Einer der großen Vorteile des Bachelor-Master-Systems besteht darin, dass es Studierenden erlaubt, zwischen beiden Abschlüssen Berufserfahrung zu sammeln. Wenn sie denn wollen. Ich wollte eigentlich nicht, rutschte nach meinem Bachelor aber gewissermaßen zufällig in einen Vollzeitjob, der mich für einige Jahre von meiner wahren Mission abhielt: dem Master-Abschluss.
Als ich dann schließlich an die Uni zurückkehrte, ereilte mich gewissermaßen ein Altersschock. Akademische Fast-Track-Karrieren hatten mir nicht nur junge, hochmotivierte Dozenten in die Seminare gespült; Turboabitur und früherer Einschulung sei Dank saß ich plötzlich neben Studierenden, die ihr Abitur mit 17 gemacht hatten und nun mit blutjungen 20 ihr Masterstudium antraten. Ein Traum vermutlich für Wirtschaftsvertreter, wäre da nicht der Haken, dass wir Kultur- und Medienwissenschaftler keinen begehrten Abschluss in BWL- oder MINT-Fächern aufweisen können. „Wer sein Studium schneller abschließt, ist auch nur früher arbeitslos“, meinte ein zynischer Kommilitone neulich zu mir.
Ganz so schlimm muss es nicht kommen! Und trotzdem macht sich das Jahrzehnt Altersunterschied zu den jüngsten Studierenden, auf das ich es (Himmelherrgott noch mal) inzwischen bringe, durchaus auf akademischer Ebene bemerkbar. Ich war ja auch mal jung und erinnere mich an die Anfangszeit im Studium. Akademischer Ernst tritt da im Verhältnis zu den vielfältigen Ablenkungen durch Erstsemesterpartys und einem nunmehr unkontrollierten Alkoholkonsum in den Hintergrund. Das Problem schrumpft auch nicht, wenn die Studierenden gerade so der Pubertät entwachsen sind.
Klagen manche Professoren noch über die Verschulung des Studiums, steht die Sache eigentlich viel schlimmer: Einige Studenten bräuchten noch einen Kindergarten. Gruppenvorträge geraten rasch zu Kicherorgien, gefolgt von pubertärem Dauergrinsen. Stritt sich eine ganze studentische Generation vor 50 Jahren über die korrekte Marx-Exegese und blätterte sich an Gramsci und Marcuse die Finger wund, scrollen Studierende heute durch Snapchat-Storys, weil sie so jung sind, dass für sie sogar Facebook over ist.
Seneca-Gemecker
Nun könnte man einwenden, dass bereits Seneca über die Jugend schimpfte, dass es sich also um einen 2.000 Jahre alten Topos handelt, um ein übles Klischee, nur steckt selbst in denen stets ein Fünkchen Wahrheit. Jedenfalls erscheint heute eine durch und durch politisierte, umstürzlerische Studentenschaft undenkbar. Zu sehr ist sie wahlweise mit akademischen Blitzlaufbahnen oder seinsvergessenem Mittagsschläfchen in der Vorlesung beschäftigt. Das ist umso tragischer, als es nie eine Zeit gab, in der die Studentenschaft, was ihre Sozialstruktur anbelangt, homogener war als heute. Hier bestünde also tatsächlich viel Potenzial für Klassenbewusstsein, nur wäre es das Bewusstsein der falschen Klasse. Politischen Lippenbekenntnissen zum Trotz ist die Zahl der Studierenden aus bildungsfernen Elternhäusern nämlich auf einem Rekordtief.
Gemäß der 21. Sozialerhebung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) aus dem Jahr 2016 liegt die Zahl der Studierenden aus Elternhäusern mit niedriger Bildungsherkunft bei gerade einmal 12 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1991 lag der Anteil bei 21 Prozent. Auch die Zahl der Studenten mit mittlerem Bildungshintergrund ging im selben Zeitraum um sieben Prozentpunkte zurück. Was die Altersstruktur der Studierenden anbelangt, erhärtet sich tatsächlich mein subjektiver Eindruck: Studenten und Absolventen sind im Schnitt erheblich jünger als vor einem Jahrzehnt.
Waren Absolventen im Jahr 2003 noch durchschnittlich 27,9 Jahre alt, sank der Altersschnitt im Jahr 2016 auf 24,1 Jahre. Bildungsbürgerlich und blutjung – so wird das nichts mit der Revolte!
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.