Also sprach Botho Strauß

Der letzte Deutsche Botho Strauß mischt sich in die Flüchtlingsdebatte ein. Die Lektüre lohnt sich, denn sein Essay offenbart das Dilemma unserer liberalen Willkommenskultur.

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Botho Strauß hat in der letzten Wochen einen neuen Essay, in dem er sich mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigt, veröffentlicht. Der programmatische Text "Der letzte Deutsche" hat die erwartbaren Reflexe ausgelöst; darunter verkürzte Lektüren und schlichte Falschlektüren.

Dabei lohnt eine gründliche Lektüre. Und das nicht nur, weil er die Meinung des „linken Meinungsmainstreams“ nicht teilt, sondern weil er sich in der Position des klassischen Dichters, der sich aus dem medialen Geschehen und der digitalen Welt gänzlich ausklammert, begreift. Als gleichermaßen randständige wie scharf beobachtende Figur des Kulturbetriebes gelingt es Strauß am Ende doch, eine wichtige neue Perspektive auf das Thema Zuwanderung zu eröffnen.

Strauß‘ neuer Essay ist letztlich eine Reformulierung und Zuspitzung seines Essays „Anschwellender Bocksgesang“ aus dem Jahre 1993 vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingswelle. Dabei zeichnet er das Bild der Flüchtlinge in bedrohlichem Zwielicht: Es seien die Entwurzelten, die – gleichermaßen in Form eines Kulturschocks – die Deutschen notwendig mit der vernachlässigten Frage nach Identität und Kultur konfrontieren. Denn nur im Angesicht des Fremden sind kulturelle Grenzziehungen überhaupt vorzunehmen. Zugleich ruft er das alte Bild von islamischen Eroberern auf, ein Schreckensszenario, das – heilsam hin oder her – die Grundfesten der Republik erschüttert (zumindest in Strauß‘ Vorstellung).

Die Flüchtlingskrise wird bei Strauß zu einem veritablen Endkampf zwischen einer aussterbenden Kulturnation (die gänzlich ohne das Zutun fremder Einflüsse von außen die eigene Identität vergessen hat) und den jungen vitalen "Entwurzelten".

Und so nimmt der anschwellende Bocksgesang – ein semiotischer Verweis auf die Tragödie – von damals nunmehr die Züge einer ausgewachsenen Tragödie an; es handelt sich nicht mehr um die „Antizipation einer größeren Bedrängnis“. Die große Bedrängnis ist da. Und zwar in Form der Entwurzelten, die das Land „überschwemmen“.

Freilich kann man dem Dichter Strauß hier vorwerfen, von einer Metapher Gebrauch zu machen, die notwendig Ressentiments weckt. Aber damit bedient er sich durchaus eines allgemeinen Sprechstils im Kontext der „Flüchtlingskrise“ und „Flüchtlingswelle“, bei dem das menschengemachte Problem sprachlich kurzerhand zur Naturkatastrophe beinahe biblischen Ausmaßes umgedeutet wird.

„Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen.“

(Botho Strauß, Der letzte Deutsche)

Statt das herauszulesen, was die Rezensenten lesen wollen - nämlich so etwas wie eine völkische Gesinnung, eine Rasse-Reinerhaltungsfantasie - sollte man das Augenmerk auf das letzte Wörtchen in diesem Zitat legen: "vitalen". Denn darum geht es. Eine lebendige islamische Kultur, gelebte Kultur, im Gegensatz zu einer sterbenden, aussterbenden, einer, bei der bald schon der Letzte das Licht ausmacht.

„Der Rechte – in der Richte“

Wer glaubt, hier einen Fürsprecher für die schnöden politischen Forderungen von Pegida und Co zu lesen, der irrt doppelt. Denn erstens geht es gerade nicht um das Politische, sondern um die explizit kulturellen Grundlagen der Gesellschaft. Zumal Strauß betont, dass die meisten „Sozial-Deutschen“ nicht weniger entwurzelt seien als die zugewanderten Entwurzelten.

„Der Irrtum der Rechten: als gäbe es noch Deutsche und Deutsches außerhalb der oberflächlichsten sozialen Bestimmungen. Jenen Raum der Überlieferung von Herder bis Musil wollte noch niemand retten.“

(Botho Strauß, Der letzte Deutsche)

Straußens Programm war und ist keine banale Deutschtümelei, kein Gemein-Machen mit den neonazistischen Horden. Abgesehen davon, dass diese ihn weder lesen noch verstehen könnten, läge ihm nichts ferner als ihre grausame Kulturlosigkeit.

Der letzte Deutsche, er stellt sich gegen die Stimmen der Viel-zu-Vielen, die schon Nietzsche hörte. Er macht sich eben nicht gemein mit den dumpfen Massen, mit den Gewalttätigen und Pöbelnden. Viel wichtiger noch: Es geht Strauß um einen geistigen Heimatbegriff, der sich nicht an einer banalen Blut- und Boden-Logik orientiert.

„Der Rechte in solchem Sinn ist vom Neonazi so weit entfernt wie der Fußballfreund vom Hooligan, ja mehr noch; Der Zerstörer innerhalb seiner Interessensphäre wird ihm zum ärgsten, erbittertsten Feind.“

(Botho Strauß, Anschwellender Bocksgesang)

Straußens gesamtes Gedankengebäude ist nicht verständlich ohne die – auch begriffliche - Unterscheidung von rechts und links. Er zeigt sich im Bocksgesang verwundert darüber, dass eine politische Bewegung sich als „links“ bezeichnen könne, wo „links“ doch traditionell (zumindest in der dichotomen Denktradition des jüdisch-christlichen, von der griechischen Antike geprägten Abendlandes) für das Falsche stehe.

Links aber sei der Ort, wo sich die kulturelle Mehrheit in Deutschland befinde. Der Rechte ist moralisch verpönt. Strauß' „Interventionen“ von der Außenlinie sind auch die Reaktionen eines „Rechten“ auf einen linken medialen Meinungsmainstream. Er begreift sich, den rechten (in mehr als einem Sinne) Dichter, als eingebunden in die Kontinuität der Tradition, des Mythos, der Anti-Geschichtlichkeit, des Zeitlosen. Und in Straußens Weltbild gelingt allein dem Dichter der „Wiederanschluß an die lange Zeit“. Der Dichter ist der Nation in diesem Sinne eine Kulturressource, die eine Form der „Tiefenerinnerung“ möglich macht, „gegen die Totalherrschaft der Gegenwart“.

Für Strauß geht es um die gesamte Verfasstheit der Bundesrepublik nach 1945 bzw. 1968. Beide Jahreszahlen bilden eine geistespolitische Klammer mit ihrem Beginn bei der sogenannten Stunde Null (die de facto nie als singulärer Moment, als Neuanfang einer Kultur, existierte) und der Stunde der Abrechnung der Jungen mit den Alten.

Strauß betrachtet beide Jahreszahlen als Daten in einem langen Zeitkontinuum, das letztlich von der Aufklärung über Auschwitz bis in die moderne Bundesrepublik reicht. Inwiefern? Weil er Ausschwitz als die letzte Konsequenz einer Logik der Aufklärung, die den Menschen von Natur und Überlieferung entfremdeteund sein ganzes Wesen der kalten Logik der Zweckmäßigkeit unterworfen hat, begreift.

So liegt der eigentliche Geburtsfehler der Bundesrepublik für Strauß und andere "Rechte“ in dem Mangel an Erkenntnis: Dass es die bis zur Tyrannei gesteigerte Freiheit ist, die eine Gefahr für das Individuum darstellt.

Der Rechte bleibt - in Straußens Vorstellung - eingebunden in Überlieferung und Tradition, während die Freiheit des Linken sich ins Grenzenlose steigert. Die Verheerung durch grenzenlose Freiheit führt schon der Marquis de Sade in seinem (antiaufklärerischen) Werk vor. Sie offenbart sich auch im Tugend-Terror eines Robespierres.

Die linksliberale Republik

Es ist ja ein spannendes Phänomen, dass der politische FDP-Liberalismus und CDU-Konservatismus die Freiheit vor allem als ökonomische Freiheit definiert, während der Freiheitsgedanke der Linken, Grünen und Sozialliberalen sich vor allem auf Geschlechterrollen und Körperpolitik bezieht.

Und hier nun legt Strauß den Finger in die Wunde, wenn er zurecht darauf hinweist, dass ausgerechnet die von den Linksliberalen so warmherzig willkommen geheißenen Entwurzelten die größten Schwierigkeiten haben dürften, mit den liberalen Vorstellungen von Geschlechterrollen und fluiden Identitäten. Dass also – ausgerechnet – die tief im Glauben verwurzelten Entwurzelten den Konservativen in diesem Lande in Glaubens- und Weltanschauungsfragen viel näher stehen. Diese Konservativen wiederum begreifen am ehesten, dass die Entwurzelten ihre kulturelle Identität nicht einfach opfern werden.

Strauß findet noch eine zweite Wunde, wenn er sagt, dass die Integration der Einwanderer nur dann zu haben ist, wenn diese ihre kulturellen Eigenheiten opfern, sich also assimilieren. Genau das aber widerspricht der linksliberalen Haltung, die ein buntes Miteinander vieler kultureller Identitäten wünscht. Die linke Libertinage scheitert also gleich zweifach: Weil ihre Willkommenskultur diejenigen begrüßt, die vielfach konservative Vorstellungen hegen. Und weil sich die traditionelle linke Vorstellung von Multikulturalismus als Illusion darstellt, weil beides nicht zu haben ist: Integration und Bewahrung der absoluten Andersartigkeit.

Strauß hat in all diesen Punkten recht, aber, so möchte man ihn nun fragen: Sollten dann nicht ausgerechnet die Konservativen dieses Landes die Entwurzelten als Brüder willkommen heißen? Sind die konservativen Vorstellungen des Islams tatsächlich so schwer vereinbar mit jenen konservativen christlichen Vorstellungen?

Strauß gelingt aber noch ein Treffer in die linke Magengrube. Nämlich wenn er betont, dass ausgerechnet Demografie und Ökonomie dafür herhalten müssen, die Einwanderung der „Fremden“ zu rechtfertigen. Strauß sagt zurecht, dass die Linke sich hier einem durch und durch ökonomisch geprägten Weltbild hingibt. Dass sie – ausgerechnet! – die Forderungen der deutschen Wirtschaft nach Arbeitskräften zum Rechtfertigungsgrund der Aufnahme Asylsuchender erhebt. Und dass die angekommenen Menschen so rasch wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Dass also auch die Einwanderer im Sinne dieser libertären Logik Mittel zum Zweck sind.

Er attestiert hier eine - aus seiner Sicht - linke Neurose: Eine Art bundesrepublikanischen Todestrieb, auf dass die Republik sich in einem Multikulturalismus auflöse und nur noch als ökonomische Entität fortexistiere.

Strauß geht es also offenkundig um die Ökonomisierung der Frage, warum und wie wir Einwanderung – aber in einem viel weiteren als in dem engen politischen Sinne – zulassen sollen. Es geht gerade nicht um die ethische Frage des Asyls. Es geht um die bemühte Zahlenlogik, die erklärt, wie viele Arbeitskräfte das Deutschland von morgen benötigt, um Produktionsverhältnisse aufrechterhalten zu können.

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung nach bester Unternehmensberater-Manier. Schafft das Land den Turn-Around? Die Eingewanderten werden als Humankapital begriffen, und alle potenziellen Risiken lediglich auf Ebene der mangelnden Nutzbarmachung der Stärken der Einwanderer und ihrer Bildungsabschlüsse erkannt.

Also sprach Botho Strauß

Strauß erweist sich als Nietzscheaner par excellence, wenn sich in seinen Texten Décadence-Gedanken, Endzeit-Fatalismus und die letzte Hoffnung auf Erneuerung an der Flüchtlingsfrage entzünden. Und der Nietscheaner in ihm versteht sich ganz vorzüglich mit dem Gnostiker Strauß, der die Beschaffenheit der Welt beklagt und zugleich Hoffnung auf die Erlösung von allem Übel hegt (dem Gnostiker Strauß übrigens dürfte die islamische Mystik nicht sonderlich fremd sein).

Vermutlich ist es das Straußsche Pathos vom Welterklärer und Untergangskünder, das den Rezensenten und vielen Lesern aufstößt. Pathos, das dulden wir nur im Hollywoodfilm. Das ist gerade noch im Kinosessel zu ertragen als in seiner durchökonomisiertesten Form zugänglich gemachtes Pseudo-Gefühl.

Auf der Suche nach einer neuen, nicht-materialistischen Seinsordnung – oder vielmehr Anknüpfung an die voraufklärerische Seinsordnung (das mystische, ahistorische Allzeitgültige) - konfrontiert Strauß die linksliberalen Utopien mit einer schmerzhaften Wahrheit. Und die dürfen ausgerechnet diejenigen, die die „Entwurzelten“ integrieren wollen, nicht einfach ignorieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

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Marlen Hobrack

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