Klartext. Haltung. SPD - Teil 1

Erneuerung Wie geht es mit der SPD weiter? Nach meinem Aufruf direkt nach der Wahl wird es Zeit für eine erste Zwischenbilanz, die ich in diesem ersten Teil skizziere.

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Klartext. Haltung. SPD - Teil 1

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Zurück zur GroKo?

Kaum ist der erste Versuch einer Regierungskoalition gescheitert, zeigt sich: Der Sog der SPD in Richtung einer Großen Koalition ist stark. Nicht aus Staatsräson, sondern weil nicht wenige in den ersten Reihen sich mit den Positionen bei und neben der Union wohlfühlen. Nach den ersten vereinzelten Rufen trauen sich mittlerweile schon wieder sehr viele, Gespräche mit der Union einzufordern. Es wird jetzt schon so getan, als wenn es um Themen ginge und die SPD nicht billig zu haben sei. Aber sorry, wie unglaubwürdig ist es, dass wir diese Themen dann nicht schon in den letzten Jahren gesetzt haben? Was sollte sich jetzt verändert haben? Was nutzt es diesem Land, keine wirkliche Opposition zu haben und wieder eine Regierung zu bekommen, die abgewählt wurde? Es geht nicht um den Bundespräsidenten oder den Staat, sondern anscheinend um die Sehnsucht, wieder etwas Macht zu haben, Positionen zu bekleiden, die diffuse bequeme Politik der letzten Jahre fortzuführen. Es geht darum, eine Erneuerung der Partei im Keime zu ersticken. Das dürfen wir nicht zulassen!

„Kein weiter so“

Das „Kein weiter so“ wurde leider schnell zur Floskel. Schon in den ersten Wochen nach der Wahl wurde von oben nach unten diktiert, wer die Fraktion leitet, wer ins Bundestagspräsidium geht, wer Generalsekretär wird … Die weiteren Positionen werden genauso verteilt wie immer, mögliche Alternativen werden unter Druck gesetzt. Berücksichtigung finden hauptsächlich Männer und Führungsmitglieder, die den alten Kurs, der die SPD auf 20 Prozent gedrückt hat, klar unterstützt haben.

Es ist jedoch einfach nicht glaubhaft mit den gleichen Köpfen weiterzumachen, die für zwei Große Koalitionen und für den Kurs der letzten 14 Jahre verantwortlich sind. Glaubhaft dagegen sind einige Initiativen wie SPD++, die in der Mitte der Partei oder den Ortsvereinen entstehen, Veränderungen einfordern und anfangen, konkrete Forderungen zu stellen. Genau diese Initiativen müssen gebündelt werden, denn der Zustand der alten SPD ist so bedenklich, dass einige personellen Rochaden, ein Modernisierungsprozess oder eine inhaltliche Neuausrichtung alleine kaum helfen werden. Wir brauchen alles zusammen. Der Bundesparteitag wird die notwenigen Veränderungen aber nicht bringen, deshalb wird es darauf ankommen, die Zeit darüber hinaus zu nutzen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Erneuerung nur von unten nach oben funktionieren wird. Ein Hoffnungsfunken dabei sind auch die Regionalkonferenzen. Sie sind nicht nach dem typischen Muster „oben wird geredet und ihr hört zu“ gelaufen, sondern hier haben tausende Mitglieder ihre Positionen, ihre Vorschläge vorgetragen und diskutiert und der Vorsitzende hat zugehört. Aber die Ergebnisse dürfen nicht wieder vergessen werden, sondern müssen Berücksichtigung finden. Solche Begegnungen müssen verstetigt und auf gezielte Themenbereiche ausgeweitet werden.

Glaubwürdigkeitsproblem!

NEIN, wir haben nicht nur ein Vermittlungsproblem und modernisierungsbedürftige Strukturen, sondern vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem! Dies zeigt sich aktuell wieder ganz deutlich. Wie glaubwürdig ist es, direkt nach der Wahl eine GroKo auszuschließen, aber nachdem die „Onemanshow“ Lindner Jamaika aufgibt, sofort nach Gesprächen mit der Union zu rufen oder eine Neuwahl zu wollen, um dann bei wahrscheinlich ähnlichen Konstellationen wieder dem Bündnis mit der Union entgegenzustreben? Eine Minderheitsregierung ist ja auch eine Option (mehr dazu: https://www.marco-buelow.de/minderheitsregierung-als-chance-nutzen-neuwahl-ist-nur-letzte-option/).

Wir haben viele Jahre so getan, als wären die Kompromisse mit der Union eine tolle Politik, dabei ist eine Politik für die Vielen und für diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, unter die Räder gekommen. Man muss nicht immer nur die Hartz Gesetze bemühen, mit Mehrwertsteuerhöhung, Senkung des Spitzensteuersatzes, einer nicht wirklich vorhandenen Erbschaftssteuer (trotz Verfassungsgerichtsurteil) haben wir eine Umverteilung von unten nach oben mitbefördert. Wir werden gerade von einer Aufstiegs- zu einer Abstiegsgesellschaft. Noch geht es einem Teil unserer Gesellschaft sehr gut, aber auch die Mittelschicht bröckelt, immer mehr fürchten sich vorm Abstieg. Das sozialdemokratische Bildungsversprechen gilt nicht mehr. Dies wird sich doch nicht ausgerechnet in der dritten Großen Koalition in 16 Jahren ändern.

Selbst in der gemäßigten, liberalen DIE ZEIT ist davon zu lesen, dass die SPD radikaler werden soll. Aber wie glaubwürdig ist es, wenn diejenigen, die es sich in der GroKo bequem gemacht haben, auf einmal radikal gegen die Union wettern? Genau dies ist uns doch im Wahlkampf auf die Füße gefallen. Der SPD und nach und nach auch Martin Schulz wurde nicht mehr geglaubt, dass wir wirklich mehr Gerechtigkeit wollen. Zudem wussten viele nicht, wie unsere Gerechtigkeit denn aussehen soll. Wir haben doch in den letzten 20 Jahren 16 Jahre regiert.

Ich glaube, dass es Martin Schulz ehrlich meint, dass er die Erneuerung der SPD will, aber bisher ist davon in der Umsetzung nichts zu spüren. Ungerechtfertigt wird er ausgerechnet von denen belastet, die den bisherigen Kurs viel stärker als er selbst geprägt haben. Wir sind nicht wegen der letzten sechs Monate, sondern wegen der letzten 14 Jahre im Keller gelandet. Dennoch kann eine offene Diskussion nur helfen.

Klartext reden und handeln

Wir erzählen keine Geschichte, vermitteln keine Vision und erreichen nicht mehr den Bauch der Menschen. Wir freuen uns über Neumitglieder, denken aber nicht an die Vielen, die am Rande sind auszutreten oder sich zurückgezogen haben. Dabei hätten wir – wie die Labour Party – das Potential, sehr sehr viele Menschen für die soziale Demokratie und die SPD zu gewinnen. Die Ungleichheit ist besonders in Deutschland obszön hoch, hier besitzen die obersten 10 Prozent über 60 Prozent und die Hälfte der Gesellschaft nur 2 Prozent des Vermögens. Es geht also nicht mal um links und rechts, wir könnten die große Mehrheit ansprechen.

Wir werden immer mehr ein Wahlverein mit nur noch regionaler Bindungsfähigkeit, der höchstens noch in einigen Kommunen und Bundesländern um Mehrheiten kämpft. In anderen Regionen sind wir mittlerweile sehr weit abgerutscht und freuen uns schon über zweistellige Ergebnisse. Dabei stehen wir einer Drohkulisse einiger Schwesterparteien in Europa gegenüber, die vollends untergehen. Auf der anderen Seite gibt es die Chance wieder eine Volkspartei, eine breite Bewegung mit einem klaren sozialen Profil zu werden. Dies funktioniert aber nicht mit dem immer gleichen typischen Kleinklein und damit, es allen wieder ein wenig recht zu machen und auch die Mächtigen zu schonen. Keine Angst vor der Kritik einflussreicher Lobbyisten, neoliberaler Netzwerke und vieler Medien! Klare Kante, mit Haltung, innerparteilich demokratisch und vielfältig! So wird man ein Bollwerk für Gerechtigkeit und gegen die Feinde der Demokratie.

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