Es braucht nur ein „Ich will“ für ein echtes Dreamteam! Die Rede ist von der Hymne für das deutsche Paralympics-Team, für die Rammstein, die sozusagen notorisch provokante Band, mit Ich will einen ihrer berühmtesten Tracks beisteuert.
Man muss nur kurz die Spots für das Paralympics-Olympiateam ansehen, um zu verstehen, warum Ich will wie gemacht dafür ist: Es ist ein pathosgeladener Soundtrack, dazu die unaufgeregten O-Töne der Sportler:innen, die aber von großen Ambitionen erzählen, zum Beispiel Rennrollstuhlfahrer Alhassane Baldé: „Wenn ich dann ins Finale komme, will ich das Rennen meines Lebens fahren.“ Inszeniert wird hier nicht nur der Kampf gegen Kontrahenten; ein Selbstverständnis kommt hier zum Ausdruck: Die Paralympics, das sind Weltklassespiele, noch Fragen?
Rammstein-Songs mögen auf unbedarfte Zuhörer wie eine teutonische Version konkreter Poesie wirken. Aber die Stärke von Rammstein-Songs bestand immer darin, dass sie in ihrer radikalen Reduktion auf Zweiwortsätze im Refrain von überraschend feinsinnigen Sprachbildern bis hin zu Kippmomenten all das zu beinhalten, was ein guter Song eben bietet. Immerzu muss man sich fragen, ob der Song wirklich so platt gemeint ist, wie er erscheint, ob er superkomplex ist oder Komplexität nur vortäuscht. Dementsprechend waren Rammstein seit ihrem Video zur Depeche-Mode-Coverversion Let me see you stripped des Feuilletons Lieblingsband, wenn es um hermeneutische Grenzerfahrungen ging.
Die Frage lautete nie, ob Rammstein politisch seien. Die Frage war eher, ob sie im schlechten Sinne zu politisch wären. Immer lebte der Ruhm Rammsteins vom Spiel mit Provokationen –mit Mitteln der Sprache, vor allem der Bilder (Pornosequenzen, Fat Suits, ein audiovisueller Abriss der deutschen Kolonialismusgeschichte). Beinahe überraschend mutet es an, dass sich Rammstein zuletzt bei einem Polen-Gig mithilfe einer Regenbogenflagge eindeutig politisch bekannten. Dass Ich will nun Teil der paralympischen Medienkampagne ist, stellt sozusagen einen weiteren Schritt in Richtung Political Correctness dar – allerdings Rammstein-typisch wiederum mehrdeutig.
So folgt im Song auf das achtmal wiederholte „Ich will“ unter kontrapunktischem Synthi-Gedudel ein demagogisch anmutendes „Ich will, dass ihr mir vertraut“. Zum Schluss des Songs geht das lyrische Ich vom Sprechen in der ersten Person Singular zum Plural über, nur um ein kollektives Gegenüber zu adressieren – und das Kollektiv antwortet: „Könnt ihr uns hören? (Wir hören euch) / Könnt ihr uns sehen? (Wir sehen euch)“. Dieses Kippmoment unterstreicht die Verwandlung des Sportler-Ichs in den Träger kollektiver Ambitionen, was beispielsweise im Fußball nie unproblematisch ist, weil sich die beschworene nationale Identität gerne gewalttätig austobt. Beim Paralympics-Team wirkt diese Beschwörung dagegen unverfänglich. Tatsächlich verwandelt sich das „Seht ihr mich? /Versteht ihr mich? / Fühlt ihr mich? / Hört ihr mich?“ unversehens in einen Ruf nach identitätspolitischer Anerkennung von Menschen „mit Handicap“ an solche, die „able-bodied“ sind.
„Dabeisein ist nicht alles“, heißt es in einem der Videos zum anschwellenden Sound von Gitarren vor einem Synthi-Streicher-Klangteppich. Die Kampagnen-Videos zeigen vermeintliche Trosturkundenempfänger als Profisportler mit Kampfgeist und unbedingtem Siegeswillen. Rammstein liefern den perfekten Soundtrack dafür.
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