An der Problematik vorbei...

Mosaiklinke In der „analyse & kritik“ wurden die öffentlich erklärten Eintritte eines knappen Dutzends Linker in die gleichnamige Partei kritisiert. Eine Antwort.

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Das Verhältnis von Partei und Bewegung war noch nie ein Einfaches, umso wichtiger es immer wieder neu zu diskutieren. Aber nüchtern. Unverständlich sind die Aufregung um die Debatte, die Zuschreibungen, mit denen hantiert wird, und Blindstellen, die nicht diskutiert werden. Dieser Beitrag antwortet u.a. auf die Kritik in "analyse & kritik" (http://www.akweb.de/ak_s/ak574/33.htm)

Unnötige Aufregung

Zunächst zur Aufregung: eine kleine heterogene Gruppe von Leuten tritt in die Linkspartei ein und macht das öffentlich. Gaaanze große Sache, wirklich... Die Gründe der Beteiligten sind unterschiedlich. Es eint sie angesichts einer negativen öffentlichen und innerparteilichen Debatte rund um den Göttinger Parteitag und die Wahl der neuen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger auf zwei Dinge hinzuweisen: Ja, die Krise der Linkspartei ist existenziell. Aber mit der Wahl der neuen Parteivorsitzenden ergibt sich eine kleine Möglichkeit, einen Weg jenseits der zersetzenden Strömungsdebatte zu öffnen, eine andere politische Kultur, die die Bedeutung strategischer Diskussion und von der Kooperation mit und Autonomie der sozialen Bewegungen erkennt, zumindest ein wenig fester zu etablieren. Diese Öffnung wollten wir öffentlich unterstützen – und zwar in diesem Moment der Krise (nicht in sechs Monaten, wenn die „neuen“ sich vermeintlich „bewährt“ hätten, wie manche anrieten). Und wir hofften, eine produktive Debatte anzustoßen, wie – nicht abstrakt – sondern in der konkreten Situation, das Verhältnis zwischen Linksintellektuellen, Bewegungen, Gewerkschaften und Linkspartei verbessert werden kann, ohne alles ins eins zu setzen, aber auch ohne essentialistische Abgrenzungen – wie sie uns in der Debatte stark entgegen getreten sind, etwa von einigen Vertretern von Avanti. Zugespitzt: „Entweder ist man Bewegung oder Partei...“. Das hat etwas Identitäres.

Zuschreibungen

Einige der Beteiligten wollten mit der Initiative nur symbolisch ihre Solidarität und Unterstützung äußern, andere wollen tatsächlich im Bezirksverband aktiv werden, andere sind auf bundes- und landespolitischer Ebene mit und in der Partei aktiv. Manche wollen dort weiter aktiv bleiben, wo sie bisher aktiv waren, andere wollen die unterschiedlichen Felder in ihrer persönlichen Arbeit stärker verzahnen. Schon hier ergibt sich ein weiteres Missverständnis: Es gibt keine Kampagne. Und die Gruppe, die hier als einheitlicher Akteur wahrgenommen wird, ist keine, sondern heterogen zusammengesetzt – was gern übersehen wird, um einen bestimmten Teil – die Beteiligten aus der Gruppe Soziale Kämpfe – für das Ganze zu kritisieren. Dabei ist der dümmste aller kolportierten Vorwürfe, die Beteiligten wollten sich nur Jobs in der Rosa Luxemburg Stiftung sichern.

Insofern ist auch die – berechtigte – Frage, was wir damit bezweckt hätten, schief gestellt. Wir haben diese Frage auch in der „Gruppe“ diskutiert. Es gibt keine gemeinsame Strategie, aber durchaus vielfältige Überlegungen, was getan werden kann. Minimalziel, war der Anstoß einer Debatte. Die Kritik, diese hätte zuerst geführt werden müssen – warum eigentlich? – ist für mich nicht nachvollziehbar. Was macht den Unterschied? Naivität wird uns vorgeworfen, wir würden uns selbst überschätzen, wenn wir glaubten, etwas in (dieser) Partei bewegen zu können. Nun, sind alle Beteiligten seit Jahrzehnten „hauptberuflich“ politisch aktiv und alle, manche weniger, andere sehr, mit den internen Verhältnissen der Linkspartei vertraut.

Der AK schreibt, wir verschlössen „die Augen davor, in welches politische Kräfteverhältnis“ wir uns bewegen – wie kommt ihr eigentlich darauf? Wir wähnten uns „jenseits aller bisherigen Konflikte, Strömungs- und Flügelkämpfe“. Nein, eigentlich nicht. Das trifft vielleicht für einen Teil der linksradikalen Szene zu, die abgesehen von Kritik, sich wenig für die Krise die Linkspartei interessiert – einer Krise, in der jeweils unterschiedlich die gesamte Linke in der Bundesrepublik steckt: fast alle Organisierungsansätze von Attac bis Partei, Gewerkschaft bis radikaler Linker stoßen an Grenzen, stagnieren. Aber natürlich mischen wir uns in innerparteiliche Debatten ein. Nur wollen wir uns nicht in die zersetzenden Flügelkämpfe stecken lassen, die (nicht immer – Stichwort Regierungsbeteiligung – aber) oft weniger mit politischen Differenzen zu tun haben als mit Macht. Und einige von uns arbeiten seit langen z.B. im Rahmen der Rosa Luxemburg Stiftung daran, Debatten zusammenzuführen und falsche Gegensätze im Sinne revolutionärer Realpolitik aufzulösen zu helfen, sozusagen das Mosaik innerhalb der Partei produktiv mit voran zu bringen. Dass das vielleicht zu 80 Prozent scheitern kann, schon klar. Einen Versuch ist es wert.

Ich denke, alle kennen auch ihren Agnoli und die linksradikale Parlamentarismuskritik – wir vertreten sie auch innerhalb der Partei, wie bislang. Die Vorstellung, als Parteimitglied könne frau ihre Kritik nicht mehr so offen äußern, ist unsinnig – die Linkspartei hat auch im schlechten Sinne vorgeführt, wie offen, eben auch zersetzend Kritik geäußert wird: Parteischelte gehört quasi zum „guten Ton“ innerhalb der Linkspartei, nicht zuletzt gegen die Politik in der Berliner Regierung. Auch hier setzen Kipping und Riexinger zumindest andere Signale und wir kennen die beiden aus langjähriger Erfahrung als offen, zuhörende Gesprächspartner, die konstruktive Kritik schätzen und für Bewegunsgorientierung einstehen (nicht zu verwechseln mit einer „Bewegungspartei“). Dinge wie den (wieder) begonnen Diskurs mit den Bewegungen zu verstetigen, wäre ein konkreter Anfang.

Also, liebe AK-Redaktion, ein Wort zu eurem Kritikstil: statt zu kritisieren, was eine vermeintliche Gruppe von Leuten gemeint haben könnte, richtet doch eure Kritik auf die Stärken der Initiative. Es gab doch Debatten, etwa im ND, oder zum Beispiel mit Redaktionsmitgliedern des AK, bei der Flo Becker von der GSK auf zahlreiche Punkte deutlicher eingegangen ist, als in eurem Kommentar erkennbar wird. Es bleibt mir unverständlich, weshalb ihr euer gegenüber nicht ernst nehmt und zugleich eine Kritik auf die erste Seite hebt.

Blindstellen

Problematischer ist, dass durch die Form der Debatte, die wichtigen Fragen verstellt werden. „Anzuerkennen ist demnach die Pluralität nicht nur der Bewegungen und nicht nur in einer Partei, sondern ebenso eine Pluralität der linken Parteien und Organisationen.“ (Kleine, ND v. 30.6.2012) Das kann ich nur unterschreiben. Doch wie denken wir die Pluralität oder das Mosaik? Als Kooperation von Fall zu Fall von in sich abgeschlossenen Organisationen? Christoph Kleine (IL) erkennt an, dass Bewegungen „Konjunkturen unterworfen“ sind und „kollektive Erfahrungen kaum festhalten“ können. „Organisationen können hingegen längerfristige Strategien zur gesellschaftlichen Transformation entwickeln und verfolgen, sind aber ohne Kontakt zu den Bewegungen in ständiger Gefahr zu verknöchern und sich zu isolieren.“ Er warnt aber davor „die Bewegungen ...zum Schauplatz von Konkurrenzkämpfen mit anderen organisierten Linken machen“. Auch hier kann ich nur zustimmen. Aber was bedeutet das im konkreten Fall? Dies kann doch nicht nach dem Ausschlussprinzip gedacht werden bzw. verallgemeinert werden. Er hat ein Verständnis davon, dass es Aktivisten in der Partei geben muss, die Bündnisse mit Leben füllen – Vermittlungsintellektuelle i wie bei der Kontaktstelle soziale Bewegungen bei der Bundestagsfraktion der Linken, die (auch ohne Parteibuch) dies faktisch tut – das Parteibuch ist dabei nebensächlich, eine Frage von Nähe und Distanz. Es kann also nicht schaden, wenn mehr Linksintellektuelle, Bewegungsleute, linke Gewerkschafterinnen auch innerhalb der Partei in diese Richtung wirken.

Niemand von ihnen erwartet ernsthaft, die Partei nun zur Bewegungspartei zu formen. Dies entspräche nicht nur einer maßlosen Selbstüberschätzung, sondern wäre auch falsch. Die Partei hat mehr und unterschiedliche Funktionen. Sie erfüllt, solange wir in der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie leben – eine wichtige Funktion der Repräsentation, sichert Strukturen, Finanzen und Jobs, die auch einer breiten gesellschaftlichen Linken zugutekommen (nicht zuletzt auch über die Rosa Luxemburg Stiftung). Sie ist als Apparat Teil des Staates und muss bei Wahlen antreten, um ihre Existenz zu sichern und oben genannte Funktion zu erfüllen. Deshalb ist sie noch kein reiner Wahlverein oder nur Parlamentsapparat, wie Kleine dies sieht, bzw. sollte es nicht sein, denn in der Realität ist die Linkspartei viel zu sehr von den unterschiedlichen Fraktionen dominiert und eben nicht von einer „Basis“ und den unverzichtbaren „lebendigen Zwischenschichten“ (Gramsci, vgl. Spehr in: LuXemburg 3/2011).

Zugleich ist die Partei ein wichtiger Akteur der Zivilgesellschaft, Teil einer gesellschaftlichen Strömung der Linken, hält Diskursfelder offen, früher gegen Hartz-IV und der Anti-Kriegspolitik, heute z.B. als einzig vernehmbare Stimme gegen den Fiskalpakt. Dabei erreicht die Linkspartei Gruppen, die die linksradikale Szene nie oder unzureichend erreicht, nicht nur bei den sog. Hartz-IV-Beziehern und Gewerkschafterinnen, sondern auch unter Migratinnen. Doch sie braucht eine viel stärkere gesellschaftliche Verankerung und Eigenständigkeit gegenüber den parlamentarischen und medialen Mechanismen. Das geht nur durch Verankerung in sozialen Bewegungen, linksintellektuellen Milieus, in Betrieben und Stadtvierteln – nicht durch freundliche Kooperation eines parlamentarischen Apparats mit der „Zivilgesellschaft“.

Kleine und andere sitzen hier zu stark dem bürgerlichen Parteibegriff auf und versuchen nicht einmal, einen anderen Begriff und Inhalt von Partei zu denken, wie es etwa Gramsci mit der Unterscheidung von Partei im engeren Sinne und Partei im weiten Sinne als „gesellschaftliche Partei“ entwickelt hat - bei allen Widersprüchen, die übrigens immer schon die Linke an sich durchzogen haben. Hier ist nicht der Raum dies auszubuchstabieren.ii Dieses Verständnis von unterschiedlichen Funktionen und Feldern, die widersprüchlich zueinander, aber nicht zu trennen sind, also bearbeitet werden müssen, in der Partei (wie in den Bewegungen) zu stärken, wollen wir mit anderen gemeinsam zu entwickeln versuchen. Diese „gesellschaftliche Partei“ ist sicher nicht mehr die „Partei-Partei“ in Form der Linkspartei, viel eher die vielfach erwähnte Mosaiklinke.

Da kein Teil der pluralen Linken, keine Partei, keine Gewerkschaft, keine linke Avantgarde, mehr eine Führungsrolle beanspruchen kann, wir aber vermeiden sollten, dass Pluralität in Spaltung umschlägt, bedarf es der Entwicklung einer Mosaiklinken, die bislang trotz der Debatte um sie, nicht existiert. Dies entspricht nicht einfach einer Akzeptanz der unterschiedlichen Positionen, meint nicht einfach ein neues Bündnisprojekt, sondern den produktiver Umgang mit Fragmentierungen und Differenzen, mit Machtungleichgewichten und unterschiedlichen Funktionslogiken zwischen gesellschaftlicher und parlamentarischer Politik, Großorganisationen wie Parteien, Bewegungen und kleinen Initiativen etc.. Eine Neubestimmung der jeweiligen Funktion innerhalb des Mosaiks bedeutet auch eine Transformation der pluralen Linken um Kooperationsfähigkeit überhaupt herzustellen. Das geschieht nicht von selbst, sondern braucht viele Vermittlungen und Vermittlerinnen. Darin ist die Linkspartei vorläufig unverzichtbar – ihr (möglicher) Fall würde die gesamte Linke in der BRD schwächen.

Schließlich funktioniert das Prinzip der pragmatischen Kooperation von Fall zu Fall übrigens innerhalb der Bewegungslinken auch nicht. Sie ist fragmentiert, angesichts von Krisenkorporatismus und -management geschwächt, es gibt keine transformatorische Perspektive, das Mosaik ergibt eben kein Bild. Kleine und andere stilisieren die „Bewegungen“ bzw. linksradikalen Organisationen als revolutionär, radikale und die Partei, indem sie sie auf ihre parlamentarische Funktion reduzieren, als reformistisch. „Wer jetzt Mitglied der LINKEN wird, ...muss akzeptieren, dass die Beteiligung an Aktionen und Kampagnen Wahlerfolge jedenfalls nicht dauerhaft gefährden darf. Wer dagegen hauptsächlich auf außerparlamentarische Aktionen orientiert ist, wer das staatliche Gewaltmonopol offensiv in Frage stellen möchte und wer auf den revolutionären Bruch setzt, sollte sich besser einer linksradikalen Organisierung, wie zum Beispiel der Interventionistischen Linken, anschließen“, so Kleine. Abgesehen von der kleinen Werbeeinlage ist nicht ganz nachvollziehbar, weshalb ich als Parteimitglied nicht für eine antikapitalistische revolutionäre Perspektive eintreten könne (was durchaus dem Selbstverständnis zahlreicher Parteimitglieder entspricht) und zugleich in unterschiedlichen Bewegungen, in der Gewerkschaft aktiv sein sollte? Wie viele agieren in unterschiedlichen Kontexten und sind Teil unterschiedlichster Organisationen, ohne dass dies ein Problem wäre? Das Zeitargument, man könne nicht alles gleichzeitig, hat individuell seine Berechtigung, politisch nicht. Abgesehen davon stimmt das Bild nicht: zahlreiche Organisationen und Bewegungen sind alles andere als revolutionär oder radikal und dennoch enorm wichtig.

Die Aufteilung in revolutionäre Linke hier, reformistische dort zerreißt darüber hinaus den Zusammenhang von revolutionärer Realpolitik, einer Politik, diein allen ihren Teilbestrebungen in ihrer Gesamtheit über den Rahmen der bestehenden Ordnung, in der sie arbeitet,“ hinausgeht (Luxemburg), also auch in Bündnissen und in der alltäglichen Arbeit im Mosaik an transformatorischen Perspektiven arbeitet. Das ist die Aufgabe einer Transformationslinken innerhalb des Mosaiks, sei es Linkspartei oder radikale Linke. Eine sozialistische Partei ohne reale Transformationsperspektive ist überflüssig.

Damit sind wir längst nicht mehr beim Problem der Linkspartei (oder der läppischen Debatte, ob man nun eintreten darf oder nicht), sondern auch bei den Problemen und Aufgaben der Bewegungen und der sog. radikalen Linken im Besonderen? Eine Wunschliste an die Partei, wie sie sein sollte, ohne Selbstreflektion kommt immer etwas komisch, rein äußerlich rüber. Warum gelingt es der radikalen Linken keine effektive Mobilisierung gegen die Krise? Dank der tatkräftigen Hilfe der Polizei wurde BlockupyFrankfurt kein Fehlschlag. Zufrieden sein können wir sicher nicht. Seit dem G8-Gipfel konnten (abgesehen von Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen Nazis) eher andere Bewegungen wie gegen Stuttgart21 oder die Anti-Atombewegung erfolgreiche Mobilisierungen verbuchen. Warum auch gelingt es den linksradikalen Gruppen kaum über akademische Krise hinaus Leute einzubeziehen? Warum brechen so viele Aktivistinnen weg, sobald sie einen Job oder Kinder haben? Wie ist es um die „innerparteiliche“ Demokratie innerhalb der IL bestellt? Warum ist die Bewegungslinke in der Bundesrepublik seit Jahren so schwach, dass sie der postdemokratischen Politik eines autoritären Neoliberalismus nichts entgegenzusetzen hat, schon gar nicht europäisch?

Es macht keinen Sinn hier Bewegung, dort Partei zu diskutieren. Entweder arbeiten wir an einer Mosaiklinken oder eben gesellschaftlichen Partei – oder wir führen unsere kleinen Projekte fort, kooperieren hie und da und wundern uns, dass wir, rhetorisch gewaltig, real wenig Veränderung bewirken. Wer dabei ein Parteibuch hat oder nicht, ist unerheblich und führt an der Problematik vorbei...

ii Zu einem Parteikonzept in gramscianischer Tradition vgl. http://www.rosalux.de/uploads/media/ESF_Candeias.pdf

vgl. auch die gesammelten Beiträge zur Debatte auf http://www.lafontaines-linke.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MarioCandeias

ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung. Wir arbeiten an sozialistischer Transformation + einer Mosaiklinken.

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