Kleiderordnung an Schulen: Wir waren doch selbst nicht besser angezogen

Meinung Die Eltern haben den Kindern altbekannte Formen der rebellischen Mode genommen. Da hilft nur der Griff zu Leggings und Jogginghose. Also: Lasst die Jugend chillen, bitte
Der Inbegriff des Chics
Der Inbegriff des Chics

Foto: Imago/Wirestock

Damals, als ich noch jung war. Wir hätten ja nicht. Also, wir wussten noch. Man hüte sich vor der Nostalgie der Midlife-Crisis. Ist eh klar, dass wir die letzte vernünftige Generation auf diesem Planeten waren, danach ging’s steil bergab. Man schaue sich nur mal die Kiddos von heute an: Gehen in Schlabberleggings (sie) und Trainingshosen (er) in die Schule. Keine Würde, keinen Anstand. Was sollen die Nachbarn sagen? Und die Rektoren?

Zeit für eine Intervention. So forderte die Vorsitzende des Bundeselternrates, Schulen müssten einen Konsens über angemessene Kleidung herstellen. Schluss mit zerschlissenen Klamotten, Baggy Pants und Bauchfrei-Looks! Nun bin ich schwer dafür, unsere Kinder in Konsensfragen zu schulen; aber erstaunt bin ich doch, dass es ausgerechnet meine Generation ist, die der Jugend von heute in Kleidungsfragen den Weg weisen möchte. Wer nie super tief geschnittene Bootcut-Jeans, bauchfreie Paillettentops und Jeansminiröckchen in der Schule trug, der werfe heute den ersten Stein!

Obendrein möchte man die Muttis, die da jetzt im Bundeselternrat gegen die Moden der Jugend Sturm laufen, daran erinnern, dass es jedenfalls nicht ihre Töchter waren, die vor zehn Jahren bügelweise „Jeggings“ bei H&M und Zara shoppten, weil die Mutti-Jeans nicht mehr so gut saß und so eine Leggings hier und da Vorteile hat. Wir sind doch selbst schuld, wenn wir Converse und Dr. Martens zu unseren Lieblingsschuhen erkoren haben (alles so schön grungy, ne?). Was, bitte schön, bleibt den Teens da noch?

Jogginghosen sind der Inbegriff des Chics

Zugegeben, ich sehne mich schon zurück zu den Popper-und-Punk-Tagen, als die einen preppy und die anderen messy, die Rollen also klar verteilt waren. Die Goth Punk-Girls von heute hören verwirrenderweise Techno und die langhaarigen Boys halten Temple of the Dog für einen Hundewaschsalon. Kurz: Ich verstehe die Jugend von heute nicht mehr, was so ziemlich genau die Rollenbeschreibung für meine Generation ist. Aber man muss es von der guten Seite sehen!

Es gibt Menschen, die befürchten, die jüngste Generation sei gendergaga, aber bei den Kids ist geschlechtertechnisch alles im Lot: Die Mädchen machen sich hübsch, die Babos chillen, was wollt ihr noch? Jogginghosen sind der Inbegriff des Chics für junge Männer, die vor lauter Männlichkeitsaufwallung und allgemeiner Breitbeinigkeit nicht wissen, wie sie die Glieder würdig zusammenpressen sollen. Zumal die Seitenstreifen an den Joggers das Bein optisch so nice strecken. Da klappt’s auch mit den Mädchen, die im kritischen Alter – dreizehn bis vierzehn – ja meist einen Kopf größer sind als die Jungs.

Die Sitten können auch gar nicht mehr verfallen, weil wir, meine lieben Damen, die Latte unserer Tage doch recht niedrig gelegt haben. Etwa als wir uns mit sechzehn das zarte Bauchnäbelchen piercen ließen, um den Glitzerklunker dem verschreckten Lehrpersonal vorzeigen zu können. So saßen wir da, die Bauchfalte wund, aber das Ego befriedigt. Ich kombinierte das Ganze mit einem Bandana und Aufmal-Tattoos. Kaum zu glauben, aber wahr: Meine Geolehrerein schickte mich jener Tage aus dem Unterricht, weil ich das Kopftuch nicht abnehmen wollte. Zeiten waren das!

Womöglich müssen wir aber auch auf das größere Ganze blicken. Kündigte sich die neue, von Arbeitgebervertretern landauf, landab beklagte Arbeitsscheu der jungen Generation, die – Why? Why?? – Lebenszeit genießen möchte, nicht in dem seit Jahren anhaltenden Trend zu Leger-und-Lässig-Looks im Unterricht an? Dann wäre der Versuch, die Jugend von heute klamottentechnisch auf Spur zu bringen, noch reaktionärer als gedacht. Ob aus den Teenies von heute mit ihrer Schludrigkeit noch gesittete Arbeitnehmer von morgen werden? Nee, bestimmt nicht. Ist wohl besser so.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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