„Die ungleiche Universität“: Ständegesellschaft mit Professor*in an der Spitze

Streitschrift Etwas muss sich endlich etwas ändern an deutschen Hochschulen: Sabine Hark und Johanna Hofbauer fordern mehr Diversität und Inklusion an Hochschulen
Ausgabe 42/2023
Auch wenn 25 Prozent der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte haben – in den Universitäten sind sie unterrepräsentiert
Auch wenn 25 Prozent der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte haben – in den Universitäten sind sie unterrepräsentiert

Foto: Imago/Photothek

Die Universität ist nie, wie sie sein soll, sie ist aber auch nicht das, was sie einmal war. Wäre die Universität so, wie sie sein soll, müsste man sie nicht ständig reformieren, wäre sie so, wie sie einmal war, wäre sie ein Relikt: immer noch da, aber funktionslos. Universitäten müssen sich anpassen, aber auch den Zeitläuften widerstehen. Dass die Hochschulen Institutionen in einer sich wandelnden Gesellschaft sind, deren Transformationen sozialer und politischer Art in der Universität Sichtbarkeit bekommen müssen, ist der Tenor vieler Universitätsschriften aus dem progressiven Lager. Und hier haben die Progressiven ausnahmsweise mal recht: Wenn bis zu 25 Prozent der Bevölkerung eine Migrations- oder Fluchtgeschichte haben, kommt dieser Teil der Bevölkerung nicht oder nur sehr eingeschränkt auf der Ebene des lehrenden und forschenden Personals an den Universitäten vor. Man besuche nur einmal die Homepage eines beliebigen Instituts: Andreasse oder Eva-Marias findet man überall, einen Cem, eine Zeynab selten, von Kevins und Mandys ganz zu schweigen.

Sabine Harks und Johanna Hofbauers Essay Die ungleiche Universität geht von einem unhaltbaren Zustand aus. Die Universität reproduziere strukturellen Rassismus und setze in ihrer Personal- und Wissenschaftsstruktur Diskriminierungen fort. Die Universität, so wie sie sich den Autor*innen darstellt, muss diverser, gerechter, inklusiver werden. Wenn dies nicht geschehe, meinen die beiden Autor*innen, gehe die Universität unter: „Die Universität der Zukunft ist die Universität der Vielen – oder sie ist nicht.“ Der apokalyptische Ton zieht sich durch den ganzen Text. Die Universität darf „auf gar keinen Fall“ so bleiben, wie sie ist: weder in ihren Personalstrukturen noch in Sachen Management noch im Hinblick auf die Rolle, die die Universitäten im Wissenschafts- und Hochschulsystem innehaben. Es drohe, so machen die Autor*innen an mehr als einer Stelle deutlich, die Katastrophe und damit die Tragödie der modernen Universität: nämlich ihr Untergang. Nicht ganz zufällig beginnt das Buch mit dem berühmten Zitat aus Shakespeares Hamlet: „Etwas ist faul im Staate Dänemark.“

Hark und Hofbauer spazieren in ihrem sehr gut lesbaren Text, der sich nicht nur an Universitätsmitglieder, sondern an eine breitere Leser*innenschaft wendet, durch die aktuellen Problemfelder der aktuellen Universitätspolitik: Zerstörung einer Idee, Ökonomisierung, Ungleichheit. Im ersten Kapitel wird daher eine Ruine besichtigt. Die Universität ist nämlich „zerstört“. Es sind die unerfüllbaren und widersprüchlichen Anforderungen der Politik, die eine Leere der universitären Identität produzieren: „In diesem Vakuum jonglieren Universitäten mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher und teilweise unvereinbarer Ideen über sich selbst, ohne dass diese Bemühungen bislang ein ausgereiftes und in sich kohärentes Bild erkennen lassen.“ Exzellenz und Förderung in der Breite sollen gleichzeitig realisiert werden, Inklusion einer möglichst heterogenen Studierendenschaft soll möglich werden, dabei sind die subtilen, aber sehr machtvollen Exklusionsmechanismen des professeralen Elitedünkels immer noch da. Mit einem nicht angeführten Hamlet-Zitat ausgedrückt: „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.“ Denn: Die Universität wähnt sich als meritokratische Organisation, in der allein die Leistung zählt, ist aber in Wahrheit Repräsentant*in einer Ständegesellschaft mit den Professor*innen an der Spitze.

Die Therapie von Harks und Hofbauer, die aus der Diagnose der ruinierten Universität resultiert, lässt sich so formulieren: Eine erfolgreiche Therapie ist das „immer mehr“. Mehr an Inklusion, mehr an Gleichstellung, mehr an Partizipation und Teilhabe von unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen. Das ist sehr sympathisch, aber unrealistisch. Liest eine Hochschulrektorin oder eine Kanzlerin dieses Buch, so wird es das übliche bürokratische Schicksal erleiden: gelesen, gelacht, gelocht. Das ist schade, aber auch normal.

Die ungleiche Universität. Diversität, Exzellenz und Anti-Diskriminierung Sabine Hark, Johanna Hofbauer Passagen Verlag 2023, 176 S., 23 €

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