Steuerung der Flüchtlingswelle - aber wie?

Asylpolitik. In der Diskussion um Flüchtlinge wird vor allem kritisiert und gefordert - doch wo ist ein Konzept für konstruktive Politik?

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Giovanni di Lorenzo hat in seinem Beitrag "Die sprachlose Mitte" (Die ZEIT v. 11.2.16) resümiert: "Wenn ... kein Mittel zur Steuerung der Flüchtlingswelle gefunden wird und auch kein Mittel, die gespaltene Gesellschaft wieder zu kitten, dann droht ein Land, so böse und vergiftet, dass man es ... nicht mehr das eigene nennen möchte."

Nun kann man sich sofort darüber streiten, was hier mit "Steuerung der Flüchtlingswelle" gemeint ist, genauso wie man sich unendlich über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der EU streiten kann. Doch wer bei uns, insbesondere unter den linken Kräften, hat ein Konzept für eine konstruktive Flüchtlingspolitik? Soweit ich das bisher wahrgenommen habe, geht die Argumentation über Kritik und Forderungen - so wichtig die auch sind - nicht hinaus. Oder habe ich da etwas übersehen, vielleicht auch in der Freitag Community?

Auf meiner Suche nach einem Konzept ist mir ein interessanter Leitartikel in der britischen Presse begegnet: "How to manage the migrant crisis" (The Economist v. 6.2.16). Der Economist ist ein führendes Wirtschaftsjournal, das in seiner Ausrichtung dem Guardian nahekommt. Ich möchte die Hauptpunkte des Leitartikels kurz darlegen (Text kursiv):

Der Flüchtlingsstrom ist ein gesamteuropäisches Problem, das nur gemeinsam gelöst werden kann. Dass Menschen aus den Kriegsgebieten fliehen und Asyl in Europa suchen, ist völlig verständlich. Doch die gegenwärtige Situation ist chaotisch. Die Flüchtlinge können sich bei Ankunft in Europa registrieren und in ein Land ihrer Wahl aufmachen; viele ökonomische Migranten ohne Anspruch auf Asyl reihen sich in diesen Strom ein. Dieses "Frei-für-alle" muss durch ein System ersetzt werden, in dem Asylbewerber so früh wie möglich herausgefiltert und die anderen umgehend zurückgesandt werden; diejenigen mit Anspruch auf Asyl sollten anschließend in Länder geschickt werden, die zur Aufnahme bereit sind.

Dieses System sollte in drei Schritten umgesetzt werden:

Erstens müsste der Druck auf die Menschen, aus den Krisenländern zu fliehen, entschärft werden, zumal viele von Ihnen ihre Heimat nur ungern verlassen. Das sollte durch Aufstocken der Hilfe vor Ort, insbesondere für die Leidtragenden des Bürgerkriegs in Syrien und dem Irak, einschließlich der Flüchtlinge in den Nachbarländern Türkei, Jordanien und Libanon, geschehen.

Zweitens müsste der Asylanspruch der Flüchtlinge bereits in den benachbarten Lagern (Türkei, Jordanien, Libanon) oder in den europäischen Erstaufnahmezentren (Griechenland, Italien) geprüft werden. Die Kosten dafür sollte die EU gemeinsam tragen, einschließlich Entlastung Griechenlands von Schuldenzahlungen. Zugleich müssten staatliche Vereinbarungen für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in die Herkunftsländer (z.B. Marokko, Algerien) abgeschlossen werden; wo das nicht möglich ist, müssten die Menschen in den Ländern ihrer Erstankunft verbleiben (als demotivierende Maßnahme).

Drittens müsste der unkontrollierte Strom von Flüchtlingen von Nordgriechenland über Mazedonien in die 'Länder der Wahl' gestoppt werden. Dazu gehört vor allem, dass die Asylsuchenden an ihrem Ankunftsort bleiben müssen, bis ihr Antrag bearbeitet ist, und dann in die aufnahmebereiten Länder gesandt werden.

Wie gerade dieser letzte - politisch schwierigste - Schritt in der EU 'gemanagt' werden kann, wird in dem Leitartikel nicht ausgeführt. Doch es geht um eine Lösung ohne Grenzschließungen, und die grundlegende Haltung des Economist ist eindeutig:

Europa sollte geflüchtete Menschen willkommenheißen und in die Gesellschaft einbeziehen. Die Länder haben eine moralische und rechtliche Pflicht, denen die aus lebensbedrohender Gefahr fliehen, Asyl zu gewähren. Das ist zwar erst belastend, aber mittelfristig werden Flüchtlinge, wenn sie arbeiten können, sich eingliedern und mehr zurückgeben als sie bekommen haben.

Meine Frage: Bieten diese Vorstellungen des Economist ein Szenario, das man positiv aufgreifen könnte? An problematischen Aspekten fehlt es zwar nicht, beginnend mit der Unterscheidung zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen und der Rolle der Erstaufnahmezentren ('Hotspots'). Doch geht es nicht auch darum, wie die genannten Schritte konkret ausgestaltet werden? Vor allem, was wäre in der jetzigen und voraussehbaren politischen Situation umsetzbar? - Wenn ein solches Szenario jedoch nicht akzeptabel ist, welche alternativen Vorstellungen oder Konzepte gibt es?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Manibas

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