Unter den Teppich kehren

Islamophobie Die Dresdner Farce um die Installation der Künstlerin Nezaket Ekici zeigt, wie schwer sich die Stadt im Umgang mit Islamfeindlichkeit tut.

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Die Installation "Post it" von Nezaket Ekici
Die Installation "Post it" von Nezaket Ekici

Foto: Marlen Hobrack

Vor dem Landgericht in Dresden kann man dieser Tage spannende Szenen beobachten. Vor dem Gebäude erwartet den Besucher die große Installation Post it der Künstlerin Nezaket Ekici. Zahlreiche „Orientteppiche“ an einem Metallgerüst bilden einen großen Flickenteppich und Vorhang, der das eigentliche Portal des Gerichtsgebäudes visuell umrahmt.

Die Installation, die zur Reflektion über das Verhältnis zum Islam einladen und zudem an die Ermordung der Ägypterin Marwa El-Sherbini in eben jenem Landgericht erinnern soll, war nur wenige Tage nach dem Aufbau in der Nacht von Sonntag auf Montag beschädigt und mit islamfeindlichen Parolen beschmiert worden.

Unter der Koordination von Polizeikräften baute die Feuerwehr am Dienstag eilig die Installation ab. Nun löscht die Feuerwehr für gewöhnlich Brände. Hier wohl sollte sie ein schlechtes Gewissen auslöschen. Oder Scham.

Die Künstlerin zeigte sich entsetzt. Nicht nur über den Vandalismus, sondern auch über den Abbau der Installation, die ohne eine Rücksprache mit ihr stattgefunden hatte. In dem Versuch, den Akt der Zerstörung rückgängig oder zumindest unsichtbar zu machen, hatte die Stadt das Kunstwerk zum zweiten Mal zerstört. Die Künstlerin forderte den Wiederaufbau und beschloss, die Spuren der Zerstörung dabei sichtbar zu lassen.

Aber was um alles in der Welt hat die Stadt zu ihrer Kurzschlussreaktion veranlasst? Man kann es sich nicht anders erklären: die Angst vor der Imagebeschädigung. Die Installation, die eine offene und positive Auseinandersetzung mit dem Islam symbolisieren und Dresdens schlechtes Image aufmöbeln sollte, hatte prompt das Gegenteil bewiesen.

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Die Dresdner Farce zeigt: Die Stadt wird das Etikett der Islam- und Ausländerfeindlichkeit so schnell nicht los. Dabei versucht sie seit Wochen, ihr Image aufzumöbeln. Auf den Monitoren in den Straßenbahnen und großflächigen Plakaten am Straßenrand liest man neuerdings launige Sprüche über gelungenes Miteinander von In- und Ausländern auf fragwürdigem lyrischem Niveau, „Mit Marit machen Lech und Gro / hier Wissenschaft auf Weltniveau!“

Lech und Gro werden das wohl nicht mehr lange tun. Der Rektor der TU Dresden, Prof. Hans Müller-Steinhagen, warnte erst kürzlich davor, dass Pegida und das – zumindest gefühlt – wachsende Ressentiment gegen Ausländer in Dresden zur Abwanderung von Spitzenforschern führen werde.

Vergangenheitsbewältigung

Nicht nur die Beschädigung des Portals, die mancher vielleicht als dummen Vandalismus abtun mag, wirft ein schlechtes Licht auf Dresden; auch der Umgang mit der Ermordung von Marwa El-Sherbini in Dresden erzeugt nach wie vor Unbehagen.

Die junge Frau, die sich mit einer Anzeige gegen islamfeindliche Beschimpfungen des Alex W. gewehrt hatte, war im Landgerichtssaal von demselben erstochen worden.

Marwa, ihr kleiner Sohn und ihr Mann waren übrigens nach Dresden gekommen, weil ihr Mann als Doktorand am Dresdner Max-Planck-Institut forschte.

Die Tat wurde zunächst als Handlung eines verwirrten Einzeltäters mit rassistischen Ressentiments behandelt. Fast schienen Dresdner wie Deutsche erleichtert darüber, dass der junge Mann seinerseits einen „Migrationshintergrund“ hatte – weil auf diese Art die deutsche Gesellschaft nicht eigene Ressentiments gegenüber Moslems hinterfragen musste. Die anti-islamischen Ressentiments des Alex W. deckten sich jedoch auf fatale Weise mit denen größerer Bevölkerungsteile, wie Pegida schließlich zeigen sollte.

Der Standard wies als eine der ersten Zeitungen auf die volle Dimension der Tat hin, die Dresden und Deutschland zu verdrängen suchten. Es ist auch kein Zufall, dass neben Vertretern der muslimischen Welt auch Stephan Kramer als Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland den ebenfalls angegriffenen Ehemann Marwas im Krankenhaus besuchte.

Die Medien- und Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer hat in einer umfangreichen Analyse der Berichterstattung über Marwas Tod noch einmal deutlich herausgearbeitet, dass es sich bei der Straftat nicht etwa um eine rassistisch, sondern um eine anti-islamisch motivierte Tat handelte, die jedoch in vielen Medien als „ausländerfeindliche“ Tat behandelt wurde. Sie unterstreicht, dass diese Unterscheidung maßgeblich sei, weil sie einen deutlichen Hinweis auf ein anti-islamisches Klima in Deutschland liefere.

Dieser Einschätzung folgte auch Wolfgang Donsbach, Professor für Kommunikationswissenschaften an der TU Dresden. Er sagte damals in einem Interview, dass dieser Fall für Dresden noch Nachwirkungen haben würde und dass die Stadt die Tragweite des Falles nicht erkannt habe – wie der Rest des Landes auch nicht. Und er behielt recht.

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Freitag, 31. Mai. Als ich aus der Bahn steige und die wenigen Schritte zu dem Post it Portal hinüberlaufe, begegne ich einer Gruppe junger arabischer Männer, die interessiert die Installation betrachten. Während ich meine Kamera auspacke, hält ein Fahrradfahrer vor dem Kunstwerk.

„Ey Künstler! Sag mir mal, was das hier zu bedeuten hat!“, ruft der junge Fahrradfahrer flapsig zu dem Mann, der gerade mit dem Wiederaufbau der Installation beschäftigt ist. Beinahe stoisch knüpft dieser Kabelbinder an die Teppiche und befestigt sie anschließend an dem Rohrgerüst.

Er verweist den Fahrradfahrer wortkarg auf einen kleinen A4-Zettel an der Rückseite der Installation. Dort findet sich ein halbseitiger Text, der einige Denkanstöße zur Betrachtung der Installation liefern soll.

Nicht nur der Fahrradfahrer, mein Sohn und ich drängeln sich nun um das winzige Blatt Papier. Immer mehr Passanten halten auf dem Weg zum Gerichtsgebäude oder der Haltestelle davor an. Sie tasten in ihren Jackett- und Handtaschen nach Lesebrillen, während sie versuchen, den winzigen Text zu entziffern. Man würde sich vielleicht einen lesefreundlichen Text und einige Worte auf Englisch, Französisch, Türkisch und Arabisch wünschen. Etwas, das suggerieren würde, man wolle die Installation möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Schließlich soll sie ja zum Dialog anregen.

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Manchmal, wenn ich mit der Straßenbahnlinie 11 in Richtung der Innenstadt fahre, schmunzele ich angesichts von Touristen, die sich verwundert über den großen Moscheebau in der Stadt äußern. Ein hohes weißes Minarett und viele kleinere Türme umgeben die Kuppel der Yenidze, keine Moschee natürlich, sondern eine 1909 fertiggestellte Zigarettenfabrik. Kaum ein Gebäude könnte das Verhältnis der Dresdner (der Deutschen allgemein) zum Orient besser vergegenwärtigen.

Der Bau spiegelt die allgemeine Orientbegeisterung des späten 19. Und frühen 20. Jahrhunderts, die sich in Architektur, Literatur und Kunst niederschlug. Die Orientbegeisterung reicht aber noch weiter zurück. Im Herzen des Dresdner Residenzschlosses findet sich die Türkische Kammer, die eindrucksvoll davon zeugt, dass Waffen und osmanisches Kunsthandwerk einst ein ästhetisches Anderes markierten, das Fantasie und Neugierde erzeugte. August der Starke, der sich bisweilen übrigens als Sultan verkleidete, prägte die Sammlung maßgeblich.

Zugleich konnten Waffen, Rüstungen und Kaftane erst zu erstrebenswerten Sammelobjekten werden, als die Osmanen keine reale Bedrohung mehr für Europa darstellten (mithin nach Ende der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken).

Man könnte sagen, dass die fremde Kultur in Dresden und anderswo so lange akzeptiert wird, wie sie in Form von Stein und Gold passiv und dekorativ bleibt. Solange sie wie der Orientteppich, den man nach anstrengenden Verhandlungen auf einem türkischen Basar (oder auch im heimischen Ikea-Markt) zu gutem Preis erstanden hat, zu den eigenen Füßen liegt. Nur real, aus Fleisch und Blut, darf der Orient uns nicht begegnen. Er weckt ja längst keine romantischen Fantasien mehr. Und das gilt nicht nur für Dresden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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