Es liegt ein Paket in meinem Briefkasten. Ich nehme es heraus und öffne es, es ist ein Ausstellungskatalog. Vom Buchumschlag schaut mich ein stolzes, nervöses und strenges Damengesicht an. Es ist das Gesicht der finnischen Malerin Helene Schjerfbeck.
Das Nicht-Selbst auf dem Papier
Schjerfbeck ist bekannt für ihre Selbstportraits, die sie nicht ausschließlich, aber zum großen Teil in den letzten zwei Dekaden ihres Lebens malte. Bis zu ihrem Ende dokumentierte sie ihren eigenen Wandel. Die Autoren des Katalogs erinnern den Lesenden daran, die Selbstportraits der Malerin nicht zu sehr mit der Person der Malerin zu identifizieren. Die Malerin entwerfe sich auf ihren Gemälden, ihr wirkliches Leben und ihr wahres Selbst könnten ganz anders ausgesehen haben. Vor allem warnen sie zu recht davor, jede Falte in ihrem Gesicht auf eine ihrer gescheiterten Liebschaften zu beziehen. Festzustellen bleibt jedoch: Helene Schjerfbeck ging im Rahmen ihrer Selbstportraits nicht zimperlich mit sich um.
Ihr Selbstbildnis mit rotem Punkt, welches sie 1944, zwei Jahre vor ihrem Tod, im Alter von zweiundachtzig Jahren malte, ist das ungeschminkte Abbild eines Sterbeprozesses. Der Anblick dieses schwachen, kahlen und nach Luft ringenden Menschen verunsichert den Betrachter. Ein Jahr später (1945) erscheint mit dem Selbstbildnis Eine alte Malerin der zerbrechliche Hauch eines Menschen auf der Leinwand. Das Lebensende scheint ein Kraftakt, den es zu meistern gilt.
Strategisch aktiv
Die im Jahr 1862 geborene Schjerfbeck hatte zuvor ein außergewöhnliches Leben geführt. Schjerfbeck hat sich als Künstlerin schon in den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts in der finnischen Kunstszene etabliert. Ihren männlichen Kollegen bewies sie, dass auch Frauen die Historienmalerei beherrschen können. Obwohl sie sich für diese Genre nicht besonders interessierte, konnte sie es bedienen, und sie wusste, dass dies für ihren Erfolg strategisch bedeutsam war.
Schon früh wird ihr zeichnerisches Talent entdeckt und mit elf Jahren darf sie als Schülerin in die Finnische Kunstgesellschaft eintreten. Als sie volljährig ist, erhält sie zahlreiche Stipendien für Auslandsstudien und kann - wie nur wenige Frauen ihrer Zeit - nach Frankreich und Italien reisen. Dort wird sie von Lehrern wie Gustave Courtois und Léon Bonnat unterrichtet. Später muss sie ihre Reiselust einschränken, einerseits weil sie ihre Mutter pflegt, andererseits, weil sie selbst von schwacher gesundheitlicher Konstitution ist.
Ab nach Frankfurt
Im finnischen Hyvinkää lebend, schöpft sie später insbesondere aus Modemagazinen die Inspiration für ihre Darstellungen schöner und moderner Frauengestalten. Sie hat sich jedoch auch immer mit den großen Klassikern der Malerei, wie El Greco und Giotto beschäftigt und diese neu interpretiert. Im Laufe ihres Lebens findet sie immer stärker zu einem farblich reduzierteren Stil, der teilweise an Amedeo Modgliani erinnert und vermeintliche Schlichtheit mit gestalterischer Tiefe und Schönheit verbindet. Schjerfbeck verfügte über eine große stilistische Bandbreite
Helene Schjerfbeck Katalog
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Kerber Verlag
herausgegeben
von
Max Hollein, Carolin Köchling
Texte
Anna-Maria v. Bonsdorff, Carolin Köchling, Riitta Konttinen, Marja Lahelma, Abigail Solomon-Godeau
Gestaltung
BankerWessel, Stockholm
ISBN:978-3-7356-0009-7
Format:24,00 × 29,00 cm
Seiten: 168
Abbildungen: 98 farbige Abbildungen
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