Kritzelkritzel

64. Berlinale Von einer obsessiven Fotografin, die nur durch einen Zufall nach ihrem Tod berühmt wurde, Problemen in Asien und wunderschönen Menschen in Mexiko

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Höchst unbeeindruckend im Vergleich zum Papierkram, den Vivian Maier hinterließ
Höchst unbeeindruckend im Vergleich zum Papierkram, den Vivian Maier hinterließ

Foto: Maike Hank

Der Kinotag beginnt mit dem Dokumentarfilm Finding Vivian Maier von Charlie Siskel und John Maloof. Letzterer war für sein Studium auf der Suche nach bestimmten Fotos. Bei einer Nachlass-Versteigerung erstand er eine Kiste mit Negativen, mit denen er für seine Ausbildung jedoch nichts anfangen konnte. Es handelte sich vor allem um Bilder von Menschen auf der Straße und Porträts von Kindern. Maloof stellte einige dieser Fotos ins Netz, weil er sich nicht sicher war, ob nur er alleine sie so außergewöhnlich gut fand – und löste damit große Begeisterung aus.

Er machte jene Menschen ausfindig, die die anderen Fotoboxen ersteigert hatten, kaufte sie ihnen ab und stellte Nachforschungen zu Vivian Maier an. Sie arbeitete als Nanny und bereiste auch immer mal wieder die Welt – um überall Menschen zu fotografieren. Nicht gestellt, sondern so, wie sie wirklich sind. Gemeinsam mit John Maloof erleben wir seine Geschichte mit Vivian Maier, die so unglaublich ist, denn er findet immer mehr Bilder, Tonaufnahmen, Super-8-Filme, Negative. Und nichts davon war je zuvor veröffentlicht worden. Dazu Massen an Belegen, Quittungen, Rechnungen.

Im Film lässt Maloof viele zu Wort kommen, die als Kinder von Maier – mal nur wenige Monate, mal über Jahre hinweg – erzogen wurden. Es gibt Eigenschaften an ihr, über die sich alle einig sind. Manche Berichte weichen jedoch voneinander ab und zeigen, wie ungreifbar Vivian Maier nach wie vor ist. Ich schüttele ungläubig den Kopf und kritzele mehrereRückseiten abgelaufener Kinokarten mit Notizen voll. Ich bin sonst nicht so, ich gucke einfach und versuche mich zu erinnern, aber über diesen Film möchte ich an anderer Stelle noch ausführlicher schreiben.

Maloof hat mittlerweile Ausstellungen organisiert - die großen Player wie das Moma haben seltsamerweise kein Interesse – und finanziert die mühsame Arbeit des Scannens, Entwickeln, Druckens der Bilder mit Verkäufen. Selbstverständlich gibt es auch eine Webseite. Die Art und Weise, wie Vivian Maier die Menschen gesehen hat, ist eine Fortsetzung der gestrigen Ode des Casts von American Hustle. Ich bin schon wieder sehr gerührt.

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Ship Bun von Lee Yong-seung erzählt von Ho-Chan, der eigentlich seinen Doktor machen möchte, aber nebenher als schlecht bezahlter Praktikant in einem Büro arbeitet, weil seine Familie hoch verschuldet ist. Als er an die Uni durch die Vorauswahl fällt und eine Festanstellung angeboten bekommt, entscheidet er sich gegen das Studium und für das langweilige Leben im Büro, wo alle nur an sich denken. Nur der Formalität wegen muss er dennoch an einer Bewerbungsrunde teilnehmen – und erfährt an seinem ersten offiziellen Arbeitstag als Angestellter, dass nicht er den Job bekommen hat, sondern ein junges Mädchen mit Beziehungen zum Vorstand. Was er jedoch seinen Eltern verheimlicht und sich jeden Tag im Büro weitere Ungerechtigkeiten gefallen lässt. Als das Mädchen wegen eines Fehlers entlassen wird, bietet ihm sein Chef die Stelle erneut an.

Ho-chan muss sich Fragen stellen, die auch mich erst wieder umtrieben: wie weit weiche ich der Absicherung und des Geldes wegen von meinen Lebensträumen ab? Und welche sind das überhaupt? Erst als Ho-chan bei einem Firmenessen völlig betrunken ist, traut er sich, zu rebellieren. Dennoch weiß ich nicht, wie er sich letztendlich entscheidet. Vorher erscheint der Abspann, zu dem die ganze Zeit laut eine Uhr tickt. Ich mochte den Film.

Der Bechdel-Test

1. Kommen im Film mindestens zwei Frauen (mit Namen) vor?
Ja. Ho-chans Mutter, die in dem Film die ganze Zeit arbeitet, seine Freundin und zwei Arbeitskolleginnen.

2. Sprechen im Film mindstens zwei Frauen miteinander?
Ja, die Kolleginnen sprechen kurz miteinander.

3. Geht es in diesem Gespräch / diesen Gesprächen um (mindestens) ein anderes Thema als Männer?
Ja, aber das Gespräch ist sehr, sehr kurz.

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Der philippinische Film Unfriend von Joselito Altarejos versucht, basierend auf einem Mord, den ein Jugendlicher vorletztes Jahr in einem Einkaufszentrum an sich und seinem Freund begangen hat, eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Der junge David hat eine Affäre mit Jonathan, der jedoch nicht mit ihm zusammen sein möchte. An Weihnachten postet er auf Facebook ein Foto von sich mit einem anderne Jungen, was David in den Wahnsinn treibt, so dass er, nachdem er einen Ego-Shooter auf dem Computer gespielt hat, auf die Idee kommt, sich eine Waffe zu besorgen. Was mir als Herleitung zu simpel ist. Auch die Darstellung der Nutzung Sozialer Netzwerke und Skype fühlt sich für mich irgendwie nicht richtig an, ein bisschen so, als würder der Regisseur selbst die ganze Dinge nicht wirklich nutzen. Mein Online-Verhalten ist auf jeden Fall wesentlich ausgeprägter. Die wackelige Kamera macht mich irre, mich nervt die Musik, die im Film verwendet wird, ich kann mich nicht auf die Gespräche einlassen, die David mit seiner Großmutter führt.

Das war mein dritter Film, in dem Homosexuelle eine Rolle spielen. Bisher jedoch nur Männer.

Der Bechdel-Test

1. Kommen im Film mindestens zwei Frauen (mit Namen) vor?
Ja. Davids Oma und seine Mutter.

2. Sprechen im Film mindstens zwei Frauen miteinander?
Ja, sie skypen, denn die Mutter lebt in den USA.

3. Geht es in diesem Gespräch / diesen Gesprächen um (mindestens) ein anderes Thema als Männer?
Ja, aber es werden nur Floskeln ausgetauscht.

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Den mexikanischen Film Güeros von Alonso Ruizpalacios hätte ich gerne in weniger müdem Zustand gesehen. Weil der Regisseur und einer der Darsteller jedoch direkt hinter mir sitzen, bleibe ich tapfer wach, um bloß nicht womöglich respektlos zu schnarchen. In dem Film wird unglaublich viel geredet. Gleichzeitig nimmt er sich aber Zeit, zeigt Menschen ganz nah und klar, in Zeitlupe. Weil Tomás von seiner Mutter nicht in den Griff zu kriegen ist, muss er vorübergehend zu seinem großen Bruder Fede und dessen Mitbewohner Santo nach Mexico City in einen Plattenbau ziehen. Die drei machen sich auf, den im Sterben liegenden Musiker Epigmenio Cruz zu finden. Seine Musik haben die beiden Brüder immer gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Vater gehört und Tomás besitzt immer noch eine Cassette davon, die er sich nun signieren lassen möchte. Wir streifen in diesem Road Movie streikende Studierende und manch sonderbaren Menschen, lernen Fedes Angebetete Ana kennen, die die Streikenden anführt, wir besuchen eine Filmparty, kommen fast ums Leben und lernen, was es mit dem Tiger auf sich hat, der Fede immer mal wieder das Gesicht zu zerbeißen droht und so dessen Welt lahmlegt.

Güeros ist schwarzweiß und im altmodischen Bildformat 4:3 gedreht, was zu Beginn seltsam anmutet, wenn man bereits seit drei Tagen immer wieder vor riesigen Leinwänden und mindestens 16:9-Filmen sitzt. Güeros ist letztendlich ein langes Gedicht und ich bin verliebt in die Gesichter der beiden Brüder, die während langer und langsamer Großaufnahmen ihre ganze Schönheit entfalten.

Der Bechdel-Test

1. Kommen im Film mindestens zwei Frauen (mit Namen) vor?
Nur Ana hat einen Namen. Zu Beginn sehen wir jedoch noch Tomás Mutter sowie eine Frau mit Kinderwagen, auf den Tomás eine Wasserbombe wirft.

2. Sprechen im Film mindstens zwei Frauen miteinander?
Nein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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