Wahnsinn

Der Prager Frühling Erinnerungen an den August 1968 - eine unglückliche Liebe und Karl Eduard von Schnitzler

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Drüben warten Besserwisser
Drüben warten Besserwisser

Foto: Reg Lancaster/Daily Express/Getty Images

Manchmal, wenn ich an den August 1968 denke, dann denke ich an meine damalige unglückliche Liebe – ein Physikstudent zwei Jahr älter als ich.

Und dann denke ich an Karl Eduard von Schnitzler – den auch heute noch jeder kennt - und der damals schon die heftige Abneigung vieler Menschen „genoss“.

Die unglückliche Liebe gehörte zu einer ganzen Reihe ähnlich unglücklicher Lieben. Eigentlich war ich darauf abonniert und – aus der Tiefe der Rückschau – sehe ich, dass ich gar nichts anderes wollte, als möglichst unglücklich zu lieben, damit sich bloß nichts festschrieb in meinem Leben. Sowas gibt’s und es ist lange her. Ich wollte damals keine endgültigen Sachen, heute bin ich in einem Alter, wo Endgültiges nicht mehr von mir und meinem Verhalten abhängt, sondern einfach nur vom Lauf der Zeit.

Linke Besserwisserei

Die politischen Bewegungen in Prag habe ich durchaus aufmerksam verfolgt, auch wenn meine Interessen noch vielen anderen Dingen galten. Mit einem Ohr hörte ich auf die Nachrichten, die über ein Treffen Walter Ulbrichts und der anderen Staaten des Warschauer Vertrages in der CSSR berichteten, ich erfuhr etwas über das "Manifest der 2000 Worte". Es gab – wenn ich mich recht erinnere – noch ein Treffen, bei dem man versuchte, Dubcek „zur Vernunft“ zu bringen. Ich erinnere mich auch noch an gewisse euphorische Äußerungen der westlichen Linken, über die – viel später – Leute aus der CSSR, die nach dem 20. August in den Westen gegangen waren, mit Bitterkeit sprachen. Die erlebten damals schon Belehrung und Besserwisserei, die in der Linken von heute noch immer ziemlich virulent sind. Aber auch das ist eher eine Erinnerung aus den Jahren nach 1968. Ich lese gerade, wie Rudi Dutschke in Prag vor der Rückkehr zum Kapitalismus gewarnt hatte. Tja..

Wie auch immer. Am 20. August 1968 war ich zu Hause in Leipzig und verfolgte mit meiner Mutter, die politisch interessiert und sehr empört und erregt war, die Nachrichten. Gegen Abend des – ich weiß nicht mehr welchen Tages – ergriff Karl Eduard von Schnitzler das Wort und erklärte den Menschen, was los war. Sie hätten sich dort schon die Hände gerieben, dort in den NATO-Hauptquartieren, aber, es gelänge ihnen nicht, „das Rad der Geschichte“ zurückzudrehen. Und dann drehte er auch das große Rad der Politpredigt. „Dass wir, die Deutsche Demokratische Republik, bei der Rettung des Sozialismus in der tschechoslowakischen sozialistischen Republik, bei der Rettung des Friedens dabei sind, unterscheidet uns von der Legion Kondor, von der Bundeswehr, von Bonner Söldnern im Kongo und in Südvietnam. Dass wir auf der Seite des Rechts und des Friedens stehen, macht uns stolz“.

Ein Rechthaber verteilt Ohrfeigen

Jeder Satz saß wie eine Ohrfeige. Dass es in der CSSR Menschen gab, die in ihrem Lande etwas ändern wollten, dass ihre Kritik, ihr Unwille, ihre Empörung berechtigt waren, das interessierte Schnitzler nicht. Und deshalb klang der Kommentator damals so falsch und verlogen, auch wenn er - wenn man seine politischen Girlanden beiseitelässt – in vielem Recht hatte. Die Zeit nach dem Fall der Mauer, vor allem nach dem Fall der Sowjetunion ist ein Beleg dafür. Natürlich gab es damals im Westen und auch nach der Auflösung der Sowjetunion interessierte politische Kreise, die sich ausrechneten, wie man die Entwicklung nutzen konnte, um den Warschauer Vertrag auszuhöhlen. Wir haben ja auch erlebt, dass die NATO und die EU sehr schnell das Vakuum zu füllen suchten, das durch den Ausfall der UdSSR als Großmacht entstanden war.

Heute erklärt bei der Jungen Welt und einen russischen Portal Herr Klaus Kukuk, dass die russischen Panzer damals einer Konterrevolution zuvor gekommen sind. Tja...

Wo sind sie - die wirklichen Menschen?

Das Schlimme bei fast allen politischen Debatten ist, dass die wirklichen Menschen überhaupt keine Rolle spielten. Das ist auch heute noch so. Ein Beispiel dafür ist die Ukraine: Dass es dort immer wieder Leute gab, die die Oligarchenrepublik von Janukowitsch zutiefst verabscheuten, gerät aus dem Blick, weil der Fall und die Flucht von Janukowitsch keine Besserung brachten und weil – das ist das immer wiederkehrende Narrativ – sowieso alles vom Westen gesteuert war. Eher wird darauf verwiesen, dass Janukowitsch ja ein durch Wahlen legitimierter Präsident war, als hätten die Menschen nicht das Recht, auch gegen so einen zu protestieren.

Ähnlich ist es in Syrien. Menschen, die das Assad Regime bekämpften, werden oftmals nur als Elemente eines westliche gesteuerten „Regimechanges gesehen. Das Wollen und das Streben der Menschen vor Ort sind völlig unwesentlich. Die Opfer, die Menschen vor Ort interessieren niemand, es sei denn sie sind Belege für da unmenschliche Wüten der anderen, feindlichen Seite.

In den Kategorien der "Mächtigen"

Wenn ich heute manche politischen Beiträge lese, dann weht mich das immer wieder an, dieses Schwarz-Weiß, dieses strategische Mitfiebern, bei dem das wirkliche Leben keine Rolle spielt. Das Denken in den Kategorien der „Mächtigen“ – es scheint die Illusion zu nähren, dass man ihnen dann ein bisschen auf der Spur oder auch ermächtigt wird. Furchtbar. Solche Beiträge machen deutlich: Ihr wart damals nur Masse und Ihr seid auch heute nur Masse.

Meine unglückliche Liebe zerbrach damals. Es gab aber keinen Glauben an den Sozialismus, der zerbrechen musste. Es gab einen Pragmatismus, der sich – wenn ich mich recht erinnere – auch hin und wieder in strategische Überlegungen flüchtete, wenn es darum ging, wie man die Verhältnisse betrachten sollte ohne nicht hin und wieder zu verzweifeln. Ich denke manchmal, als die beim Mauerfall alle „WAHNSINN“ schrien‘, es war auch schon vorher alles ein Wahnsinn.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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