Verrücktes Leben in Pankow

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Man muss mehr öffentlich verkehren, dort ist das verrückte Leben.

Nach der fünften Ausstellungseröffnung unsere Wanderprojekts "...der Zukunft ein Stück voraus. Pionierinnen in Pankow!“ diesmal im Mehrgenerationenhaus Wilhelmsruh, nahm mich eine Bekannte mit bis Pankow S-Bahn. Von dort ist es eine Station bis zu mir nach Hause . Als ich ausstieg, fuhr die Polizei vor mit hohem Tempo und Sondersignal. Die Leute vom Gemüsestand alberten rum und fragten einander scherzhaft, wer wieder soviel Krawall gemacht hat.

Vier Polizisten rannten wie verrückt nach oben. Ich neugierig hinterher. Ich musste sowieso zum Bahnsteig. Dort am Ende hockte der Verursacher der gesamten Dramatik, umgeben von allerlei Leuten. Und weiter vor der Station stand die S-Bahn - wartend. Man hatte sie gestoppt, damit von dort keine Gefahr droht.

Erst einmal beorderte ein Polizist alle Wartenden ein Stück zurück, dann wandte er sich einer sehr ungeduldigen älteren Dame zu, die sich nicht weiter wegbewegen wollte und meinte, man solle sie ranlassen, dann würde sie "den" schon zur Räson bringen.

"Der", das war offensichtlich ein junger Mann, der gedroht hat, sich mit einer Flaschenscherbe in den Hals zu ritzen, wenn ihn die Polizei daran hindert, sich vor den Zug zu werfen. Sehr theatralisch, aber man muss es halt ernst nehmen. Aber, wie so oft, wollte er eigentlich nur Zeugen für sein Unglück.

Das Unglück war – auch wie so oft - eine Frau, die ihn verlassen hatte oder drohte ihn zu verlassen, sagte man.

Die Leute auf dem Bahnhof tauschten ihre Meinungen aus. Man meinte, es sei dumm und unsozial, sich öffentlich morden zu wollen. So was besorge man im stillen Kämmerlein, vertraute mir die nebenan stehende Dame an, so als habe sie das schon öfter besorgt und verfüge über einschlägige Erfahrungen.

Eine junge Frau klagte laut, sie müsse zu ihrem sechs Wochen alten Baby und finde es absolut fürchterlich, dass ein Einzelner alles lahm lege. Sie eilte unruhig hin und her, während auf dem hinteren Bahnsteig noch immer verhandelt wurde. Irgendwann aber gab der Selbstmörder ziemlich unspektakulär auf und ging mit den Polizisten mit. An uns kam er vorbei – ein bullig aussehender junger Mann mit sehr kurzen Haaren, den Faschos ähnlich, die sich oft im Umfeld der S-Bahn aufhalten.

Ich dachte bei mir, dass jetzt für ihn der ganze kurz erstrebte Ausnahmezustand zu Ende ist, das normale, mühsame Leben mit allen Sorgen weiter geht, nichts gelöst ist und niemand ihn dafür mehr liebt, ganz im Gegenteil. Alles beginnt von vorn.

Nachdem also alles vorüber war, begann auch die lang vermisste öffentliche Information zu funktionieren. Seit langem schon sitzt in dem Glaspavillon auf dem Bahnsteig kein Mensch mehr, alles wird von fern gesteuert.

Wir erfuhren, was wir die ganze Zeit beobachtet hatten, nämlich, dass der S-Bahn-Verkehr wegen eines Polizeieinsatzes vorübergehend unterbrochen ist. Alles lachte, als wir das hörten. Die Leute kommen sich über so eine Sache näher und fangen an, miteinander zu reden. Über die ohnehin miserable Situation im öffentlichen Verkehrswesen, über die Polizei, die so einen Störenfried nicht mal schnell außer Gefecht setzen kann. Zwei junge Leute, die offensichtlich vom psychologischen Dienst waren, beruhigten sich und die anderen auch mit allgemeinen Erklärungen. Aber man war unwillig und ich fragte mich, ob der Unwille nur wegen der 10 Minuten Verzögerung entstand oder ob es auch Enttäuschung war, weil alles so trivial endete? Ich weiß es nicht.

Nach wieder einer Weile fuhr die S-Bahn endlich ein und alles verlief sich. Mitleid hatte man nicht für ihn den temporär Lebensmüden. Doch: Ich hatte, ein bisschen. Mir tat er Leid, trotz dieses Auftritts. Die Zeiten sind so, dass einem alle möglichen Arten von Ausrasten und Verrückt Spielen manchmal einleuchtend erscheinen.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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