Slavoj Žižek, der wohl umtriebigste Hegelianer seit einem gewissen Trierer Bartträger, der Hegel vom Kopf auf die Füße stellen wollte, hat ein neues Buch veröffentlicht. Wer zynisch ist, was ich freilich nicht bin, ich bin schließlich jung und leidlich privilegiert, würde sagen, dass Žižek auch deswegen (gefühlt) pro Jahr zwei Bücher schreiben kann, weil er seit 30 Jahren ein und dasselbe Buch schreibt. Wie gesagt, ich bin nicht zynisch. Reizvoll freilich ist schon der Titel des aktuellen Buches, denn Der Mut der Hoffnungslosigkeit fasst das Gefühl der globalen Linken seit der Wahl Donald Trumps, diesem magenumdrehenden Epochenwendedatum, zusammen.
Das Buch seziert die Schwächen der globalen Linken, die partout keine Antwort finden will auf die Herausforderungen von Rassismus, Populismus und Terrorismus, weil sie sich in eine gemütliche, sichere Welt auf Uni-Campussen und den Safe Spaces urbaner Kieze zurückgezogen hat, um über Gendertoiletten zu debattieren und LGBTQQIAAP-Buchstabierwettbewerbe abzuhalten. So weit, so wenig originell. Bevor nun jemand schreit, dass es sich bei dieser Aussage um üblen „Whataboutism“ handelt, sei das Žižek’sche Argument etwas ausführlicher dargestellt: Es geht ihm nicht darum, das Sprechen über Transsexuelle, Homophobie oder Sexismus als zu vernachlässigendes Thema abzuweisen, das abgearbeitet werden kann, wenn die wirklich wichtigen Probleme behoben sind. Vielmehr hegt er den Verdacht, dass das sprachpolizeiliche Einschreiten gegen inkorrekte Rede sowie das zwanghafte Reden über prekäre Identitäten und Subjekte – white noise im doppelten Wortsinne – ein willkommenes Dauerrauschen erzeugen, das das Stellen der wirklich wichtigen Fragen verhindern soll. Beispielsweise: Ist das grundverkommene System des globalen Kapitalismus überhaupt reformfähig?
Der Vorwurf Žižeks, der vermutlich direkt ins Schwarze – oder besser: ins weiße Herz – trifft: Die westlichen Linksliberalen wollen gar keine grundlegenden Veränderungen des Systems, von dem sie so entscheidend profitieren; lediglich kosmetische Verbesserungen, die den Status quo unangetastet lassen, seien das Ziel. Überall dort, wo die Linke radikal wird – nehmen wir nur Syriza in Griechenland –, erschrickt sie schließlich vor der eigenen Courage, die das System tatsächlich ins Wanken bringen könnte. Die Suche nach einem „Projekt, das den Teufelskreis aus EU-Technokratie und nationalistischem Populismus durchbrechen kann“, um nur ein drängendes Problem der Gegenwart zu nennen, wird von der europäischen Linken deswegen leider verschlafen. „Es ist schon atemberaubend, wie sie keine Gelegenheit auslässt, eine Gelegenheit zu verpassen ...“
Hart nachdenken
Žižek klingt hier gewohnt zynisch. Das macht ihn zum nüchternen Antipoden Alain Badious, des anderen Popstars unter den Philosophen. Der sprach übrigens vor zwei Monaten in Dresden vor sozialismuserprobtem und daher eher kritischem Publikum, das, bei aller Zuneigung für den „gefährlichsten Philosophen der Welt“, nicht ganz folgen wollte. Badiou nämlich setzt alle Hoffnungen auf das nomadische Proletariat. Dieses – vom marokkanischen Wirtschaftsflüchtling bis zum chinesischen Wanderarbeiter – soll sich gemäß Badious Vision mit unterbeschäftigten westlichen Arbeitern zu einem globalen Proletariat vereinigen, auf dass sie fröhlich den kommunistischen Widerstand proben. Der vereinigte Weltgeist in Arbeiterstiefeln? Pardon, Monsieur, da möchte man Zweifel hege(l)n.
Badious frankokommunistischer Chanson, im Kavalierbariton vorgetragen, lullte herrlich ein. Žižek dagegen ist, nicht nur wegen seines charmanten Lispelns, das philosophische Äquivalent zu einer kalten Dusche: Nachdenken müsse die Linke, viel mehr als bisher. Der elften und berühmtesten Marx’schen These zu Feuerbach widerspricht er: Vor der Veränderung der Welt sollten wir uns ruhig noch sorgfältiger ihrer (richtigen) Interpretation widmen. Und Alternativen denken. Andere Systeme sind untergegangen. Auch der Kapitalismus wird nicht ewig leben.
Info
Der Mut der Hoffnungslosigkeit Slavoj Žižek Frank Born (Übers.), S. Fischer 2018, 448 S., 20 €
Kommentare 9
2 bücher pro jahr?
pfarrer müssen jeden sonntag eine irgendwie neue predigt halten,
ehem. bischöfinnen mehrere talk-shows.
wo vor-denkertum ein abo-publikum hat, ists ein klacks.
nur wenn außerhalb der gemeinde erst eines organisiert werden muß:
artet das in arbeit aus.
Vielen Dank für diesen Beitrag, der sich, wie gewohnt, von der Mehrzahl der Artikel auf dieser Plattform durch seinen Tiefgang auszeichnet. Man muss nicht jedes Buch von Zizek lesen, manche sind ja auch kaum 50 Seiten lang. Aber in punkto Witz und Dialektik kann man immer dazulernen, weil er den Finger tief in die offenen Wunden steckt.
Ob es etwas nützt, darf bezweifelt werden. Seine Texte sind harte Brocken und nicht leicht verdaulich. Wer da ohne Ausdauer rangeht oder gar mit Widerwillen, weil er sich getroffen fühlt, wird höchstwahrscheinlich nicht viel entnehmen können. Ganz so wie in einem treffenden Dresdner Witz:
"Im Nebel auf der Prager Straße irrt ein Japaner umher und trifft auf zwei Polizisten. Er fragt auf Englisch nach dem Weg zum Hauptbahnhof. Die beiden sehen sich an und zucken mit den Schultern. Er fragt auf Französisch, wieder nur Schulterzucken. Nach der Frage auf Japanisch und dem Schulterzucken dreht er sich um und verschwindet im Nebel. Da sagt der eine Polizist: 'Hast Du gehört? Der kann drei Fremdsprachen.' Darauf der andere: 'Und? Hat's ihm was genützt?'"
Danke für den Buchhinweis.
"Der Vorwurf Žižeks, der vermutlich direkt ins Schwarze – oder besser: ins weiße Herz – trifft: Die westlichen Linksliberalen wollen gar keine grundlegenden Veränderungen des Systems, von dem sie so entscheidend profitieren; lediglich kosmetische Verbesserungen, die den Status quo unangetastet lassen, seien das Ziel."
Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass der ganze Einsatz für gesellschaftliche Liberalität auch den Zweck einer Verschleierung der bestehenden Verhältnisse erfüllt. Und das ziemlich bewusst. Freiheit des Individuums und Freiheit der Individualität als Killer-Apps gegen den sozialen Zusammenhalt. Ginge auch anders, aber daran besteht kein Interesse seitens der "Linken".
Auch ich bin nicht zynisch. Daher danke für den Hinweis auf das eine Buch, das Žižek immer wieder schreibt. Auch Kafka und Beckett haben im Grunde nur ein Buch geschrieben, oder die works in progress von Proust, Musil, Joyce. Wobei es die belletristische Literatur leichter hat, da sie sich im Einzelnen, Konkreten verlieren/zerstreuen/verlaufen kann und doch ihr metasubstantielles Ziel erreicht.
Das ist mit dem Denken und Reden über die Neue Weltordnung schwieriger. Die Utopie ist lange schon bekannt, vielfach ausgemalt. Während aber die schöne Literatur sich in der Fantasie realisiert, sollen die kritischen Texte sich material realisieren. Der Energiebedarf dafür ist nicht zu vergleichen mit demjenigen, den das virtuelle Denken des Vorstellungsvermögens gerade mal benötigt. Und hauptsächlich benötigt die materiale Revolution den Mut einer großen Zahl wenn nicht der Mehrheit zu einer irreversiblen Veränderung, deren Folgen kaum abschätzbar sind. So kennen wir bisher nur die mehr oder weniger erfolgreichen Revolutionsversuche der Klarsichtigsten und Verzweifeltsten, da, wo nichts anderes mehr geht.
In der Situation sind wir nicht bzw nur die Wenigsten. Das Richtige ist schon bekannt oder kann gewußt werden, aber es gibt zu viel zu verlieren und das gegenseitige Mißtrauen ist zu groß. Es ist der Mangel an gemeinsamem solidarischen Willen zur Veränderung in der Bevölkerung, der bei der Linken zu Ersatzhandlungen und -zielsetzungen führt, zu im Bestehenden formulierbaren Luxusproblemen, die die Radikalität in Randbereiche verschieben, die die Herrschenden ignorieren können, weil sie orthogonal zu ihren Interessen stehen.
Daß „die Linke partout keine Antwort finden will“, würde ich daher nicht sagen. Im Grunde weiß sie, was sie kommunizieren müßte, aber sie weiß nicht, wie sie das erfolgreich anstellen kann. Sie sieht sich der neoliberalen Herrschaft gegenüber und der reaktionären Reaktionsbildung darauf in Gestalt von „Rassismus, Populismus und Terrorismus“. Offensichtlich ist die Linke von diesem Zweifrontenmeinungskampf überfordert, wahrscheinlich hat Žižek recht, daß sie den Neoliberalismus nicht konsequent genug angehen kann, weil sie selbst dem liberalen Lager mit den gutbürgerlichen Lebenserwartungen entstammt, und von der Not der anderen Seite mit ihrer kopflosen Reaktionsbildung nur angewidert ist. Die Linke steht quer zu den beiden Lagern des Neoliberalismus und der autoritären Weltvereinfachung, sie muß sich diesem falschen Entweder-Oder entziehen und eine andere Liberalität und eine andere einfach lebbare Lösung gegen das monströse Chaos der Moderne zeigen.
Das erfordert ein gründlicheres Nachdenken als bisher. So einfach, wie es sich der optimistische Antipode Badiou vorstellt, der freilich auf eine größere Widerstandserfahrung im südeuropäischen Raum zurückgreifen kann, so einfach dürfte es im größeren Teil der westlichen Staatenwelt nicht zu bewerkstelligen sein. Der geschichtliche Wandel kommt, es ist jedoch noch unklar, ob die Linke darauf wesentlichen Einfluß nehmen kann mit einem mächtigen politisierten Subjekt.
"auch der kapitalismus wird nicht ewig leben." stimmt, aber nur, wenn wir uns beeilen, bevor es technisch möglich wird, ihn genetisch festzuschreiben. eine sich selbst zerlegende linke, die meint, sich gegenseitig das linkssein erklären zu müssen, wird nichts dagegen ausrichten.
Zizek hat recht , wenn er sagt , dass die etablierte Linke das System nicht ändern will, zumindest wenn man davon ausgeht, dass sie es nicht mehr will, denn sie haben längst den Faden, bzw. ihre Wurzeln ( von 1848 und folgende...) nicht nur verloren , sondern radikal verleugnet. Der Liberalismus als Zweischritte-Reform - erst die Regierung(en) übernehmen , dann das Sysstem ändern - ist historisch gescheitert. Und das sehen natürlich alle , auch wenn viele es ungern eingestehen würden. Was bleibt sind opportune Jasager im linken Kostüm... also Nichtlinke mit diversen Einbildungen und bequemen Bezügen. Den Rest besorgt der hegemoniale Brainwash ...
Klar wird der Kapitalismus untergehen - auch das römische Imperium ist gefallen, wir sind mitten drin in der chaotischen Auflösungsphase ... aber auch das will kaum einer sehen, zu sehr ist man im ideologischen Abstraktum versackt , kann das Gewollt nicht mehr vom Gemachten unterscheiden.
Und Zizek hat nicht recht, denn von welchen/r Linken spricht Zizek dann also und überhaupt ? .... genausowenig recht wie Hegel, denn der Kapitalismus ist nicht reformfähig, nie gewesen, auch nicht durch republikanische Werte, die man als Kapitalist doch als Semtimentalität abtun muss. Echte Linke wissen das alles. Das Dogma des Kapitalismus, die unendlichen Kapitalakkumulation ist ein Entweder-Oder Ding, was man akzeptiert oder eben nicht, radikal ablehnt und verhindert oder nicht. Er passt, wenn akzeptiert, in jeden nur denkbaren Rahmen - von der Diktature über Sozialismus udn Pseudodemokratie bis zur Anarchie. Wo soll da eine Refom wirken? Von welchen Linken spricht Zizek also? Von der alten Linken, die sich und alle anderen verraten hat?
Wenn gedeckelter Kapitalismus ein Weg wäre, hätten wir ihn längst. Aber Kapitalakkumulation ist Machtakkumulation ... und in einer Gesellschaft in der Macht und/oder Kapital ungleich verteilt wird/werden, wird auch alles andere ungleich verteilt werden. Da braucht man nicht Zyniker sein, um das sehen zu können, nur Realist. Eine Demokratie ist also im Kapitalismus nicht möglich. Demokratie ist deswegen seit Aristoteles so unbeliebt bei Herrschenden , weil sie egalitär ist. Wem sag ich das? Was dann ideologisch und philosophisch daraus gemacht worden ist bis hin zur behaupteten quasi rein nominalen Demokratie haben wir zum Teil auch dem Konformisten und preußisch-staatstreuen Denker Hegel (ein bekennender Fan Napoleons) zu verdanken.
Obwohl ich Zizek in seiner Direktheit schätze und viel von ihm gelernt habe, bleibe also doch lieber bei Badiou in diesem Fall. Ein sich auflösender Kapitalismus wird in letzter Konsequenz an einer "Lapalie" zugrunde gehen. Das jetzt schon sehr sichtbare Auflösungsszenarion wird sich verstärken und so wie ein stabileer Kapitalismus jede "Revolution" und Größeres assimilieren, nutzen und verarbeiten konnt, so wird der instabile, wehrlose durch einen "Lufthauch" aus der Geschichte verschwinden. Dieser gesellschaftsrelevante Lufthauch wird , wie sollte es anders sein, eine Bagattelle sein , ausgelöst von einer kleinen Gruppe Menschen, von einem Sack Reis, der in China umfällt, wenn man so will .... aber nicht von einer eingebildeten "Linken" , die sich längst zum Büttel des Kapitals gemacht hat.
Sollte es auch echte Linke geben ? Und wenn, gegen wen oder besser was kämpfen die eigentlich? Es ist die irreale Gewissheit des Kaptalismus, gegen die man kämpft. Sie alleine ist das Ende jeder Ethik und jeder Humanität. Es sind also nicht Menschen oder Personen der "Feind", sondern unser Denken. Mit dem Kapitalismus wird also auch eine Form des Denkens untergehen. Wir werden Hegel unter ferner liefen abhaken und auch von Marx und ..... Zizek werden wir nicht mehr viel gebrauchen können. Das nächsts "System" wird in sofern garantiert anders , als es eben noch nicht gedacht ist ... und es kann auch nicht antizipiert werden, da hat Zizek wieder recht, wenn er Marx widerspricht. Wir brauchen keine "richtige" Analyse des Kapitalismus mehr, der zeigt sowieso allen die Augen und ein Gehirn haben sein Gesicht jeden Tag aufs deutlichste , weil es nicht anders mehr gibt als ihn und seine Phänomene. Allerdings nicht mehr lange.
denkzone8: "2 bücher pro jahr? [...] wo vor-denkertum ein abo-publikum hat, ists ein klacks."
Von dem Artikel habe ich mich verleiten lassen, das Buch im Urlaub zu Lesen. Und mich geärgert über die verplemperte Zeit mit in Buchdeckel gepresstem Geplauder. Für Talkshows angesichts der Vorliebe für kräftige Adjektive vielleicht passend, aber von einem Buch eines "Vordenkers" hätte ich mehr Substanz erwartet.
Zwei typische Beipiele:
1) auf p. 18 meint er, Trumps verfolge das Ziel eines "perversen Friedens mit Russland". Keine Erläuterung von Zizek, was er mit "pervers" meint. Darüber will ich auch nicht spekulieren. Meine Kritik ist, dass diese Wertung ohne genaure Spezifikation völlig sinnfrei ist. Und auf welcher Basis er die "Ziele" Trumpscher Politik abgeleitet haben will, wird auch nicht klar.
2) auf p. 45 schreibt Zizek: "Im Kapitlismus kann man nicht einfach das schmutzige Badewasser der Finanzspekulation ausschütten und das gesunde Kind der Realwirtschaft behalten, denn das schmutzige Wasser ist im Grunde das Blut des gesunden Kindes." Wieder keine Erläuterung dazu, so dass die im Bild verhaftete Begründung faktenfrei bleibt.
Zufällig hatte ich gerade vorher von Schulmeister "Der Weg zur Prosperität" gelesen, der sich mit Punkt 2) ausführlich und extrem kenntnisreich beschäftigt. Fairerweise muss man sagen, dass hinter Schulmeisters Buch ein Lebenswerk und eigene Forschung steht, aber der Unterschied im Niveau war zu drastisch, als dass ich Zizeks Buch irgend etwas Merkenswertes abgewinnen konnte.
danke für die rückmeldung über die beiden lektüren.