Bunter rauschen

Theorie Slavoj Žižek zweifelt, ob die Campus- und Macchiato-Linke wirklich was ändern will. Stimmt’s?
Ausgabe 23/2018
Nun sagt, wie habt ihr's mit dem Systemwechsel?
Nun sagt, wie habt ihr's mit dem Systemwechsel?

Foto: Ipon/Imago

Slavoj Žižek, der wohl umtriebigste Hegelianer seit einem gewissen Trierer Bartträger, der Hegel vom Kopf auf die Füße stellen wollte, hat ein neues Buch veröffentlicht. Wer zynisch ist, was ich freilich nicht bin, ich bin schließlich jung und leidlich privilegiert, würde sagen, dass Žižek auch deswegen (gefühlt) pro Jahr zwei Bücher schreiben kann, weil er seit 30 Jahren ein und dasselbe Buch schreibt. Wie gesagt, ich bin nicht zynisch. Reizvoll freilich ist schon der Titel des aktuellen Buches, denn Der Mut der Hoffnungslosigkeit fasst das Gefühl der globalen Linken seit der Wahl Donald Trumps, diesem magenumdrehenden Epochenwendedatum, zusammen.

Das Buch seziert die Schwächen der globalen Linken, die partout keine Antwort finden will auf die Herausforderungen von Rassismus, Populismus und Terrorismus, weil sie sich in eine gemütliche, sichere Welt auf Uni-Campussen und den Safe Spaces urbaner Kieze zurückgezogen hat, um über Gendertoiletten zu debattieren und LGBTQQIAAP-Buchstabierwettbewerbe abzuhalten. So weit, so wenig originell. Bevor nun jemand schreit, dass es sich bei dieser Aussage um üblen „Whataboutism“ handelt, sei das Žižek’sche Argument etwas ausführlicher dargestellt: Es geht ihm nicht darum, das Sprechen über Transsexuelle, Homophobie oder Sexismus als zu vernachlässigendes Thema abzuweisen, das abgearbeitet werden kann, wenn die wirklich wichtigen Probleme behoben sind. Vielmehr hegt er den Verdacht, dass das sprachpolizeiliche Einschreiten gegen inkorrekte Rede sowie das zwanghafte Reden über prekäre Identitäten und Subjekte – white noise im doppelten Wortsinne – ein willkommenes Dauerrauschen erzeugen, das das Stellen der wirklich wichtigen Fragen verhindern soll. Beispielsweise: Ist das grundverkommene System des globalen Kapitalismus überhaupt reformfähig?

Der Vorwurf Žižeks, der vermutlich direkt ins Schwarze – oder besser: ins weiße Herz – trifft: Die westlichen Linksliberalen wollen gar keine grundlegenden Veränderungen des Systems, von dem sie so entscheidend profitieren; lediglich kosmetische Verbesserungen, die den Status quo unangetastet lassen, seien das Ziel. Überall dort, wo die Linke radikal wird – nehmen wir nur Syriza in Griechenland –, erschrickt sie schließlich vor der eigenen Courage, die das System tatsächlich ins Wanken bringen könnte. Die Suche nach einem „Projekt, das den Teufelskreis aus EU-Technokratie und nationalistischem Populismus durchbrechen kann“, um nur ein drängendes Problem der Gegenwart zu nennen, wird von der europäischen Linken deswegen leider verschlafen. „Es ist schon atemberaubend, wie sie keine Gelegenheit auslässt, eine Gelegenheit zu verpassen ...“

Hart nachdenken

Žižek klingt hier gewohnt zynisch. Das macht ihn zum nüchternen Antipoden Alain Badious, des anderen Popstars unter den Philosophen. Der sprach übrigens vor zwei Monaten in Dresden vor sozialismuserprobtem und daher eher kritischem Publikum, das, bei aller Zuneigung für den „gefährlichsten Philosophen der Welt“, nicht ganz folgen wollte. Badiou nämlich setzt alle Hoffnungen auf das nomadische Proletariat. Dieses – vom marokkanischen Wirtschaftsflüchtling bis zum chinesischen Wanderarbeiter – soll sich gemäß Badious Vision mit unterbeschäftigten westlichen Arbeitern zu einem globalen Proletariat vereinigen, auf dass sie fröhlich den kommunistischen Widerstand proben. Der vereinigte Weltgeist in Arbeiterstiefeln? Pardon, Monsieur, da möchte man Zweifel hege(l)n.

Badious frankokommunistischer Chanson, im Kavalierbariton vorgetragen, lullte herrlich ein. Žižek dagegen ist, nicht nur wegen seines charmanten Lispelns, das philosophische Äquivalent zu einer kalten Dusche: Nachdenken müsse die Linke, viel mehr als bisher. Der elften und berühmtesten Marx’schen These zu Feuerbach widerspricht er: Vor der Veränderung der Welt sollten wir uns ruhig noch sorgfältiger ihrer (richtigen) Interpretation widmen. Und Alternativen denken. Andere Systeme sind untergegangen. Auch der Kapitalismus wird nicht ewig leben.

Info

Der Mut der Hoffnungslosigkeit Slavoj Žižek Frank Born (Übers.), S. Fischer 2018, 448 S., 20 €

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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