In Tokyo

Berlinale-Tagebuch Zu Hause mit Wim Wenders die Japan-Sehnsucht entfachen

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Alles noch mehr verbaut als 1993. Wie schwierig findet es Werner Herzog in Tokyo wohl heute?

Weil die tödliche Berlinale-Erkältung dieses Jahr nicht erst gegen Ende, sondern bereits sehr früh einsetzt, beschließe ich, im Bett liegen zu bleiben und mir erst heute Abend zwei Filme anzusehen. Entgegen meiner gestern aufgestellten Behauptung, der Satz 'There's no place like home' habe für mich keine Gültigkeit, entscheide ich mich später, die Wohnung heute überhaupt nicht mehr zu verlassen. Ich will ja unbedingt die kommende Woche durchstehen.

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Damit ich nicht völlig den Bezug zum Festival verliere, schaue ich mir Wim Wenders' Dokumentation Tokyo-Ga schon heute an, denn ich werde für morgen nicht wie geplant ein Ticket haben.

Wenders bekommt dieses Jahr eine Ehrenbären verliehen und es werden deshalb einige seiner Filme gezeigt. Die wenigstens davon interessieren mich. Ich war vor ein paar Jahren bei der Berliner Premiere von Palermo Shooting - mit Campino als Hauptdarsteller. Ein geradezu grässlicher Film, von dem ich mich hinsichtlich Wenders nie wieder so recht erholt habe.

Eine Ausnahme mache ich nun für die Doku, die er Mitte der 80er Jahre gedreht hat. Wenders heftete sich damals an die Spuren des japanische Regisseurs Ozu Yasujirō, der unzählige Filme gemacht hat, die Wenders nachhaltig beindruckten. Einer davon - Tokyo monotagari - wurde vor zwei Jahren auf der Berlinale gezeigt. (Ebenso das Remake Tokyo Family). Ich habe mir beide erst kürzlich wieder angesehen, weil sie einen Einblick in die japanische Gesellschaft, Familienstrukturen und Generationenkonflikte geben, und sich dafür sehr viel Zeit nehmen.

Wenders fühlte sich offenbar aus ähnlichen Gründen wie ich zu Ozus Filmen hingezogen. Und durch sie kommt ihm Japan sehr vertraut vor. Bei den Dreharbeiten zu Tokyo-Ga hofft er in dem Japan der 80er Jahre jenes 30 Jahre ältere Japan von Ozu finden.
Während ich mir Doku ansehe, mache ich es fast wie er: ich gleiche das Tokyo, das ich kenne - ich war zuletzt im Oktober endlich wieder dort - mit dem ab, was Wenders vor 30 Jahren aufgenommen hat.

Wenders sagt zu Beginn, dass er in Tokyo gerne einfach so filmen möchte, wie wenn er umherblickt. Ich verstehe dieses Bedürfnis. Es war auch ein besonders interessiertes, aufmerksames Gucken, mit dem ich in Japan durch die Straßen gegangen bin. Ich hatte das in dem Ausmaß bisher noch in keinem anderen Land.

Ich liebe es, wie viel Zeit er sich nimmt. Wenders verbringt zum Beispiel einen ganzen Tag in einer Pachinko-Halle. Und noch viel mehr Freude bereiteten mir seine Aufnahmen einer Manufaktur, in der Essens-Attrappen aus Wachs hergestellt werden. Diese stehen Restaurants in Schaukästen und sollen so aussehen wie das Essen, das man drinnen bestellen kann. Ich könnte einen einehalbstündigen Film nur draüber sehen! Dazwischen trifft Wenders Menschen, die mit Ozu zusammen gearbeitet haben.

Ich entdecke in Tokyo-Ga tatsächlich sehr viel Bekanntes. Sogar die Rockabillys aus dem Yoyogi-Park gab es schon in den 80er Jahren. Ein wenig sonderbar ist es, als Werner Herzog auf dem Tokyo Tower steht und auf eine Aussicht deutet, die fast jener gleicht, die ich dort hatte, und über die Schwierigkeit referiert, klare, reine Bilder zu finden - weil alles verbaut ist. Wie mag er es wohl heute dort finden?

Ich bin vermutlich vorbelastet, denn jeder Fetzen Japan ist Öl ins Feuer meiner Sehnsucht. Doch Wenders gelingt es mit seiner Doku besonders gut, mich ganz sanft um den Finger zu wickeln - und gibt mir zudem Einblicke in die jüngere Vergangenheit.

Tokyo-Ga wird am Freitag-Abend noch einmal im Zeughauskino gezeigt.

Topic des Tages: Rekonvaleszenz
Erkenntnis des Tages: Rekonvaleszenz!
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Geschrieben von

Maike Hank

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