Schönes Wesen und gequälter Körper

Gewalt im Bild Der mediale Umgang mit Bildern Getöteter ist eine schwierige Gratwanderung. Das Beispiel der getöteten Kurdin Kevser Eltürk zeigt, was wir lieber nicht sehen wollen

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Schönes Wesen und gequälter Körper

"Illustration": der Freitag

In der letzten Woche stellte Die Zeit die Frage, wie eine Zeitung mit den alltäglichen Schreckensbildern dieser Welt umgehen sollte: mit den ertrunkenen Kindern, den IS-Opfern und all den anderen Toten in ungezählten Konflikten. Sollte man die Bilder zeigen, um wachzurütteln? Oder sollte man sie lieber doch verbergen, weil sie verstören? Auf einer Druckseite versammelte die Zeit drei Texte und drei sehr unterschiedliche Bilder, die Antworten auf diese Fragen geben sollten.

Man entschied sich dagegen, das Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Ailan abzudrucken. Denn die Abbildung spiele einem pietätlosen Leidensspektakel in die Hände. Auf der linken Zeitungsseite sieht der Leser daher ein schwarzes Rechteck, das die Abwesenheit des Bildes repräsentiert (und in Anspielung auf Malewitschs Schwarzes Quadrat auch einen Nullpunkt markiert, oder vielmehr: einen Wendepunkt in der Betrachtung von Flüchtlingen und ihrem sinnlosen Sterben).

Die rechte Zeitungsseite dagegen zeigt ein Bild von getöteten afrikanischen Bürgerkriegsopfern in Bangui. Der Fotograf hält ein leidenschaftliches Plädoyer für das Abbilden solcher Schreckbilder. Weil er sich hierdurch Aufmerksamkeit für einen bis dato praktisch unbeachteten Konflikt erhofft.

Im Zentrum der Zeitungsseite steht ein Text von Evelyn Finger, darüber ein Bild der getöteten Kurdin und PKK-Kommandeurin Kevser Eltürk, die durch türkische Einheiten ermordet und anschließend durch die Straßen der Stadt Varto geschliffen wurde.

Die Zeit zeigt aber nicht das ganze Bild. Eine Diagonale teilt das Bildrechteck in zwei gleichgroße Dreiecke. Das linke obere Dreieck ist sichtbar. Wir sehen den Kopf einer Frau, ihre nackte Schulter, einen Teil ihres nackten Arms und ihr dunkles Haar. Ihre Liegeposition erinnert an die des Jungen Ailan. Beide ruhen auf ihrem Gesicht. Man sieht, dass sich in dem Bild wohl zwei weitere Gestalten befinden, man erkennt deren Arme und Beine. Das zweite Dreieck ist schwarz. Evelyn Finger beschreibt dem Zeitungsleser, was nicht zu sehen ist: Das Blut, das von den Hüften der Getöteten rinnt, ihre seltsam verdrehten Beine. Die deutlichen Spuren der Leichenschändung.

Warum man das Bild beschnitten hat, ist offenkundig: Man hatte wohl die begründete Sorge, das komplette Bild würde den Leser verstören. Der Effekt des zensierten Bildes ist aber nicht weniger irritierend.

Wessen Würde wollen wir schützen?

Interessant ist zunächst die offenbarte Würde- und Opferhierarchie: Die Leichen von Schwarzafrikanern werden gezeigt. Der kleine Flüchtlingsjunge aber wird vor unseren Blicken verborgen. Die tote Frau dagegen wird nur zur Hälfte gezeigt. Sie nimmt also eine Zwischenstellung ein, zwischen den getöteten Afrikanern, deren Würde wir am schnellsten zu opfern bereit sind, und der Würde des zarten Kindes, das am ehesten an universale Gefühle der Menschlichkeit rührt, und uns so am meisten zur Anteilnahme zwingt. Und dessen Würde wir für unantastbar halten. Dass sich die Würde der Frau dagegen offenkundig auf Höhe ihres Bauchnabels aufspaltet, ist vielsagend.

Warum zeigt man dieses Bild überhaupt? Evelyn Finger plädiert in ihrem Text ausdrücklich dafür, das Leiden zu zeigen, um Mitleid beim Betrachter zu erregen. Nur so würde das Schicksal der getöteten Kurdin, stellvertretend für das vieler anderer Frauen, in unser Bewusstsein treten. Aber warum dann nur das halbe Leid? Reicht das halbe Bild, um die ganze Wahrheit zu sagen? Was verbirgt man tatsächlich vor dem Betrachter? Und: Ist eine halbe tote Frau weniger verstörend als eine ganze?

Es drängt sich der Verdacht auf, dass es hier um mehr geht, als darum, dem Leser das Blut zu ersparen.

Natürlich grenzte es an eine furchtbare Form der Gewaltpornografie, den nackten Leib der Toten mit den gespreizten Beinen und den blutverschmierten Hüften zu zeigen. Fürchtet man, dass der Anblick der entkleideten Toten obszöne sexuelle Fantasien entfesseln könnte? Ist also selbst der leblose Frauenkörper noch Fetisch, Lustobjekt?

„Alle Bilder, die die Verletzung eines anziehend wirkenden Körpers darstellen, sind bis zu einem gewissen Grade pornographisch.“

(Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten)

Aber gerade weil der andere Bildteil fehlt, wird die pornografische Schaulust des Betrachters befeuert. Denn das beschnittene Bild erzeugt eine Art Schlüsselloch-Effekt. Wir können nicht den gesamten Körper der Toten sehen, und so muss unsere Fantasie den Rest ergänzen. Sie ist förmlich dazu gezwungen. Das schwarze Bilddreieck ist eine Leerstelle par excellence, die durch unser Gehirn fortwährend mit Inhalt gefüllt werden muss.

Der voyeuristische Blick

So macht das schwarze Dreieck unsere voyeuristische Schaulust sichtbar, obwohl es die Männer, die die Tote umstehen und sie betrachten, unsichtbar macht. Der männliche Blick wurde aus dem Bild entfernt und bleibt zugleich durch das Fehlende darin repräsentiert. Man ahnt, dass die Blicke der im Bild anwesenden Männer den toten Körper so abtasten, wie wir es in unserer Fantasie tun.

Das Bild der Getöteten erinnert – etwas verstörend auch das – an eine Fotografie Peter Gormans. Nicht nur, weil die Frau in Gormans Bild der Getöteten ähnelt und in derselben Lage auf ihrer Matratze liegt. Auch weil der voyeuristische Blick als male gaze im Bild so präsent ist. Der "male gaze" ist ein Ausdruck aus der Film- und Kunstwissenschaft und bezeichnet einen spezifisch männlichen Blickwinkel; er kann die Art der Kameraführung ebenso betreffen, wie die Art der Inszenierung der Personen oder die Form, in der ein Betrachter ein Bild wahrnimmt. Bei Gorman wird lediglich explizit gezeigt, was das andere Bild ausspart oder auszusparen sucht: Voyeurismus.

Das zensierte Frauenbild

In der vorgenommenen Bildspaltung der Zeit-Ausgabe offenbart sich auch der gespaltene Blick auf die Frau – als Mensch, der leidet und stirbt, und als weiblicher Körper, der potenziell Fantasien auslöst und deren Nacktheit selbst im Tod ein Skandalon ist.

Im Kern handelt es sich bei dieser Form der Bildzensur sogar um einen Akt des Ikonoklasmus. Weil man dem unzensierten Bild ein fatales, die Fantasie befeuerndes Eigenleben zuschreibt, treibt man es ihm durch die Beschneidung aus. So erfährt das Bild die gleiche Verstümmelung wie die Frau.

Das wirkt zugleich der Intention der Abbildung diametral entgegen. Der von Evelyn Finger erhoffte Effekt von phóbos und eléos bleibt aus. Sie sehen es an diesem Text. Ich schreibe ja nicht die Geschichte dieser kurdischen Frau auf. Ich schreibe über den feigen Betrachter, der Angst vor seiner eigenen Fantasie hat. Das Leid bleibt so letztlich unsichtbar.

Schlimmer noch: Weil der Bildschnitt und die dadurch erzeugte Leerstelle Mittel der Kunst und Ästhetik sind, vollzieht sich im geteilten Bild eine Ästhetisierung des Leids, die der Rohheit des Originals entgegenwirkt.

Objekt der Gewalt

Indem man versucht, jenen Teil von Kevser Eltürk Körpers, der sie eindeutig als Frau identifiziert und die Spuren ihrer Verletzung trägt, vor den Augen des Spektators zu verbergen, wird der Grund des Gewaltaktes ebenso aus dem Bewusstsein geschnitten wie der Gewaltakt selbst.

Das ist deswegen hoch problematisch, weil anzunehmen ist, dass die spezifische Form der Bestrafung und Entwürdigung der Toten deshalb erfolgte, weil sie eine Frau war. Es ist auch und vor allem der Frauenkörper, der hier durch die grausame Gewalt und Leichenschändung bestraft wird. Der Körper einer Frau, die es wagte, sich dem türkischen Staat entgegenzustellen. Es handelt sich ganz buchstäblich um eine Vergewaltigung, deren Auftraggeber und Regisseur der türkische Staat ist.

Die ehemalige Kommandantin wurde ihrer Uniform, die den Körper verhüllt und damit Geschlechtsunterschiede nivelliert, entkleidet. Nun ist sie Frau: nackt und zerbrechlich. Wer behauptet, es ginge bei der Bildzensur darum, die Würde des Opfers zu schützen, vergisst, dass ihr die Würde bereits mit ihrer Uniform (Männlichkeit pur!) genommen wurde.

Im Grunde vernebelt die Zensur des Bildes nur die erschütternde Realität: Dass Frauen in Kriegs- und Krisengebieten (und darüber hinaus!) besonderen Formen der Gewalt ausgesetzt sind, die systematisch als Waffe gegen sie eingesetzt werden und häufig genug sexueller Natur sind, was uns aber ziemlich kalt lässt, obgleich es Teil unserer eigenen Geschichte ist. Und dass es sich hier um einen NATO-Verbündeten handelt, der eine grausame und archaische Bestrafung einer Frau medienwirksam inszeniert und damit ein deutliches Signal an die Frauen im eigenen Land sendet, wir aber zu feige sind, das aufs Schärfste zu verurteilen. Uns sogar weigern, das auch nur in den Blick zu nehmen.

Das zerteilte Bild illustriert, dass die Frau in unserer kulturellen Wahrnehmung gerade kein Individuum ist (dem Wortsinne nach also „unteilbar“). Sie ist sehr wohl teilbar, wird konstant aufgespaltet, von Blicken in die Mangel genommen und, falls ihre erotische Wirkung unkontrollierbar erscheint, beschnitten. Sogar nach ihrem Tod zergliedert man sie noch. In schönes Wesen und gequälten Körper.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

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Marlen Hobrack

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