Bildungschancen trotz Margot

DDR im Rückblick Das sozialistische Bildungssystem war besser als der Ruf der Eisernen Lady!

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Margot Honecker, legendäre Bildungsministerin der DDR von 1963 bis 1989, ist im Exil Chile gestorben. Der Nachruf in unserer Presse fällt wie zu erwarten wenig schmeichelhaft aus: von "lila Hexe" in BILD und BZ über "getönte Eminenz" im TAGESSPIEGEL bis zur "Eisernen des Ostens" in der ZEIT. Dass sie dogmatisch und mit harter Hand ihres Amtes waltete, ist der Grundtenor.

Was sie im Bildungswesen neu durchsetzte, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Wehrkunde. 1978 führte sie gegen den Widerstand der Kirchen und vieler Eltern den Wehrunterricht für Schüler der 9. und 10. Klassen ein. Damals steuerte der Kalte Krieg auf einen Höhepunkt zu: den Nato-Doppelbeschluss - eine Zeit also, in der auch in der BRD um Krieg und Frieden gerungen wurde.

Als Ministerin brachte sie 1965 auch das "Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem" auf den Weg, doch die Grundlinien des DDR-Bildungswesens hatte sie bereits bei Amtsantritt übernommen. Es lohnt sich, dieses Bildungssystem im Spannungsfeld zwischen "scharfen ideologischen Vorgaben" und "modernen Ideen und Organisationsstrukturen" (vgl. BERLINER ZEITUNG) genauer zu betrachten.

Das beginnt mit dem Bildungsziel der "voll entfalteten sozialistischen Persönlichkeit". Darunter kann man sich Aufmärsche mit Fahnen schwenkenden Pionieren und FDJlern, oder auch offene Bildungszugänge für Arbeiter- und Bauernkinder vorstellen. In der "sozialistischen Kollektiverziehung" kann man die Unterdrückung des (bürgerlichen) Individuums beklagen, oder auch die Herausbildung von Gemeinschaft und Solidarität erkennen. Man kann schließlich die "vormilitärische Ausbildung" anprangern, oder sich an Ferienlager als jährliche Höhepunkte für alle Kinder erinnern.

Streiten lässt sich auch über das Prinzip der "polytechnischen Bildung". Es knüpfte an ein Anliegen der bürgerlichen Reformpädagogik an: die Einheit von Kopf und Hand. Zugleich diente es dazu, junge Menschen in die "sozialistische Produktion" einzuführen. Dieses Ziel war sowohl zweckdienlich (vorberufliche Ausbildung) als auch ideologielastig. Dennoch haben alle Schüler dadurch Erfahrungen mit praktischer Arbeit gemacht und "Werktätige" in normalen Arbeitsumgebungen erlebt - gewiss kein Verlust!

Was aber bedeutete das "einheitliche sozialistische Bildungssystem"? Verbindlich war der einheitliche Schultyp der zehnklassigen polytechnischen Oberschule: quer durch Stadt und Land mit gleichen Lehrplänen, für alle Kinder ohne Auslese. Daran schloss sich entweder die Berufsausbildung (mit anerkanntem Abschluss) oder die Erweiterte Oberschule an, die auf ein Studium vorbereitete. Diese Struktur des langen gemeinsamen Lernens war auf der Höhe der Zeit und wurde auch von westlichen Demokratien wie Finnland aufgegriffen.

Dass diese beachtlichen Bildungschancen für Leute aus allen Schichten überdeckt und verzerrt wurden von ideologischen Gängeleien und Zwangsmaßnahmen, ist eine tragische Bilanz des DDR-Bildungssystems. Dogmatikerinnen wie Margot Honecker hatten einen maßgeblichen Anteil daran.

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Geschrieben von

Manibas

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