Eine Wiedereinweihung in Berlin

Zenzl Mühsam Am 20, März haben wir die Gedenktafel für Zenzl Mühsam wieder eingeweiht. Sie war entwendet worden. Nach zahlreichen Spenden ist sie jetzt wieder angebracht. Es war eine würdevolle Feier. Der RBB war auch da. Eine kleine Rede von mir:

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Am 6. August 1914 schreibt Erich Mühsam, der Schriftsteller, Anarchist und politische Kämpfer in sein Tagebuch:

Die Post scheint ihren Betrieb ganz eingestellt zu haben. Ich höre und weiß nichts und mache mir um Jenny schwere Sorgen. (Jenny war seine damalige Verlobte) Dabei sind diese Tage grade solche besonders herzlichen Gedenkens. Vor genau einem Jahre waren wir zuletzt zusammen, in Berlin bei Mutter Stern am Gendarmenmarkt. Das waren Tage – und Nächte! – – Ach Jenny, wann werden wir das wieder miteinander erleben? Ich bin sehr traurig und will jetzt mal nach der lieben Frau sehn, die mir seit ¾ Jahren nun die Geliebte ersetzt – nach Zenzl Elfinger, die sich auch seit 4, 5 Tagen nicht mehr gezeigt hat, und deren Mann vielleicht auch schon fort ist, um im Kriege Sanitätsdienste zu tun.

So also Erich Mühsam über seine ersten Begegnungen mit Creszenzia Mühsam, deren Name immer zwischen Korrektheit (Creszenz) und Gewohnheit (Kreszentia) verwendet wird.

Ein Erich Mühsam, der sich auch für den folgenden Scherzvers nicht zu schade war.

Die Männer, welche Wert auf Weiber legen, tun dieses meist der Leiber wegen.

Als in Berlin, Hauptstadt der DDR, im Jahre 1951 eine Straße in Friedrichshain feierlich in Mühsam-Straße umbenannt wurde, da konnte die Witwe des im KZ Oranienburg ermordeten Anarchisten und Schriftstellers Kreszentia Mühsam (Creszenz) – Zenzl genannt –nicht daran teilnehmen. Sie hätte soviel zu sagen gehabt über den Kampf, den sie und ihr Mann gemeinsam geführt hatten. Bei der Ausrufung der Münchner Räterepublik 1919 war sie bei ihrem Mann, der mäßigend auf die Soldaten einwirkte. Sie war es, die sich immer und immer wieder für die Freilassung ihres Mannes aus Festungshaft einsetzte, zu der er wegen Mitwirkung an der Revolution verurteilt war. Sie sorgte rastlos für das alltägliche Leben und für die Voraussetzungen des politischen Kampfes von Erich Mühsam und war dennoch mehr als seine Haushälterin, sondern eine gleichberechtigte, kühne Gefährtin mit dem Mut einer Löwin und einem bayrischen Dickkopf.

Sie hätte erzählen können, wie sie noch in dem Moment, da ihr Mann 1933 endgültig verhaftet wurde, die Pässe und wichtige Unterlagen beiseite bringen konnte.

Wie sie die Nazi-Justiz dazu brachte, den Leichnam ihres 1934 im KZ Oranienburg ermordeten Mannes zur Beerdigung freizugeben. Wie sie – gerade noch rechtzeitig gewarnt – nach Prag flüchtete an dem Tag, an dem Mühsam beerdigt wurde.

Wie sie – in auswegloser Lage – auf die Versprechungen der sowjetischen Vorsitzenden der Internationalen Roten Hilfe, Jelena Stassowa, einging, die sie in die UdSSR einlud, um die Autorenrechte für Mühsams Werk zu erlangen. Und sie hätte erzählen können, wie sie dafür bezahlt hat.

Zenzl Mühsam aber war zur Zeit, da ihrem Mann Ehrungen zuteilwurde, noch in Stalinschen Lagern inhaftiert, in denen sie – mit zwischenzeitlichen Verbannungsstrafen und kurzen Entlassungen – fast 20 Jahre ihres Lebens verbracht hatte.

Nur vorsichtig und ohne wirklichen Druck halfen ihr damals Bertolt Brecht und Helene Weigel, die durch das Schicksal der Schauspielerin Carola Neher , die im Gulag starb, sensibilisiert waren für Zenzl Mühsams Schicksal. Sie galt als trotzkistische Spionin, wurde immer mal wieder halb freigelassen, verbannt, wieder inhaftiert.

Es bestand kein Bedarf, sich mit Zenzl Mühsam eine Person in die DDR zu holen, die eventuell über die wahren Gründe für das Verschwinden zahlreicher deutscher Exilanten in der Sowjetunion hätte Auskunft geben können.

Aus der bayrischen Holledau bis in den Archipel Gulag hat das „Jahrhundert der Extreme“, wie der britische Historiker Eric Hobsbawn das vergangene nennt, die Bauerntochter Zenzl Mühsam geschleudert.

Als sie endlich entlassen wurde und zurückkam, blieb sie in der DDR, obwohl die erste Amtshandlung, der man sie unterzog, die Verpflichtung zum Schweigen über die Ereignisse der Vergangenheit war. Sie wurde mit einer Ehrenrente für Opfer des Faschismus versorgt und abgespeist.

Sie blieb in der DDR, weil sie – auch da treu – alles dran setzte, den Nachlass ihres Mannes wieder zu erlangen und so viel wie möglich zu publizieren. Das gelang ihr nur teilweise, weil Erich Mühsams anarchistisches Erbe viel zu brisant war für die auf Ordnung und Sicherheit ausgerichtete politische Macht in der DDR.

Sie wollte andererseits aber auch nicht vor den Karren des sich verschärfenden „kalten Krieges“ gespannt werden. Sie war nach Deutschland gekommen nach Jahren in stalinistischen Lagern, nach Jahren harter Entbehrung. Eine kleine hübsche Wohnung habe sie jetzt, schrieb Zenzl Mühsam an Freunde. 1962 starb sie in Berlin-Pankow, wo sie in der Binzstraße 17 gelebt hat.

Es gibt zahllose Schicksale, die auf bewegende und nachdrückliche Weise davon berichten, wie brutale, gnadenlose und paranoide Mächte und Systeme Menschen verschlingen.

„Die Emanzipation des Weibes wird das Bedürfnis nach einer Kultur wecken, die das Wesen der Frau mitberücksichtigt. Dadurch werden die Frauen selbst produktiv werden und alle Kultur wird um eine Hälfte bereichert werden, von der wir heute noch garnichts kennen. Eine Weltgeschichte, von einer Frau geschrieben – was für Perspektiven!“ schrieb Erich Mühsam in sein Tagebuch.

Creszenzia – Creszenz Mühsam hat sich durch die Zeiten geschlagen, durch harte Zeiten. Ein tapferes Leben und Zeugin der Weltgeschichte. Sie soll geehrt und unvergessen sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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