderschönen sonoren Stimme gut Protest- und Volkslieder singen kann und zu Herzen rührt. Aber auch er hat offensichtlich heimliche Sehnsüchte, strebte nach „Höherem“ und wollte nun unbedingt Schuberts „Schöne Müllerin“ singen. Und das geht nicht, bei Schubert muss man aus einer anderen Fülle schöpfen, aus scheinbarer Grenzenlosigkeit, die er nicht hat und das klingt dann nicht virtuos, sondern als wen jemand andauernd gegen Mauern ansingt.

Zurück zu Tom Waits – Bei dem ist immer zu bedenken, dass die Stimme nur eines der Inszenierungsmittel ist, das Netz, das alles andere zusammenhält.

Mit diesem Gekrächze allein – das ginge nicht. Da ist jemand, der seine ganze Person, eine Biographie, ein imaginiertes Leben zum Instrument gemacht hat. Und andere spielen mit ihrer Fantasie drauf mit.

Herzlichen Glückwunsch an ihn.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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